KULTUR

Eric Clapton live in Wien: High Fidelity Blues und ein Pakt mit dem Teufel

Alex Pisecker
Gitarrengott Eric Clapton (69) bespielte gestern abend 90 Minuten lang die Wiener Stadthalle. Reduziert auf das Wesentliche und mit hochkarätiger Band-Besetzung begeisterte vor allem der Sound der solide hochwertigen Darbietung.

Am deutlichsten sieht man Gitarrist Andy Fairweather-Low (65) das fortgeschrittene Alter an. Aber auch Dave Bronze (62, Bass) und Henry Spinetti (63, Drums) wirken eher wie Kassier und Schriftführer eines walisischen Minigolf-Clubs denn wie in der Blüte ihrer Jahre stehende Rockmusikanten. Paul Carrack, hier als (genialer) Orgler tätig, macht vor allem sein Hut alt, weil er nicht mehr als ein recht grantiges G’schau und einen weißen Bart ins Scheinwerferlicht rückt. Einzig Keyboarder Chris Stainton, mit 70 Jahren der älteste Mann on stage, sieht man sein Alter am wenigsten an, vielleicht weil er nie anders aussah. Oder weil sein Klavierspiel scheinbar nach fast 50 Jahren auf der Bühne immer noch stets besser, virtuoser und beeindruckender wird. Die Background-Sängerinnen Sharon White und Michelle John seien hier ausser Konkurrenz genannt, gehören sie schließlich einer völlig anderen Altersklasse an als die Herren auf der Bühne.

Jungspund

All die genannten, tollen Musiker, bilden hier die Backing-Band eines jener Rock-Phänomene, die gefühlt schon immer da waren. Als der Schreiber dieser Zeilen 1974 zur Welt kam, gewärtigte Eric Clapton bereits seine erste Heroin-Entziehungskur, war Mitglied der Supergroups Cream und Blind Faith gewesen, hatte den legendären Yardbirds den ersten Gitarristen gegeben, startete eben gerade mit dem ikonischen Album 461 Ocean Boulevard solo durch und begann bereits damit, die Frau seines engen Freundes George Harrisson, Pattie Boyd-Harrisson, spätere Clapton, leidenschaftlich zu umwerben. Soll heißen: auch Layla war da schon geschrieben. In der wunderbaren, rockigen Originalversion mit dem jaulend-gottvollen Duane Allman-Solo hintenraus.

Trotzdem wirkt der 1945 im mittelenglischen Ripley geborene Gitarrist, den ein Londoner Graffitti bereits 1966 als „Clapton is God“ inthronisierte, wie ein Jungspund auf der völlig showfremd-schmucklos gestalteten Bühne der Wiener Stadthalle. Dichtes, leicht graues Haar, Brille, hagere, aber aufrechte Gestalt, Dreitage-Bart. Ein ähnliches Outfit trägt Clapton seit dem Covershoot seines 1989er-Albums Journeyman. Umso beeindruckender, als der damals bereits 44jährige just mit jenem Tonträger seinen zuvor frank als zerstörerisch zu bezeichnenden Lebenswandel, der sich von einem Sucht-Exzess zum anderen hantelte, an den Nagel hing.

Stringenter Sound.

Der rockige Hit-Opener des Albums, „Pretending„, folgt im aktuellen Live-Set Claptons an dritter Stelle, nach zwei klassischen Blues-Hadern, „Somebody’s Knocking“ und dem EC-Klassiker „Key to the Highway“ platziert. Die etwas geradlinig dahinstompende Version lässt einen zum ersten und einzigen Mal kurz die sonstige Clapton-Rythmusgruppe Nathan East (Bass) und Steve Gadd (Drums) vermissen, zeigt aber ein weiteres Mal, wie stringent Clapton seinem aktuellen Sound, der mit der Veröffentlichung dieses Tracks vor nun auch schon 25 Jahren definiert wurde, treu bleibt. Jeder Blues, jeder Rock-Hadern, jede Ballade, jeder Popsong wird glasklar arrangiert und interpretiert, jedes Solo hat seinen Platz, jeder Ton seinen Nachhall. Dass all dies gestern noch dazu in astreinem HiFi-Sound durch die sonst akustisch schwierige Stadthalle schwebte, war eine der feinsten Facetten des Abends.

Unplugged

Pünktlich zu Song sechs, dem Johnny Moore-Cover „Driftin‘ Blues“ werden Sessel hergeräumt, Western-Gitarren ausgeteilt. Mit „Crazy Mama“ wird zum ersten Mal J.J.Cale Tribut gezollt, jenem Singer-Songwriter aus San Diego, dessen Songs oftmals Clapton kompositorisch zugerechnet werden, weil er sie weltbekannt gemacht hatte. Mit „Tears in Heaven“ kommt der erste Superhit des Abends ebenfalls in einer leicht reggae-esquen Akustik-Version, getragen durch den tollen Chor der ausserirdisch guten Background-Damen sowie eine herrlich ätherische Orgel des Multiinstrumentalisten Carrack. Beeindruckend das tolle Solo des Songs, diesfalls interpretiert von einm virtuos das „Pitch-Bend“ bedienenden Chris Stainton, der auf diese Weise nicht nur den hervorragenden Pianisten, sondern teilweise auch den talentiertesten Gitarristen auf der Bühne darstellt.

Sozusagen einen Song zu spät wird schließlich wieder angesteckt: „Layla„, jene legendäre Rock-Ballade voller Schmalz und Sehnsucht, kommt leider in der zwar Grammy-gekrönten, aber längst nicht mehr originellen Unplugged-Version, mit der sie Clapton anno 1992 endgültig formatradiotauglich machte. Freilich: der Qualität der Darbietung ist nicht am Zeug zu flicken. Wunderbar, wie auch hier Orgel, Chor und Gitarre ein Soundgeflecht bilden, das an die Mark-Knopflerschen Dire Straits-Arrangement aus deren Hey Days erinnert.

Ach ja, noch eine Erkenntnis aus dem Akustik-Set: auf seine alten Tage legt Herr Clapton bisweilen auch mal ganz gern das Plektrum weg und pickt mit den Fingern.

Strom

Wieder unter Strom bringt die Band eine fast jazzrockige Version des Ace-Klassikers „How Long„, gesungen und interpretiert vom Komponisten des Songs und hiesigen Orgler, Paul Carrack. Den zweiten Superhit bringt eine schön klassich ans LP-Original von 1977 angelehnte Version des Schmachtfetzens „Wonderful Tonight“ (eine weitere Liebeserklärung an Pattie Boyd), an Cream-Zeiten erinnert das Robert Johnson-Cover „Cross Road Blues„, mit dem J.J.Cale-Hadern „Cocaine“ – leider kaum mehr an die LP-Version aus den Seventies angelehnt, sondern ziemlich gestreamlined, wenn auch mit hochverzerrter Gitarrei und lauter Hammond-Leslie – endet der offizielle Teil des Abends. Die einzige Zugabe, Joe Cockers „High Time we went“ gerät kurz wie schmerzlos, stellt noch ein letztes Mal die Extraklasse von Chris Stainton in Form eines ziemlich avantgardistischen Piano-Solos klar. Allerdings hatte auch dieser offenhörlich mehr Spaß, als er den Song einst als Teil der Cocker-Band interpretierte.

Pakt mit dem Teufel

Resumee also: Eric Clapton ist toll in Form, sowohl stimmlich wie auch an der Stratocaster. Seine Songs sind zeitlos, die Interpretation von jazziger Perfektion. Dass er weder Zeit dafür verschwendete, mit dem Publikum zu plauschen (nicht mal die Band wurde vorgestellt), noch mehr als eine Zugabe spielte, ist für Clapton-Fans weder neu noch ungewöhnlich. Verblüffend bleibt letztlich das Phänomen Clapton, in all seiner Wucht und Gesamtheit. Ich meine, wir haben es hier mit einem – zumindest stilistisch einzigartigen – Gitarristen zu tun, der seit 50 Jahren Götterstatus am Saiteninstrument genießt, selbst aber nicht müde wird zu betonen, was für ein Nixerl er selbst gegenüber seinen Alltime-Heroes Buddy Guy, Muddy Waters, Bo Diddley, Robert Cray, Stevie Ray-Vaughan oder Robert Johnson ist. Ganz abgesehen von den eigenen hartnäckigen Versuchen, sein Leben zu verkürzen (Respekt vor Mr. Claptons Nieren an dieser Stelle!), traf auch das Schicksal die Lebensbahn des Musikers nicht selten nur knapp daneben. So hätte der schreckliche Unfalltod seines Sohnes Conor vermutlich jeden anderen labilen Menschen (Clapton war damals gerade mal zwei Jahre clean) endgültig an den Abgrund gebracht. Und auch zwei Jahre zuvor war es etwa wohl mehr als Zufall, dass Eric nach einem Gig in East Troy, Wisconsin jenen der beiden Hubschrauber bestieg, der nicht abstürzte; im anderen verunglückte Stevie Ray Vaughan tödlich.

EC wird also von Jahr zu Jahr berühmter, erfolgreicher, legendärer und gleichzeitig nicht merklich älter. Es scheint, als hätte er es seinem Vorbild Robert Johnson gleich getan und irgendwann einen Pakt mit dem Teufel abgeschlossen. Wie die an den Beelzebub abzuliefernde Gegenleistung für scheinbar unendlichen Ruhm und Erfolg nebst gleichzeitiger Unsterblichkeit aussehen könnte, weiss gegebenenfalls freilich bloß Mr. Slowhand himself. Wir können uns dann aber jedenfalls noch auf eine Reihe weiterer Clapton-Gigs in den nächsten Jahren freuen. Und das ist ja nicht das schlechteste.

Video

Ein Jahr nach dem Wien-Gig feierte Eric Clapton in der Royal Albert Hall zu London musikalisch seinen 70er, den kompletten Konzertfilm gibt es hier in der Arte-Konzertserie zu genießen.