Peter Gabriel live in Graz und Salzburg: Popmusik im Obergeschoß

Mit unglaublicher Souveränität feierte der 64jährige Peter Gabriel das 27jährige Jubliäum seiner „So“-Tour von 1987 in der Stadthalle Graz und in der Salzburgarena.

Vereinzelt wähnt sich der Grazer im Wunschkonzert. Oder verwechselt die Grazer Stadthalle mit einer Jukebox. Dann nämlich, wenn er „Shaking the Tree“, „Genesis“ (?!?) oder viel zu früh „Sledgehammer“ in die Stille zwischen zwei Songs ruft. Dabei hat der Hauptdarsteller des Abends  doch eindeutig klargestellt, wie das Programm des Abends laufen wird. Wie ein dreigängiges Menü nämlich. Zuerst ein paar Akustik-Versionen, dann das Elektroschmalz und als Nachtisch das komplette Album „So“ in einem Aufwaschen. Was ist daran so schwer zu verstehen?

Geschickt eingefädelt.

Dass der absolute Großmeister des Avantgarde-Pop bei all seiner Vielgestalt als Komponist, Sänger, Videokünstler, Unternehmer, Labelbetreiber und World-Music-Talente-Entdecker das beschwerliche Live-Touren nicht mehr nötig hätte, steht ausser Zweifel. Dass es Peter Brian Gabriel uns Fans überdies ersparte, seine beiden Symphonic-Großprojekte „Scratch my Back“ (2010) und „And I’ll Scratch Yours“ (2013) zu astronomischen Ticketpreisen in irgendwelchen Staatsopern aufzuführen (von ausgewählten, Londoner Live-Dates einmal abgesehen), zeugt von Geschäftssinn. Anstatt dessen formierte er nämlich zum 25. Jubiläum seiner erfolgreichen „So“-Tournee von 1987 erneut die damalige Band-Besetzung und ging ab 2012 quasi mit einem erweiterten Best-Of auf Tournee. Zunächst war nur ein Nordamerika-Leg, dann eine kleine Europa-Runde geplant. Schließlich wurden drei ausgedehnte Tour-Jahre daraus.

Spielfreude

So sind also Gabriels langjährigster Wegbegleiter, Meisterbassist und Roadblog-Schreiber Tony Levin, 80ties-Wunderdrummer Manu Katché, Gabriels ewiger Hausgitarrist David Rhodes sowie Springsteen-E-Street-Band-Urgestein David Sancious seit drei Jahren unterwegs. Und es macht den Herren sichtlich noch immer Spaß, den einzigartigen Gabriel-Sound in feinster Ausfertigung (und wunderbar unterstützt von den beiden, Schwedischen  Vox-Newcomerinnen Jennie Abrahamson und Linnea Olsson) auf die Bühne zu bringen. Diesmal mit, an sonstigen PG-Maßstäben gemessen, minimalistischem Multimedia-Brimborium: nur ein paar großformatige Kamera-Scheinwerfer-Arme sorgen für Unbehagen. Einmal bedrängen sie die Protagonisten, einmal umschmeicheln sie sie. Und stets fangen sie genialische Bilder von Gabriel und Posse ein. Doch jetzt mal schön der Reihe nach.

Proberaum

Akustisch reduziert und noch bei Saallicht beginnt die Show, Gabriel sitzt lässig am Bösendorfer, singt dabei und versprüht Proberaumatmosphäre. Man sieht den Mädels und Buben da oben entspannt beim Proben zu. Auch „Come Talk To Me„, einst bombastischer Auftakt der „Secret World„-Tour, passiert wie nebenbei, die fast schon jazzige Aufarbeitung von „Shock the Monkey“ ist, zugegeben, eher was für Hardcore-Fans. Ins Dunkel der Nacht taucht Gabriel das Publikum beim ebenso thematisch tiefdunklen „Familiy Snapshot“, mit einem wahnsinnig starken „Digging in the Dirt“ wird endgültig der Hauptgang serviert.

Verstörende Bilder strahlen auf die Haupt-Screens, ein bisserl Multimedia muss schon sein. Druckvoll spannen „Secret World„, „No Self Control„, „Show yourself“ und „Solsbury Hill“ (mit entfesselter Band-Vorstellung)  den Greatest-Hits-Block, bevor mit „Red Rain“ der Einstieg ins Kernthema der „Back to Front“-Tour beginnt: die chronologische Bühnenfassung des Hit-Albums „So“ von 1986.

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Dass Gabriels unübertroffen erfolgreichste Scheibe, nämlich „Sledgehammer„, so bereits an zweiter Stelle folgt, enttäuscht bloß unkundige, von denen einige den Abend  als gelaufen betrachten und heimgehen – vielleicht müssen sie ja auch bloß früh raus morgen. Versäumt haben sie allemal was: den hoch avantgardistisch präsentierten Rest eines tollen Albums mit zahlreichen Höhepunkten, die man vielleicht auch erst nach mehrmaligem Hören erkennt.

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Genau das ist nämlich die große Kunst des Peter Gabriel: Viel Message mit wenig Worten und noch weniger Akkorden in eingängiger wie aufrüttelnder Pop-Musik zu verpacken. Die sich auf der Bühne mühelos um eine visuelle Ebene erweitern lässt. Dass Gabriel hierbei Videoclips, die anderswo vorgedreht werden, in Echtzeit passieren lässt, alle Wagnisse des Zufalls und der Panne einkalkuliert, ist seit jeher seine Visitenkarte als Multimedia-Künstler erster Klasse.

So ersetzt die bezaubernde Jennie Abrahamson bei „Don’t Give up“ wunderbar die ursprüngliche Kate Bush (und auch die hierbei leider an ihre Grenzen gestoßene Gabriel-Tochter Melanie, die bei der letzten Tour mitsang), lässt es die Band bei „Big Time“ ordentlich krachen, erinnert das Bühnenbild bei „We do what we’re Told“ schaurig-eindringlich an das grausliche Milgram-Experiment und setzt „In your Eyes“  einen eindrucksvollen Schlusspunkt, den Tastenvirtuose Sancious mit einem wahrlich superben Blues-Jazz-Piano-Solo in würziger Kürze (ausuferndes Solo-Gejaule verbat sich Gabriel stets) veredelt. Zur ersten Zugabe „The Tower That ate People“ wird nochmal feister Rock intoniert, den Abend schließt das ikonisch-minimalistische Apartheid-Requiem „Biko„, gewidmet allen Menschen, die ihr Leben riskieren, um auf dieser Welt etwas zu bewegen.