• Zurecht zu spät!

    Eine Ode an die Unpünktlichkeit von Franz J. Sauer

Klar kennen wir alle Sprüche a la: „Fünf Minuten vor der Zeit ist des Fürsten Höflichkeit.“ Freilich sind auch Argumente in der Tonart von „Du stiehlst mir meine Zeit“ gelten zu lassen, wenn man jemandInnen im Cafehaus oder am Besprechungstisch warten lässt. Es ist hier aber auch nicht vom gezielten Großauftritt die Rede, den man sich gönnt, wenn man 30 Minuten und mehr zu spät kommt. Wir meinen hier das gepflegte akademische Viertel. Das weder die wichtige Sitzung, noch das stimmungsvolle Rendezvous ernsthaft gefährdet. Im Business kommt man halt schneller zur Sache und erspart sich Einleitungsgeplänkel, wenns wirklich pressiert. Und zum Spannungsaufbau bei der zukünftigen Angebeteten kann das eine oder andere Viertel Vorsprung bessere Abschluß-Chancen zur Folge haben. Ausserdem: w hat ein legendärer WIENER-Chefredakteur vergangener Tage mal einem Verleger gegenüber, auf einen versäumten Heft-Drucktermin angesprochen, vermeldet: „Pünktlich sein kann ein jeder Depp.“

Zu früh?

Am schlimmsten sind jene, die sich einbilden, sie müßten überpüntlich sein oder gar eine Viertelstunde früher als ausgemacht am vereinbarten Ort erscheinen. Diese Menschen sind, meiner bescheidenen Meinung nach, vorsätzliche Zeitdiebe. Wie kommt man dazu, bereits früher mit der Gesellschaft von Mitarbeitern oder Geschäftspartnern konfrontiert zu werden, als man es sich in seinem dicht gedrängten Arbeitsablauf eingeteilt hat? Derlei gilt freilich auch für den privaten Bereich, Beispiel Kaufinteressenten. Man telefoniert mit dem neuen Willhaben- oder Ebay-Freund, macht sich aus, 10 Uhr dort und dort. Und wie das Amen im Gebet läutet 15 Minuten früher das Handtelefon: „Wir wären schon da.“ Fein. Was nun? Wollt Ihr ein Keks? Ich bin noch nicht da! Und werde jetzt weder zu rasen beginnen, noch mich sonst wie aus der Ruhe bringen lassen. Und nein, es bringt auch nix, ab da im Fünfminutentakt nachzufragen, wann man denn nun da wäre. Ihr werdet merken wenn ich da bin. Telefonterror beschleunigt da nix.

Zu krank!

Sie werden sicherlich schon den gereizten Ton dieser bisherigen Kolumne wahrgenommen haben. Klar versuche ich etwas zu verbergen. Natürlich bin ich selbst notorischer Zuspätkommer. Und alle, die meinen, sowas ließe sich leicht in den Griff bekommen, waren noch nie mit dieser „Krankheit“ konfrontiert. Immer ist was, wenn man zeitgerecht starten möchte. Die Heizung zischt, das Festnetz-Telefon läutet, die Autoschlüssel sind unauffindbar, der Darm drückt. Und immer grinst einem die tickende Uhr blöde ins Gesicht. Dass sich nahezu alle Anfahrtswege in und um Wien durch die gelungene, weil durchaus beabsichtigt gescheiterte Verkehrspolitik in den letzten Jahren verdoppelt haben, kommt da noch dazu.

Zu was?

Bleibt bloß noch die Frage nach der geeigneten Ausrede. Man kommt nach jahrelanger Erfahrung zur Erkenntnis, dass die Wahrheit hier nicht zielführend ist. Und nimmt sich die Wortmeldung eines Medienkollegen, der dem erweiterten Castrol-Vorstand ein größeres Anzeigenpaket verkaufen wollte und diesen 20 Minuten warten ließ, zum wohlklingenden Vorbild: „T‘schuldigung, i woar no scheiss‘n.“

Überpünktliche Menschen sind, meiner bescheidenen Meinung nach, vorsätzliche Zeitdiebe.