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Der Catch 22 des Beziehungslebens

Der Catch 22 des Beziehungslebens

Wenn du liebst, bist du nicht geil, und wenn du geil bist, kannst du nicht lieben. Wusste schon Freud. Es ist schwer, in einer langjährigen Beziehung auf seine Kosten zu kommen. Aber nicht unmöglich.

TEXT: MANFRED SAX

Es ist heute so, es war damals so, es muss nicht sein, wird aber so bleiben. Jetzt sag einmal, meint sie, warum sind Beziehungen so beschissen? Es fängt nett an, man hat akzeptablen Sex, es wird eine Beziehung, sogar Liebe istmöglich … aber irgendwann, nach spätesten drei Jahren, hat es sich, sagt sie. Nicht unbedingt mit der Zuneigung, aber jedenfalls mit dem Sex. Und mit jeder Beziehung ist das so. Man kann einander blendend verstehen, man hat einander gern, man teilt das Kissen wie gewohnt … aber der Sex hat sich verabschiedet. Es interessiert die Männer nicht mehr, sagt sie. Sex mit der Frau in ihrer Langzeitbeziehung interessiert sie nicht. Das sagen auch die Fachleute. Der aktuelle deutsche Sexguru Volkmar Sigusch sagt es. Nach vier bis spätestens sieben Jahren, heißt es bei ihm, geht das erotische Kribbeln in festen Beziehungen flöten, das sei erwiesen und im Übrigen ein Dilemma, das sich kaum lösen lässt. Und Sigmund Freud hat es schon vor hundert Jahren deponiert: „Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben.“

Ein Klassiker, dieser Satz. Der Sex-Catch 22 des Beziehungslebens. Catch 22 ist etwas Paradoxes, die Essenz des gleichnamigen Romans von Joseph Heller über die Absurdität des Krieges. Im Zweiten Weltkrieg musstest du als Pilot verrückt sein, um gewisse Einsätze zu fliegen. Allerdings war Verrückten das Pilotieren verboten. Wenn du aber zum Militärpsychiater gingst, um dich verrücktschreiben zu lassen, hast du damit bewiesen, dass du nicht verrückt warst – im Gegenteil, keinen verrückten Flug unternehmen zu wollen ist verdammt vernünftig. Du warst nicht verrückt, also musstest du zum verrückten Flug antreten. Cool, die Amis, nicht wahr? Ja, in etwa so cool wie verordnete Monogamie. Sexuell gesehen ist es nicht unverrückt, einen Bund einzugehen, der nach ein paar Jahren Nullbock im Nenner hat. Aber so will es die zivilisierte Gesellschaft. Nimm dir ein Weib, mach ihr Kinder, den Rest sollte der Überlebenskampf besorgen, um das kleinfamiliäre Konstrukt über die Runden zu bringen. Auch unsere biologischen Anlagen wollen es so. Sie funktionieren wie eine Partnerschaftsbörse, von der du keine Ahnung hast. Anfangs kriegst du den not- wendigen hormonellen Vorschuss für die Annäherung, so übliche Verdächtige wie Testosteron und Endorphine. Triebbringer und Wohlgefühlmacher, die nach einer gewissen Zeitspanne den Weg zum Nachwuchs ebnen sollten, wenn auch gewiss nicht reibungslos. Reibung ist wichtig, sonst geht bei der Unterleibskommunikation gar nichts ab, vom berüchtigten „Vorzeitigen“ mal abgesehen.

Das Problem ist die Zeitspanne. Wenn nach drei bis vier Jahren nachwuchsmäßig nichts läuft, dann hat es sich mit dem hormonellen Vorschuss, und ohne Testosteron kein Bock. Der Vorschuss stellt sich erst bei der nächsten Dame wieder ein, egal wie „lieb“ die beiden Lovers einander haben. Liebe und Triebe fallen auseinander, die sexuelle Strömung ist eine andere als die zärtliche. Dann ist da noch das andere Problem. Der Sex. Da wollen wir alles Mögliche. Wir wollen es von zärtlich bis rüde und von hart bis herzlich, wir wollen uns gehen lassen. Wir wollen ficken und blasen und lecken, wir wollen es in alle Löcher, wir wollen jeden Zentimeter Haut. Wir wollen keine Kinder, sondern dem Storch den Finger geben. Wir frönen der Lust und machen das Tier mit zwei Rücken. Wir wollen Befriedigung. Dafür brauchen Männer als Grundbedingung nicht mehr als einen Steifen, und Frauen hätten gern einen Orgasmus oder drei. Und alle wollen gedankenlose Wunschlosigkeit, wenigstens ein paar atemlose Momente lang.

Das ist das dritte Problem. Das Denken. Wir haben Bewusstsein, wir sind denkfähig. Tatsächlich sind wir kaum fähig, das Denken beim Sex bewusst auszuschalten, das macht den Sex kompliziert. Als denkende Menschen sind wir zivil, wir folgen Gesetzen, wir haben Sitte und Moral, wir haben ein ungesundes Verhältnis zur Sexualität. Sex wird nicht kulturell vermittelt, er kommt geruchsfrei daher. Die Kirche redet von ehelicher Pflicht, der Lehrer von Geschlechtsverkehr. So was macht kein sexuell gesunder Mensch. Er vollführt auch keinen Beischlaf. Überhaupt schlafen. Miteinander schlafen macht nur Sinn, wenn du müde bist. Wenn die englische Sextherapeutin Pamela Stephenson Connolly aus ihrer Praxis erzählt, geht es um Männer, die sich schwertun, an ihre Beziehungsfrau, die sie respektieren, außerdem erotische Gefühle zu knüpfen. Weil sie glauben, dass Sex eine schmutzige Angelegenheit ist und dass nette Frauen so was nicht mögen. Welch ein Blöd- sinn aber auch! Heutzutage sollte doch wirklich jeder erwachsene Mensch wissen, dass nicht jeder Sex schmutzig ist. Nur guter Sex ist schmutzig. Und wer hat nicht lieber guten Sex?

Es ist nicht erstaunlich, dass Monogamie derzeit eine schlechte Presse hat. Es wird weniger gevögelt als früher, und da sollte doch irgendjemand schuld daran sein, warum also nicht die Monogamie? Insbesondere die politisch korrekte Fraktion gibt sich gerne promisk. Der Mensch ist nicht für die Monogamie geschaffen, sagen sie, und Kleinfamilie ist sowieso reaktionär. Also geben sie sich lieber den hormonellen Vorschuss, der mit dem neuen Sexpartner kommt, als ihre sexuelle Haltung in der Langzeitbeziehung zu hinterfragen. Ja, es gibt so was wie sexuelle Haltung. Sie hat mit mentaler Disziplin zu tun und beginnt damit, dass das Lebensmensch im Schlafzimmer mit ihren Kleidern auch den Alltag ablegt. Die Berufstätige, die Hausfrau, die Mutter, ihre Gabi- und Uschihaftigkeit, ihre soziale Identität. Das gilt auch für ihn. Der Alltag ist nicht sexy. Guter Sex ist nicht ein Herummachen mit ihrer Alltäglichkeit, er ist eine elementare Kommunikation mit dem Weib in ihr. Das hat zweifellos auch was Objektives, wenngleich ihr Einwand, sie könnte damit austauschbar sein, vollkommen daneben ist. Ihr Duft, ihre Formen, die Weichheit ihres Fleisches sind immer einzigartig. Aber der sexuelle Punkt ist eben dieser: Mit dem alltäglichen Lebensmensch, der dir mit den Jahren vertrauter ist, als du es unbedingt brauchst, hört sich das Kribbeln irgendwann auf. Mit dem Weib kannst du immer. Du musst nicht irgendwo im Nachtleben ein fremdes Weib aufgabeln, um mit dem Weib zu sein.

Illustration: Stefanie Sargnagel