GENUSS

Wer braucht das Reinheitgebot?

Hopfen, Malz und Wasser, sonst nichts. Eine 500 Jahre alte Urkunde mit kultischer Verehrung schreibt uns vor, was Bier ist. Das Gebot bremst mittlerweile aber die Brauer aus.

TEXT: ROLAND GRAF

Eine Fata Morgana hat uns der Wittelsbacher Herzog Wilhelm IV. da hinterlassen! Je mehr man zum Reinheitsgebot, der 1516 erlassenen Vorschrift des Bayern-Herrschers, wissen will, desto mehr löst es sich auf. Zunächst einmal, wenn man sich die aktuelle Rechts- kraft der Verordnung ansieht, dass „zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gers- ten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen“. Das steht heute nicht einmal mehr in Bayern so im Gesetzbuch, das den 500.Geburtstag des Gebots von der Landesausstellung abwärts feiert, als handle es sich um die Unabhängigkeitsurkunde des Freistaats. Genau genommen steht das Reinheitsgebot nirgendwo!

Dabei sah es anfangs noch so gut aus; per Gesetz vom 3. Juni 1906 übernahm das Deutsche Reich für die Bierherstellung die Regelungen des Bayerischen Reinheitsgebotes. Mit dem EU-Beitritt – Stichwort: freier Warenverkehr – dauerte es aber nur wenige Jahre, bis 1987 festgestellt wurde, dass ein solches nationales Biergesetz nicht Europa-konform sei. Die Deutschen behalfen sich mit dem „vorläufigen Biergesetz“, einem Provisorium, gegen das 2005 auch geklagt wurde. Was heute Bestand hat, ist die sogenannte Durch- führungsverordnung. Die könnte man also feiern, allerdings klingt das nur halb so gut wie „Reinheitsgebot“.

Geregelt wurde 1516 einerseits das Verbot von „Kräuterbieren“, in die durchaus auch toxische Substanzen wie Bilsenkraut oder Stechapfel kamen. Der Finanz war aber auch die Möglichkeit der Besteuerung wichtig – das ging bei der Kulturpflanze Hopfen natürlich leichter. Zum anderen sollte verhindert werden, dass Brotgetreide (Weizen, aber auch Roggen) „versoffen“ wird, womit die Gerste zum Zug kam. Und das bayrische Weißbier, bekanntlich mit Weizenmalz gebraut? Dieses Monopol sicherten sich die Herzöge selbst. So viel zum Einhalten des „Gebots“.

Es gibt aber auch noch einen technischen Grund, an der Bedeutung des 500 alten Papiers zu zweifeln: denn ohne Hefe kein Bier! Doch wo steht die im Gebot? Nirgends, denn sie wurde erst Jahrhunderte später entdeckt. Dass auch (rohe) Gerste statt Gersten-Malz erwähnt wird, trägt weiter dazu bei, das Festhalten daran zu belächeln. In Österreich stellte das Dogma ohnehin nie ein Problem dar. Immer wieder drohen bayrische Brauereien, ins liberale Österreich abzuwandern, zuletzt etwa die mit Braustopp (ihr „Coffee Stout“ enthielt Kaffee) belegte „Camba Bavaria“ in Truchtlaching. Dass Reinheitsgebot- Skeptiker gerne zu uns schielen, hat noch einen anderen Grund: Seit 2015 sind „Kreativbiere“ per Lebensmittelgesetz geregelt. Während Deutschland alles außerhalb des Reinheitsgebots vom „Bier“ zur „Brauspezialität“ degradiert, wertet das Gesetz hierzulande die Kreativleistung sogar auf. Abseits der Semantik ist aber der Unterschied frappant, mit dem die Pioniertat des heimischen Brauwesens nicht gefeiert wird. In Wien hat man weitgehend vergessen, dass das weltweit beliebteste Bier eine Austro-Erfindung darstellt.

175 Jahre wird das von Anton Dreher erstmals gebraute Lager (hierzulande als „Märzen“ bezeichnet) heuer. Seine „Schwechater Brauerei“ wurde durch eine technische Innovation zur damals weltgrößten (!) Braustätte: Untergärige, helle Biere waren bis 1841 nur in den kühlen Wintermonaten möglich. Der Einsatz von Kühlkellern, später der Linde’schen Kältemaschine unter Drehers Sohn Anton jun., revolutionierte den Biergeschmack. Der von den beiden „Bieronieren“ geprägte Stil „Wiener Lager“ – dunkler als Pils, aber kräftig gehopft – verschwand in Österreich wieder. Erst in den letzten Jahren besinnt man sich der Rezeptur, die dank der Tradition der Triestiner Dreher-Brauerei zumindest in Italien immer gepflegt wurde. Das „Brauwerk“ Ottakring, das „Gusswerk“ in Salzburg oder die Gablitzer Privatbrauerei haben das Dreher-Rezept wieder im Repertoire. Und auch die Brau Union, Nachfolger der „Schwechater“ und Marktführer, legte zum „175er“ ein Wiener Lager auf. Damit können selbst Bayern bedenkenlos anstoßen – „unser“ Jubiläumsbier entspricht dem Reinheitsgebot.

Fotos: Michael Reidinger, Getty Images, Kurt Keinrath

DAS GEHT MÄCHTIG REIN!

Was sich im Reinheitsgebot ausgeht und wo es die Kreativität bremst: fünf Biere abseits des Mainstream-Geschmacks.

_01. Smoke Gets In Your Eyes. Ist das Geselchtes? Die Bamberger Spezialität mit geräuchertem Malz passt problem- los ins Reinheitsgebot (und polarisiert dennoch bei Bier-Puristen). Aecht, Schlenkerla Rauchbier,
Preis: 2,45 Euro (0,5 Liter). beerlovers.at

_02. White Wedding. Da beutelt’s Bayern: Koriander und Orangenschale im Sud? Für ein „Wit“, belgischer Weißbier-Stil, gehört das so – und auch Isländer brauen das manchmal. Einstök, Icelandic White Ale,
Preis: 2,99 Euro (0,33 Liter). beerbottle.eu

_03. Big In Japan. Wasabi und Grüntee kommen beim Japan-Ale zum Hopfen dazu. Die Schärfe im Finish passt besser, als es für die reine Bier-Lehre vielleicht klingt. Baird, Wabi Sabi Japan Pale Ale,
Preis: 26,40 Euro (6 x 0,33 Liter). bierfracht.at

_04. Solid Like A Rock. Die Würze auf heißen Steinen karamellisieren zu lassen, ist älter als das Reinheitsgebot. Peter Krammer arbeitet für sein 7,2%iges Hammerbier noch so. Hofstetten, Granit-Bock,
Preis: 34,80 Euro (12 x 0,33 Liter). mybier.at

_05. Fields Of Gold. Gerstenmalz, Weizenbier, Oatmeal Stout (aus Hafer) kennen Sie schon? Wie wär’s mit Dinkel, Emmer und Einkorn – das alles wird im nussigen Biobier „verbraut“. Meinklang, Urkorn-Bier,
Preis: 2,10 Euro (0,33 Liter). agoravino.at