KULTUR

Konstantin Wecker im Interview

Konstantin Wecker wird nächstes Jahr 70 und gibt sich kein bisschen leise. Ein Gespräch über Social Media, Rebellion, Leidenschaft, die zerstrittene Linke und warum wir gerade noch die Kurve gekratzt haben.

INTERVIEW: CHRISTIAN BECKER / FOTO: MAXIMILIAN LOTTMANN

Du bist auffallend aktiv mit politischen Posts auf Face­ book. Bereits 2003 hast du eine Internetseite namens „Hinter den Schlagzeilen“ ins Leben gerufen, um auf­ zudecken und zum Nachdenken anzu­regen. Wie gehst du mit Fluch und Segen dieser Plattformen um?

Zum einen ist es ein Segen, weil ich mich wirklich disziplinieren und in unregelmäßigen Abständen etwas schreiben muss. Das ist gut für mich. Wenn ich etwas schreibe, denke ich darüber nach und muss meine Gedanken formulieren. Manchmal habe ich mir gedacht, warum tue ich mir den Stress überhaupt an. Aber dann merke ich, dass ich es mit manchen Posts, mit der Aufforderung zum Denken mit dem Herzen, geschafft habe, an die drei Millionen Menschen zu erreichen. Das sind jetzt nicht unbedingt drei Millionen Freunde, aber du musst etwa als Zeitung schon ganz schön ackern, um diese Anzahl zu erreichen. Dann kommen nette Kommentare von jüngeren Leuten die sagen: „Deine Lieder interessieren mich eigentlich gar nicht, aber deine Posts, danke!“

Bist du eine Art Vorbild?

Ich habe als junger Mann auf diese Frage hin geantwortet, ich möchte um Gottes Willen kein Vorbild sein. Dann müsste ich ja ein vorbildliches Leben leben – und das wollte ich nie. Aber jetzt sehe ich das etwas anders. Die politische Situation bürdet uns allen eine Verantwortung auf – und sei’s nur die, weiterzumachen.

Künstler, die öffentlich Stellung bezie­hen, werden gebraucht. Gibt es momen­ tan zu wenige von deiner Sorte?

Ich bin befreundet mit einer jungen Band aus Bayern. Der Sänger gibt politisch Tolles von sich. Auf die Frage, warum das nie in seine Texte einfließt, meinte er, dass die Band dann die Hälfte ihres Publikums verlieren würde. In der Friedensbewegung in den 80ern haben nicht nur die Künstler die Stadien gefüllt, sondern auch die Inhalte.

Warum ist das nicht mehr so? Liegt das an der Schnelllebigkeit, dem Über­angebot und der Flut an wahllos abruf­ barer Information?

Man muss klar sehen, dass der Bedarf nicht mehr so groß ist wie seinerzeit. Damals war die Jugend zu fast 100 Prozent von Inhalten bewegt. Nicht umsonst gab es bis 1985 die große Friedensbewegung, wo Hunderttausende bei irgendwelchen Konzerten waren, bei denen es um Inhalte ging. Das war die Zeit, in der der Schurli (Anm.: der große Georg Danzer) und ich mit anderen Liedermacherfestivals gegeben haben. Das war eine ganz andere Bewegung – wobei ich den Terminus „die Jugend“ eh nicht mag. Ich glaube, die jetzt ganz Jungen sind aus emotionalen Gründen, und erstmal nicht immer aus politischen, wieder bereit, sich zu engagieren. Das neoliberale System hat jungen Menschen viele Jahre lang das Gehirn gewaschen, indem man ihnen, vorbereitet von Think­tanks, ganz gezielt eingetrichtert hat, es sei völlig out, sich zu engagieren, dafür sei es sexy, sich in der Fußgängerzone herumzutreiben und dort Markenklamot­ ten zu kaufen. Und dann kommt die Angst dazu. Als wir studiert haben, war klar, dass wir immer irgendeinen Job finden. Es gab keine Existenzängste. Heute haben junge Menschen große Existenzängste. Wer Angst hat – das wussten die Mäch­tigen schon immer –, ist gefügig.

Sind steigende Armut und Arbeits­losigkeit politisch gelenkt, um eine Kluft zu schaffen und die Menschen gefügig zu machen?

Das muss gar nicht politisch gelenkt sein. Es ist das System, die reine Gier, sich selbst zu bereichern. Dadurch entsteht automatisch eine Verarmung. Heute hat ein Konzernchef überhaupt kein Interesse mehr daran, dass es den Mitarbeitern gut geht. Er kann sie ja aus­tauschen. Zeitarbeit, du brauchst dich um soziale Sicherheit nicht mehr zu küm­mern. Wenn ein Konzern darüber klagt, dass er nicht 30 Prozent Gewinn im Jahr macht, ist das schlichtweg pervers – jeder normale Unternehmer weiß, dass das Unternehmen bei 0,5 Prozent Gewinn auf sicherem Boden steht. Da entsteht natür­ lich eine Elite, die – um es milde auszu­drücken – an Demokratie nicht unbedingt interessiert ist.

Ist das der von dir im Buch „Mönch und Krieger“ beschriebene Verwesungs­ geruch der Demokratie, der momentan auch durch die EU zieht?

Die ist bereits verwest. Das Problem an der EU ist, dass sie ausschließlich wirtschaftlichen Inter­essen untergeordnet wurde. Keinen po­litischen und schon gar nicht kulturellen. Ich wäre begeisterter EU-­Bürger, weil die Chance bestünde, unter einem grenz­ offenen Mantel kulturelle Vielfalt zu bewahren – das aber ist nicht wirklich passiert. „Voices For Refugees“ in Wien war für mich eine wunderschöne und emotional aufregende Veranstaltung. Dann allerdings ist irgendetwas passiert und Österreich hat einen Totalschwenk voll­ zogen. Merkel hat noch ein bisschen auf „Wir schaffen das“ gemacht und wäh­ renddessen wahrscheinlich schon an Erdogans Hintertür angeklopft, um es auf ihre Weise zu lösen. Das erinnert mich an die 90er.

Also die Zeit nach der Wende?

Ja, kurz nach der Wende gab es zahlreiche rassis­tische Übergriffe in Deutschland, es haben Flüchtlingsheime gebrannt, die ich selbst besucht habe. Vor einem vor Freude krei­schenden Mob wurden Heime angezün­ det, es war ganz furchtbar. Da gab es dann eine Lichterkette in München. 300.000 Leute. Wunderbar. Am nächsten Tag wur­de im Parlament ein Gesetz beschlossen, mit dem der Grundstein gelegt wurde, das Asylrecht zu verwässern. Es ist er­ schreckend: Wir haben 160.000 Leute mit einer Woge der Begeisterung und Hilfs­bereitschaft in Wien. Zwei Monate später orbanisiert sich Österreich und schließt Grenzen.

Das ist aber ein EU-­weites Problem …

Mag sein, man könnte das auch anders kommunizieren. Ich glaube, dass immer noch mehr als 50 Prozent der Menschen empathisch für leidvoll geplagte Wesen wären. Aber wenn ich in den Medien per­manent nur von Frauke Petry, AfD und Ähnlichem höre … Ich wäre zu einer Talk­show zur Flüchtlingsdebatte eingeladen worden, bei der auch ein AfD­-Politiker dabei sein sollte. Aber da gehe ich nicht hin. Ich möchte ein Forum, in dem ich meine Ideen präsentieren kann, ohne dass ein Rechtspopulist ständig seine Parolen verbreitet.

Haben wir in Österreich nach Bundes­ präsidentenwahl und Kanzlerwechsel deiner Meinung nach noch mal die Kur­ve gekratzt?

Ja. Gratuliere erstmal. Und vielen Dank an die 51 Prozent, die Van der Bellen gewählt haben. Ich hab ja via Facebook teilgenommen an dieser Wahl, meine österreichischen Freunde gebeten, Van der Bellen zu wählen, und hab natürlich gleich böse Kommentare bekommen, wie „Piefke, halt dich raus aus unserer Politik“ und solche Sachen. Ich bin der Meinung, in so einer entscheidenden Situation ist es die Verpflichtung für einen Ausländer, hinzuschauen und sich auch einzumi­schen. Wenn Hofer Präsident geworden wäre, das wäre auch ein fatales Signal für die AfD gewesen, weil sich so eine Art von Erfolg dann gerne verbreitet. Ich bin ja sowieso der Meinung, dieses über­ mäßige Erstarken der FPÖ und der AfD hat sehr viel zu tun mit dem Versagen der Sozialdemokratie in Europa. Die Sozial­ demokratie hat sich dem Neoliberalismus unverschämt angedient. Und wenn Sigmar Gabriel jetzt sagt, wir müssen die Fäuste zeigen, dann frag ich mich halt, wie will er das denn jetzt noch machen? Er hätte ja zehn Jahre Zeit gehabt seit Schröder.

Die neue sozialdemokratische Regie­rungsspitze in Österreich sagt, sie habe ihre Lektion gelernt …

In Deutschland gibt es keinen Christian Kern. Keiner will das da machen. Man hat Angst um seinen gemütlichen Posten. Man hat sich in der großen Koalition gut eingerichtet und vergessen, dass man früher mal eine SPD war. Der André Heller, der auch Hoffnung hat mit der neuen SP-Spitze bei euch, der sagte mir: Der Kern, der hat eine ganz andere Sprache als die Leute vor ihm. Und das klingt sehr interessant.

Was wäre nun die Verpflichtung der Linken? Was müssten die jetzt tun?

Endlich nimmer streiten. Ich habe das ja selbst miterlebt, wie aus einer linken Revolution heraus mit dem Neoliberalismus die Konterrevolution siegen konnte. Und was hat ihm die Chance dazu gegeben? Auch diese unsägliche Zerstrittenheit der Linken. Diese Unfähigkeit, sich mal liebevoll und wie Genossen – sie nennen sich ja untereinander immer Genossen – zu verhalten. Es gab die noch Linkeren, die weniger Linken, die Trotzkisten, die Maoisten, die X-isten. Ich selbst bin ja Anarcho und hab das sowieso immer skeptisch gesehen, diese ideologisch stren- gen einzelnen Lager. Es geht auch nicht mehr um linke Ideologie. Es geht schlicht um das, was Bernie Sanders in den USA macht: Es geht um Anständigkeit. Der ist ja meines Erachtens ein reiner Sozialdemokrat. Und interessant, dass so was gerade in den USA möglich ist, bei all dem Grauen mit Trump – das gibt Hoffnung! Junge Leute jubeln dem zu, so wie wir damals „Willy“ gerufen haben, so schrei’n die heute „Bernie“.

Ist in Europa das von dir besungene „Absurdistan“ eingetreten?Die gemeinsame Politik funktioniert nicht, die Türkei kommt ins Spiel, Regierungen sind am Beispiel der Satirethematik erpressbar durch einen diktatorisch vorgehenden Staat.

Zum einen sind die hunderten Toten vor den Küsten für mich von der Politik ermordet worden und nicht einfach nur ertrunken. Und natürlich lässt sich Deutschland von der Türkei und Erdogan erpressen.

Bleibt da noch Hoffnung?

Ich habe schon noch eine Hoffnung. Was gerade in Paris, Lissabon und Madrid passiert, ist wahnsinnig spannend. Da könnte eine neue Bewegung entstehen. Es gibt schon eine Gegenbewegung, aber wir schaffen es nur gemeinsam. Eine Bewusstseinsrevolution der Liebe und der Leidenschaft, die auch in meinem Song „Revolution“ gemeint ist, ist vonnöten.

Aber wenn in Frankreich jetzt wieder Autos brennen, werden wir ja sofort gefragt, ob wir das wirklich hier bei uns haben wollen …

Ha! Das ist ja der älteste Trick. Schau, mein 16-jähriger Sohn, der ist bei der Antifa. Der war letztens auf einer Demo gegen die AfD, 800 sehr junge Demonstranten. Und die Exekutive hat gleich mal vorweg 400 verhaftet, mit Kabelbindern die Hände zusammengebunden und weggesperrt. Mein Sohn kam zurück mit einem riesigen Groll auf die Polizei und hat gesagt: „Nächstes Mal nehm i a Zaunlatte und hau da eine!“ Und ich hab gesagt, mach das nicht! Das hilft der AfD und das hilft der Polizei, genau das wollen die. Sobald Gewalt passiert, können die aufzeigen und sagen: Aha! Da sind sie wieder, die gewaltbereiten Chaoten. Aber zuerst provozieren sie das.

Was wäre dann das nächste Lied, das du schreibst?

Da muss ich warten, bis es mir einfällt. Hoffentlich nicht „Faschismus in Europa“. Vielleicht kann ich ja vom Erfolg der Revolution der Liebe singen .

Bio Box

Konstantin Wecker. Der 1947 geborene Liedermacher, Schauspieler und Autor lebt und arbeitet in München und in der Toskana. Zunächst machte sich Wecker 1968 in der Kleinkunstszene einen Namen, um in den Folgejahren zu einem der wichtigsten, vielfach ausgezeichneten Künstler des deutsch-sprachigen Raumes mit klarer Haltung und politischem Engagement zu avancieren. Sein umfangreiches Schaffen beinhaltet an die 40 Alben, dutzende Bücher, Kompositionen von Musicals und Filmmusik sowie Rollen in weit über 50 Film- und Fernsehproduktionen.

Nicht nur als Liedermacher, sondern auch als Autor stellt sich Konstantin Wecker in seinem neuen Buch gegen Vorurteile aller Art, Rechtsradikalismus und Rassismus; es ist als Plädoyer für Mitgefühl in der Willkommenskultur zu verstehen und ein klares Zeugnis des Widerstands gegen Kriegspolitik. Weiters thematisiert er ungerechte Weltwirtschaftspolitik und den alltäglichen Rassismus in unserer Gesellschaft.

„Dann denkt mit dem Herzen. Ein Aufschrei in der Debatte um Flüchtlinge“
Konstantin Wecker, Gütersloher Verlagshaus 2016,
10,30 Euro, wecker.de

LIVEDATES

„KW SOLO“
16.7.2016 Judenburg

„REVOLUTION“ KW & Band
12.8.2016 Arena, Wien
14.8.2016 Burgarena Finkenstein, Latschach
16.8.2016 Cselley Mühle, Oslip
17.8.2016 Schlossbergbühne Kasematten, Graz