Meinung

Zum Gedenken an Sigi Maron – OASCHPARTIE

Sarah Wetzlmayr

OASCHPARTIE

Ich schreibe keinen Nachruf auf Sigi Maron. Das ist mir nicht möglich. Seine Tochter, die Malerin Nina Maron, ist meine Lebensfreundin und er war ein verehrter und geliebter Lebensweiser für mich. Jetzt, drei Tage nach seinem Tod, vermag ich nicht, diese 1000enden Flashs der Erinnerungen zu etwas Lesbaren zusammenzubündeln. Es gab schon einige schöne Nachrufe, ich empfehle allen voran die Erinnerungen von Robert Rotifer. Aber ich kann eine bestimmte Geschichte erzählen.

Foto: Manfred Werner  Text: Heidi ListEs war 1994, als ich bei dem Plattenriesen BMG Ariola im Marketing zu arbeiten anfing. Es war eine spassige Zeit mit viel oberflächlichem Gequatsche über Marktpotential, Airplaytauglichkeit von Musik im Radio und Promotionplänen. Sigi war in dieser Wuselzelle des Kapitalismus ein rosa Elefant. Mit einer einzigen freundlichen Bemerkung konnte er einen aus der eigenen Wichtigkeit herauskatapultieren und kurz darüber nachdenken lassen, ob man eh’ bei Trost war. Ich fragte ihn oft um Rat. Er arbeitete in dieser Zeit in der EDV und hatte sein Büro auf dem Weg von meinem Büro zum Vertrieb.

Wenn ich vorbeiging, oft hektisch und flatternd, weil irgendwas war ja immer, genügte der Blick auf ihn an seinem Schreibtisch vor dem Monitor, auf dass ich den Schritt verlangsamen konnte. Sigi, der gute Geist. Egal was war, ob man internationale Superstars abholen musste oder mit Anwaltsbriefen von enttäuschten Künstlern herumwachelte, ein Blick auf den Sigi und alles war in der Relation, in der es sein sollte. Ungefragt bekam man des öfteren Bemerkungen wie „List, heute schaust du glücklich daher.“ „List, du bist ein eingedrehter Waschlappen, was ist denn?“ „List, du bist heute laut, das ist gut.“ „Rauch’ nicht, das stinkt.“ War man traurig, holte man sich eine Umarmung. Er war sehr weich und liebend. Ihn über seine Kinder sprechen zu hören machte mir immer Herzklopfen. Er interessierte sich bis ins Mark für deren Leben und drückte dies auch aus. Ich war diese Art von Mannglucke nicht gewohnt. Das war schon sehr berührend.

Wenn man reden wollte, ging das gut, allerdings war kein Small Talk möglich. Immer ging es um Wichtiges, Existenzielles, die Firma, Politik, die Gesellschaft. Das war schon auch anstrengend. Die Dinge wurden beim Namen genannt „Sautrotteln,“ „Oaschlöcher“ oder „Schau ma moi.“ Nachdem es mir wichtig war, dass er mich nicht so brunzdumm wahrnahm, wie ich mir vorkam, habe ich in dieser Zeit relativ viele Geschichtsbücher nachlesen müssen, damit es mich nicht immer schon nach zwei Minuten aus dem Gespräch raushaute. Sigi war umfassend gebildet und sehr belesen. Und bei aller linker Kampfrethorik und Protestkunst hat er sich auch sehr mit der anderen Seite seiner Gesinnung und deren Zugang zur Sicht der Welt auseinandergesetzt. Was ihn natürlich politisch noch mehr links einzementierte. Weil eigentlich geht es nur um Liebe und Gerechtigkeit.

Zielperson Sigi Maron

In der Zeit der Bombenattentate seitens des wahnsinnigen Franz Fuchs 1995 tauchte Sigis Namen dann auch auf dieser Liste der Zielpersonen auf. Die Stimmung in der Firma war aufgeheizt. Man musste die Post durchscannen lassen. Es fühlte sich unbehaglich an, wenn die Polizei da herumstiefelte. Sigi war zutiefst entsetzt über die Morde an den Roma in Oberwarth. Es war ohnehin ziemlich unmöglich, in seiner Gegenwart oberflächlich und ignorant zu sein, er forderte von seinem Umfeld täglich Gewissen und Bewusstsein ein. Aber in diesen Tagen rollte er extra laut politisierend und lamentierend in diesem elendig langen Gang auf und ab.

Eines Tages, wahrscheinlich hat es wieder jemanden durch eine Briefbombe erwischt, kam er heran und es lag auf seinem kleinen Schoss eine Pistole. Er wollte sich schützen. Das war dann schon sehr beängstigend. Dieser leidenschaftliche, zornige Mann, der seit Tagen ausser sich ist, wahrscheinlich kaum geschlafen hat und sich unter Druck fühlt, hat eine geladene Waffe dabei. Da habe ich meine Bürotür zugemacht, sicher ist sicher, wer weiss. Nach einiger Zeit, riss Sigi die Tür auf und rief: „List, wieso ist die Tür zu?“ „Ich fürchte mich vor der Waffe.“ „Komm heraus. Bei Gewalt muss man rausgehen und schauen was los ist.“ Ich habe mich weiter gefürchtet, aber die Tür offen gelassen.Im Herbst jenes Jahres organisierte Sigi zusammen mit Kollegen und Kolleginnen eine grosse Benefizveranstaltung in der Wiener Stadthalle „Stimmen gegen Hass und Gewalt.“ Begleitend dazu kuratierte er über unsere Plattenfirma eine CD, auf der Künstler wie Lukas Resetarits, Hubert von Goisern, Harry Stoijka und viele mehr ihre Lieder gratis zur Verfügung stellten. Die Erlöse davon kamen meines Wissens nach dem Umfeld der ermordenten Roma in Oberwart zu. Das ganze kostete den Sigi viel Kraft, man vergass ja oft, dass er, bei aller inneren Stärke, durch seine Behinderung niemals so belastbar war wie wir. Aber es war ihm so unendlich wichtig. Er teilte alle und jeden ein, und nachdem er ja so zornig war, widersprach auch niemand. Bis zum Schluss standen wir in der Stadthalle und hackelten, alle, von der Buchaltung bis zum Marketing oder der Geschäftsführung und verteilten Zetteln zur Bewerbung der BenefizCD.

Oaschaktion bleibt Oaschaktion

Es gab damals in den Plattenfirmen eine Regelung, die für Aussenstehende recht zynisch anmutete. Immerhin kostete eine CD im Verkauf damals viel Geld. Aber wenn ein Artikel sich nicht gut genug absetzte, war es Usus, die Lagerdrehzahl zu reduzieren und die CDs vernichten, also schreddern zu lassen. Einmal im Monat bekam man ein Excelsheet und sah’ sich die Artikel an. Bei den rot markierten musste man den Lagerstand reduzieren, oder bei totalen Flops den Artikel streichen. Makulieren nannte man das. Einige Monate nach der Veranstaltung waren noch viele CDs von Sigis Projekt am Lager, einige tausend Stück. Die Marketingleitung makulierte sie routinemässig, wie viele andere auch. Eher aus Gewohnheit, als auch Ignoranz. Oder vielleicht war auch genau das Problem. Denn man machte laut Sigi niemals etwas, ohne darüber nachzudenken, auch keine tägliche Routine. Was dann folgte war beispiellos und für viele Kollegen und auch für mich sehr prägend. Sigi ist komplett ausgezuckt ob dieses kapitalistischen Drecksverhaltens, immerhin hätte man die CDs einfach ausfakturieren und den Protagonisten zum privaten Weiterverkauf zur Verfügung stellen können, das wäre geistiges Eigentum von den Künstlern zur Vervielfältigung zur Verfügung gestellt. Lizenzrecht hin oder her, es ging hier um Opferfamilien und nicht um Aktien. Er schiss jeden zusammen, der auch nur im Ansatz zu kalmieren versuchte und meinte, es gäbe auf die Aktion kein Aber-Gelaber. Oaschaktion bleibt Oaschaktion. In den Wochen danach hüllte er sich in Zorn und Schweigen, wir bekamen es alle ab. Die halbe Firma grüßte er nicht mehr. Sigi hatte immer einen erheblichen Anteil an der emotionalen Stimmung in der Firma, also herrschte Eiszeit. Und es war schrecklich. Aber: es gab niemanden in dem Haus, der nicht zumindest dieses Mal in seinem Leben über die Werte der Gesellschaft im allgemeinen und der Mikrozelle, in der man selber unterwegs war, nachdachte und wie man sie mit kleinen Entscheidungen mitgestalten könnte. Die Macht des Steines, der in den See geworfen wird und nach drei Stunden, als kleine flache Welle am Ufer noch seine Auswirkung hat, wie er einmal in einem Interview sagte.

Im Sozialraum

Irgendwann, am Ende dieser gefühlt monatelangen Katharsis, wo alles an Entschuldigungen und Diskussionen nichts fruchteten und man sich an die neue Stimmung in der Firma als Teil der Oaschpartie gewöhnt hatte, war ein Konzert von Sigi in der Kulisse angesagt – und seine CD Präsentation. Wir gingen alle hin und waren gespannt, wie sich die Geschäftsleitung verhalten wird, ob sie auftaucht, ob wer was sagt. Und ob Sigi ihnen eines über die Rübe gibt in aller Öffentlichkeit. Harald Büchel, der Geschäftsführer, stellte sich zu ihm auf die Bühne und sagte ein paar sehr schöne Worte über den Sigi und seine neue Platte. Und zollte ihm damit in allen seinen Ausprägungen, auch den wilden, unflätigen, Respekt. Worauf der Sigi weinte, worauf wir alle weinten und der Abend und auch das Konzert war wunderschön.

Am nächsten Tag rollerte er mir vergnügt am Gang entgegen und rief: „List, du bist grün, ein entsetzlicher Anblick!“ Und dann war er wieder da. Und wir gingen Kaffee trinken, in den Sozialraum, was wir gar nicht müssen hätten, ich hatte ja ein eigenes Büro. Aber man musste den Sozialraum nutzen, denn so ein Sozialraum in einer Firma sei nichts Selbstverständliches.