AKUT

Oxytocin: die Single & das Kuschelhormon

Guter Sex triggert das „Kuschelhormon“ Oxytocin, macht anhänglich. Nicht eben das, was überzeugte Singles brauchen.

Text: Manfred Sax

Oxytocin – das Wort kommt schon lange nicht mehr fremd daher, gelegentlich wird es zur Statusmeldung im Netzwerk, da heißt es dann „Oxytocin!“ und sonst nichts, aber du weißt, dieser Frau (es ist immer eine Sie) ist etwas Angenehmes widerfahren; sie fühlt sich kuschelig, stressfrei und vertrauensselig, sie spürt Zuneigung und einige Nettigkeiten mehr. Möglich natürlich auch, dass sie lediglich einen Orgasmus hatte. Aber im Allgemeinen ist Oxytocin positiv besetzt, es hat Gründe, warum dieses Hormon, das sich habituell im Umfeld von zärtlichen Zweisamkeiten breitmacht, unter anderem auch „Kuschelhormon“ genannt wird. Meine Freundin, die Single, ist über Oxytocin ziemlich im Bilde. Nur sieht sie die Sache herber, erklärte sie mir vor Kurzem. Sie ist bewusste Single, das heißt auch, das „Ich“ hat Priorität, also Faktoren wie Unabhängigkeit, Karriere und mangelnde Bereitschaft zu Kompromissen. Das Thema Nachwuchs ist bei ihr schon lange unter „negativ“ archiviert, wenn auch Sex nicht etwas ist, auf das sie gern verzichtet. Sie hat Sex, zuletzt mit einem Mann, dem sie bei bestem Willen keine menschlichen Qualitäten, die ihr imponierten, nachsagen konnte. Es war so eine Art Sex, nach der frau gern gleich aus dem Bett steigt, „derweil d’Schuah nu warm san“ (© GL). Keineswegs schlechter Sex, sagte sie, aber zu wirklich gutem Sex fehlt dann doch ein gutes Stück. Und das sei gut so. Denn mit wirklich gutem Sex hat sie ein ärgerliches Problem, das sie mit zwei Worten ausreichend definieren kann: „Scheiß Oxytocin“.

Tja, nicht mal das geschätzte Kuschelhormon kommt heute ohne Zwiespalt daher. Natürlich hat es seinen evolutionären Sinn, sonst wäre es nicht hier. Es macht zwischenmenschlich und nachwuchspraktisch (sein Name kommt vom altgriechischen okys tokos = schnelle Geburt), es sorgt für Mutter-Kind-Bindung und partnerschaftliche Loyalität. Und Tatsache ist auch, dass insbesondere guter Sex nicht ohne Oxytocin-Bonus verläuft. Guter Sex schafft Zuneigung und macht anhänglich, erzeugt Sehnsucht nach mehr und bitte gleich, wenn möglich. Anders gesagt: Oxytocin erzeugt zu viele Qualitäten, die ein bewusster Single nicht braucht. Nichts gegen Vertrauen, aber manchmal hast du Gründe, auf dein grundsätzliches Misstrauen nicht zu verzichten; außerdem stehst du in wirtschaftlich prekären Zeiten eher auf Kontrolle. Weiters macht sexuelle Zuneigung kompromissbereit, das passt nicht ins Single-Konzept. Ärgerlich dann, wenn plötzlich diese bohrende Sehnsucht da ist, die nicht kongenial erwidert wird, so was stört bei der Konzentration auf die Dinge, die nun mal wichtiger sein müssen. Es gibt jede Menge Gründe, das Oxytocin im Blut zu dissen, auch wenn ein Mangel an dem Stoff sie anfälliger für Depressionen macht.

Hier ist wohl eine Anmerkung fällig, für männliche Singles unter den Lesern, die sich möglicherweise fragen: Was ist hier los? Warum habe ich kein Problem mit gutem Sex? Warum kann ich ungeniert kuscheln, ohne später in die Sackgasse der ungestillten Sehnsucht zu geraten? Warum stört dieses Hormon nicht meine Single-Identität? Leide ich unter Oxytocin-Mangel? Also nein, „leiden“ kann man dazu nicht sagen. Aber tatsächlich ist der Mann weniger für Oxytocin-bedingte Zustände anfällig. Es ist eine Frage des Treibstoffs; nennen wir es sein evolutionäres Erbe. Die Evolution wollte es, dass Männer vorwiegend mit Testosteron betrieben werden (Jäger!), Frauen mit Östrogenen (Kinder!). Und erwiesen ist, dass Testosteron die Bildung von Oxytocin unterdrückt, während Östrogene die Abgabe von Oxytocin stimulieren. Das hatte mal seinen Sinn. Testosteron ermöglichte es unserem Vorfahren, dem Afrikaner, seine Gazelle zu erlegen. Unter Einfluss von Oxytocin hätte er den flinken Vierbeiner vermutlich lieber umarmt und zur geschützten Spezies erklärt. Das heißt jetzt nicht, dass der Mann Oxytocin-immun ist. Innig zelebrierter Sex verpasst auch ihm eine spürbare Dosis des Hormons, die ihm immerhin gestattet, die Zigarette danach in gedankenfreier Wunschlosigkeit zu genießen, ehe sich das Abenteuer Karriere erneut seiner Synapsen bemächtigt. Experimentell erwiesen ist, dass das natürliche Ende seiner sexuellen Aktivitäten, der Orgasmus, ein enger Verbündeter von Oxytocin ist. Nur ist der Orgasmus für ihn eine eher habituelle, praktisch alltägliche Angelegenheit, das Oxytocin gelangt in entsprechend kleiner Dosis in sein Blut, ausreichend immerhin, um das Stresshormon Cortisol eine Weile an seinen Unrast vermittelnden Aktivitäten zu hindern. Erwähnenswert auch, dass Drogen wie Viagra und insbesondere Ecstasy äußerst Oxytocin-aktiv unterwegs sind, das macht die User von letzterer so dämlich loved-up.

Das Dumme für Frauen wie meine Freundin, die Single, ist, dass ihr Gehirn keinerlei Schwierigkeiten hat, die Oxytocin- und Östrogen-Bedingtheit von ihrer evolutionären Last zu befreien und dem Sex ein entsprechendes Re-Branding zu verpassen. Ihr Kopf kann die biologische Funktion von Sex – Reproduktion – archivieren und den Sex auf Basis seiner anderen formidablen Qualitäten – Gesundheit, Wellness, verdammt cooles Tun – einsetzen, nur macht der Körper nicht so recht mit, es fehlt ein hormonelles Design, das zur Single-Identität passt. Ein perfektes Date mit einem FWB (Friend With Benefits) ist nie nur ein perfektes Date, es erzeugt Nachwehen, die generell beziehungspositiv daherkommen, vom unzeitgemäßen Konzentrationsmangel und darob getriggerter Facebook-Prokrastination ganz zu schweigen; Dinge eben, die keine bewusste Single braucht. Die Evolution ist mitunter ein Hund. Besonders ärgerlich für die Oxytocin-Gegnerin, dass sie das Hormon braucht, um einen Orgasmus zu genießen. Was beim Mann dank Testosteron-Überschuss generell so locker läuft, dass sich das Ereignis sogar öfter als gewünscht vorzeitig ergießt, ist für sie eine komplizierte Sache. Sie braucht Oxytocin, um die Kontraktionen zu triggern, die unter anderem auch zur Ekstase führen. Tja, man kann also Oxytocin nicht wirklich hassen. Aber man kann es hasslieben.

Illustration: Stefanie Sargnagel