AKUT

Sonntags beim Billa am Stern

Sarah Wetzlmayr

Bevor es all diese hippen Rund-um-die-Uhr-Lieferdienste gab, ruhte alle Hoffnung am Sonntag auf einem einzigen Ort: Dem Billa am Praterstern. 

von Sarah Wetzlmayr

Wer das sogenannte pralle Wiener Leben in nur einer Stunde erleben möchte, sollte am Sonntag den Weg zum Praterstern auf sich nehmen und dort, auf eine Leberkässemmel zum Beispiel, zum Billa schauen. Vom gestressten Manager, der vor lauter gestresstem-Manager-Dasein vergessen hat, dass sich die Milch im Kühlschrank nicht von alleine nachfüllt, bis zu denen die sich vom Heimweg von der After Hour schnell noch eine Tiefkühlpizza mitnehmen, ist hier nämlich ganz Wien abgebildet. Das mit dem „schnell noch“ ist jedoch, egal in welchem Geisteszustand man sich befindet, allerdings eine gern hingenommene Praterstern-Illusion – denn entschließt man sich einmal dazu, Teil der Sonntags-Kassenwarteschlange zu werden, bleibt man das auch für einige Zeit. Doch das scheint okay zu sein, denn anders als am Montagmorgen in der gepflegten Innenstadtfiliale plärrt hier niemand „Kassa, bitte“ und löst damit eine chorartige Kassen-Grantelei aus. Hier ist es einfach so – man wartet. Und das wird akzeptiert. Einfach so. Und sonst zischt man sich ein Ottakringer einfach schon in der Schlange rein. Bloß so.

In der Kassenwarteschlange spielen sich Tragödien wie Komödien ab und außerdem auch alles dazwischen. Es gibt immer etwas zu sehen. Und das ist auch gut so, denn es hilft den Geruchs-Cocktail aus Urin, altem Bier und Tetrapackwein für ein paar dramatische oder auch komische Momente auszublenden. Es ist eindeutig – der Billa am Stern ist das in seinem ganz eigenen seltsamen Rhythmus pochende Herz einer Woche für Woche am Samstagabend sterbenden Stadt. Das beklemmende Gefühl von plötzlicher Lebensmittelknappheit in der Stadt überfällt einen auch eigentlich nur vor dem Tiefkühlregal – ganz besonders betroffen: Die Tiefkühlpizza der Billa-Eigenmarke Clever. Hier herrscht bereits um 15.oo gähnende Leere vor den vor dem Regal um die Wette gähnenden Einkäufern. Basierend auf diesen Beobachtungen,  sollte man eigentlich auch meinen, dass an diesem speziellen Ort nur zählt was man wirklich braucht (Pizza, Cola, Kuchen vom Meisterbäcker Ölz eventuell) aber weil die sonntägliche Einkaufserfahrung für den gemeinen Wiener eine solch magische Erfahrung ist, verschwimmen hier diese Grenzen recht schnell und man findet sich plötzlich mit einem Bio-Soja-Joghurt wieder (okay, okay, noch nie passiert). Hat man dann schließlich die lange Hunger- und Durststrecke in der Kassenschlange überstanden und ist damit um ziemlich viele Informationen über einen Haufen irgendwie plötzlich bekannter Unbekannter reicher, trägt einen der magische Teppich aus Pisse- und Biergestank wieder nach draußen. Wieder ins tote Wien, das erst am Montagmorgen wieder mit dem üblichen Montagsgrant ausgestattet aufwacht. Und der Billa-Leberkäse schmeckt plötzlich irgendwie auch nicht mehr so gut.