AKUT

Derrick war ein Unsympathler

Franz J. Sauer

Wenn man  zwischen 1970 und 1985 geboren wurde, kennt man ihn noch aus dem Fernsehen: Oberinspektor Stephan Derrick, dargestellt von Horst Tappert und manchen, die dem regelmäßigen Genuss des Freitag-Abend-Krimi frönten, sowas wie ein Familienmitglied. Allerdings nur, solange man den unsympathischen Münchner nie persönlich traf.

Text: Franz J. Sauer Fotos: Getty

Dem Schreiber dieser Zeilen wurde die zweifelhafte Ehre, den tollen Fernsehkomissar persönlich zu treffen, im November 1998 zuteil. Damals trat der berühmte TV-Star und weniger berühmte „Charakterdarsteller“ zum ersten und auch zugleich letzten Mal im Wiener Burgtheater auf. Als Erzähler seiner eigenen, bewegenden Geschichte. Ich durfte Horst Tappert damals im Auftrag des Veranstalters chauffieren und lernte keineswegs den gütigen, alten Onkel kennen, den er bei Auftritten abseits der Mattscheibe – also diversen Fernsehpreis-Verleihungen, deren der gute Horst ja zahlreiche abräumte – gerne darstellte.

Klar, Derrick an der Burg – das machte schon was her. Das Programm für den Abend bestand aus zwei Teilen; zunächst würde der 1923 im Wuppertal geborene und im Krieg bei einer Einheit der Waffen-SS gedient habende Schauspieler aus seiner eigenen Biografie vorlesen, so weit so schnarch. Dann aber würde Erzählonkel Helmut Zilk Herrn Tappert in gewohnt launiger Art und Weise mit Fragen zu allem und jenem (freilich allerdings nicht zur brisanten Vergangenheit) bewerfen, wie sich das für einen so hohen Wien-Besuch standesgemäß gehört.

DERRICK in der Garderobe

Speziell Tränen der Rührung versprühte der Meister, als er von der Bühnenverwaltung jene Garderobe zugewiesen bekam, in der einst Werner Kraus logierte. Tappert gab sich begeistert, so eine Ehre aber auch, und das dem „kleinem Fernsehkommissar“, ganz viel große Bescheidenheit also – genau so lange, bis die Dame vom Burgtheater außer Hörweite war. Dann begann er zu motzen: „Alles dreckich hier, das soll ne Garderobe sein, lauter alte Möbel, kein ordentliches Waschbecken, wie soll ich da meine Haare raufkriegen, ’n Mief is dat hier …“ und so weiter. Den Veranstalter schnauzte er bei jeder Gelegenheit ungut an, wie man sich das vorgestellt hätte, ihn hier so schlecht zu behandeln und überhaupt, wer sei dieser Zilk, würde der ernsthaft einem wie ihm Fragen stellen sollen, dürfen, können?

Schon am Nachmittag vor der Vorstellung bekamen wir eine kleine Kostprobe der Liebenswürdigkeit von Horst Tappert. Um 16 Uhr waren wir, der Derrick-Tross, im Wiener Funkhaus geladen, um bei der beliebten Nachmittags-Regional-TV-Show „Wien Heute“ aufzutreten. Die komplette Sendung hatte man um Derrick-Tappert herum gezimmert. Er durfte aus seinem erlebnisreichen Schauspieler-Leben erzählen, davon wie er auf Fritz Kortner traf, was er mit Maria Schell alles anstellte und wie sich Derrick in der japanischen Synchron-Fassung anhörte (grauenhaft). Zu guter Letzt schließlich versammelte sich ein Battaillon des Gendarmeriekommando Niederösterreich im Studio, sang dem berühmten Fernsehstar ein Ständchen, um ihm, dem bekannten Sammler von internationalen Polizeikappen, hernach eine Original Generals-Mütze der eigenen Einheit zu überreichen. Wieder: Tränen der Rührung, mei, was er sich nicht freut, die bekommt einen Ehrenplatz in seiner Sammlung, schluchz, jammer. Der Ehrenplatz materialisierte schließlich auf der Hutablage des 7er-BMW, mit dem wir ihn chauffierten. Dort pfefferte er sie nämlich hin und wenn die Karre nicht verschrottet wurde, liegt sie heute noch dort.

DERRICK frißt.

Nach dem Burgtheater-Remmidemmi trafen wir uns alle, also Tappert, der Veranstalter, Zilk und Dagi, meine Wenigkeit sowie Fotografenlegende Conny De Beauclair im Hotel-Restaurant zum Dinner. Derrick kam zu spät, mit dem gemurmelten Vermerk „Scheiß-Toupet“ (scheinbar war bei der Montage des selbigen ein Mißgeschick passiert), setzte er sich zum Tisch und parlierte genervt mit dem Altbürgermeister, der sich wie üblich sowieso selbst am liebsten reden hörte. Weil aber Dagmar Koller am nächsten Tag „früh raus müsse“, verabschiedeten sich die prominenten Gäste bald, dem Veranstalter, Conny und mir blieb die Ehre, Horst Tappert beim Fressen zuzusehen.

Weil ja, er fraß, der Derrick.

Weil ja, er fraß, der Derrick. Er bestellte sich einen Tafelspitz mit Kartoffelpüree und Reis, legte sich eine große Lage Fleisch flach auf den Teller, belegte sie wie ein Schinkenbrot mit Püree, Reis und Apfelmus, um dann den Batzen Rindsfleisch auf eine Rollade zusammenzukoffern und sich diese mit der blanken Hand in den Mund zu stopfen – was freilich gehörig schief lief. Die gesamte „Reis-Fülle“ purzelte aus der Rollade auf den Fußboden, ausserdem hatte Onkel Horst scheints vor gehabt, das komplette Abendmahl mit zwei Bissen all in zu verspeisen, weshalb ein Gutteil der Fleischspeise auch wieder aus des Oberkomissars Fresse purzelte. So weit, so gustiös …

DERRICK brüllt aus dem Wagen

Am nächsten Morgen dann hatte ich die ehrenvolle Aufgabe, Herrn Tappert zum Flughafen zu fahren. Weil eine Ampel zu lange auf rot stand, kam ich etwa drei Minuten zu spät in die Hotellobby am Ring, wo „The Man“  bereits auf mich wartete – und sofort zu schimpfen begann: „Ich warte hier seit 25 Minuten, was glauben Sie wer Sie sind? Wir kommen niemals pünktlich zum Flughafen, ich versäume meinen Flug!“ Ich versuchte zu kalmieren, beruhigte mit dem Verweis, dass man in Wien nur 15 Minuten zum Flughafen bräuchte und nicht über eine Stunde, so wie in München. Aber Tappert glaubte mir kein Wort: „Reden Sie kein Blech! Fahren sie endlich. LOS!“

Ich tat wie mir geheißen, orgelte den schönen 7er BMW durch die Nebenfahrbahn, dass der Split nur so staubte. Und dann geschah es.

Ein Taxler am Standplatz plante, just in jenem Moment aus der Reihe der Wartenden auszuscheren, als wir heranbrausten und das ohne Rücksicht auf Verluste oder Blick in den Rückspiegel. Trotz Vollbremsung touchierte ich das Taxi am linken Vorderreifen.

Der Schaden war überschaubar, bloß ein paar Flecken am Gummi und der Taxler wußte sich ja auch als Schuldigen, plante also keine Staatsaffäre, zumal der BMW die Feindberühung sowieso unbeschadet überstanden hatte. Dennoch entlud sich auf dem armen wie überforderten Droschkier der gesamte Frust aus 24 Jahren Derrick. Tappert drückte das rechte Seitenfenster hinunter, steckte seinen Kopf zur Gänze aus dem Fenster, brachte sich in Position und brüllte aus vollem Hals, auf dass man es noch in der Staatsoper gut hören könnte: „SIE BLÖDER HUND!!“

Man muß sich das nun vorstellen: Du bist Taxler, stehst in Wien am Taxistand, plötzlich braust ein BMW daher, ditscht Dir gegen das Vorderrad und aus dem Hinterfenster brüllt der bekannte, deutsche Fernsehkommissar, den Du gestern Abend noch im Hauptabendprogramm gesehen hast, dass Du ein blöder Hund bist. Ein denkwürdiger Moment. Was zum Erzählen für die Enkerln, irgendwann.

Wir kamen übrigens rechtzeitig zum Flughafen, Herr Tappert erreichte sein Flugzeug. Und zur Verabschiedung kegelte mir Oberinspektor Derrick freundschaftlich die Schulter aus, mit dem gebellten Vermerk: „Sie sind ein guter Fahrer!“

Für TV-Nostalgiker: hier die erste Staffel von 281 „Derricks“ aus dem Jahr 1974 in voller Länge.