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Telefonzellen: Wir brauchen euch!

Sarah Wetzlmayr

Die Telefonzelle wird zum Getränkeautomaten für elektronisches Klumpert? Finden wir gar nicht gut.

von Sarah Wetzlmayr

Die Wiener Telefonzellen sind – oder sollte man besser sagen, waren – gemeinsam mit den öffentlichen Gewichtswaagen eine der letzten Bastionen dafür, dass Form immer noch über die Funktionalität siegen kann. Niemand braucht sie so wirklich und doch sind sie einfach da. Und das vollkommen unhinterfragt. Für die Waagen gilt das nach wie vor. Für die Telefonzelle weniger. Die hat sich schon längst an das digitale Zeitalter angeschlossen und soll in Wiener U-Bahn-Stationen teilweise sogar in Getränkeautomaten für elektronisches Zeug umgewandelt werden: Akkupacks, Selfie-Sticks und Co. Ihr wisst schon.

Dabei sind – oder besser, waren – die Verwendungsmöglichkeiten für Telefonzellen doch so vielfältig:

_01. Schmusen. Oder Fummeln. Oder einfach Sex haben. Die Telefonzelle bietet dafür die perfekte halböffentliche Atmosphäre. Ideal für Outdoorsex-Einsteiger, die draußen sein wollen, aber einen halbwegs geschützten Rahmen zu schätzen wissen. Falls es wirklich bis zum Geschlechtsverkehr kommt, sollte man alle Erfahrung einbringen, die man beim Sex in öffentlichen Toiletten bereits sammeln konnte. Das bedeutet auch: Berührungen zwischen Telefonzellen-Inventar und nackter Haut vermeiden! Auch von Fesselspielen mit dem Telefonkabel ist abzuraten.

_02. Wer erinnert sich noch an Rat auf Draht? 447! Klingelt’s? Und wer erinnert sich noch daran, sich zu fünft während der Freistunde in der Telefonzelle einzuschließen, um sich mittels Rat auf Draht zum ersten Mal vor Dr. Sommer wichtige Fragen zum ersten Mal zu stellen? Während einer nostalgischen Wiener-Nacht mit den besten Freunden aus der Oberstufe kann dieses Verlangen schon wieder mal aufflackern. Wenn man dann vor verschlossenen (Telefonzellen-)Türen steht, ist das schon bitter.

_03. Man kann sich auch in aller Ruhe in minimalistischer Street-Art üben. Von jeglichen klimatischen Einflüssen unberührt, lässt sich hier ganz große Kunst vollbringen. Wenn man das auch will. Sonst kann man auch einfach nur „B + L“ (alle beliebigen Buchstaben einsetzbar) draufschreiben und ein kleines Herz darum herum malen. Geht auch. Ist auch schön.

_04. Es lassen sich hier auch einige für den Lebenserhalt nützliche Dinge tun. Beispielsweise, wenn es draußen schneit, regnet, stürmt (oder alles zusammen): Nach einem schlechten Tinder-Date ein Dosenbier trinken (das kann man natürlich auch gleich mit ein wenig Telefonzellen-Street Art verbinden), einen Käsekrainer-Hotdog essen oder eine längere WhatsApp-Nachricht verfassen (die Atmosphäre der Telefonzelle eignet sich natürlich besonders für Trennungs-Nachrichten).

_05. Den Geruchssinn abhärten. Jede Telefonzelle stinkt anders, aber in jeder stinkt es. Wenn man – nach einem Umzug beispielsweise – der Straßenbahnlinie 6 ausgeliefert ist, kann man sich durch die Geruchsvielfalt der Wiener Telefonzellen optimal darauf vorbereiten. Bei der ansteigenden Anzahl an offenen Kabinen wird einem dieser Punkt allerdings zunehmend schwerer gemacht.

_06. Sinnvolle Dinge sind natürlich auch möglich. Wie Bücherschränke einrichten und durch solch öffentlichen Bücherregale die Wiener Bevölkerung zum kulturellen Austausch animieren. Ja. Eh.

Foto: Getty Images