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Was bleibt ist die Hoffnung

Heinz Kinigadner ist einer der größten österreichischen Sportler, nach zwei Motocross-WM-Titeln Mitte der 80er-Jahre fuhr er zahlreiche Rallyes für KTM. Ein Held für die Öffentlichkeit, kämpft er im Privaten mit Schicksalsschlägen. Nach der Querschnittsverletzung seines Sohnes gründete er die Stiftung Wings For Life, am 7. Mai sammeln sie Spenden beim globalen Wings for Life World Run.

Interview: Manfred Rebhandl/Fotos: Geli Goldmann

Herr Kinigadner, wir sind mit dem Zug angereist, weil ich ein Umweltschützer bin und Verbrennungsmotoren ablehne. Reden Sie als 2-facher Motocross-Weltmeister und vielfacher Rallye-Dakar-Teilnehmer trotzdem mit mir?

Ja freilich, das ist schon okay für mich. Das meistverkaufte KTM-Bike letztes Jahr war übrigens die Freeride Elektro, so viel dazu.

Sie wohnen hier im Zillertal am nach Ihnen benannten Kiniweg, Respekt. In Wien ist man erst jemand, wenn man ein Grab am Zentralfriedhof hat. Ist Tirol da weiter mit der Ehrung seiner Helden?

Das ist nichts Besonderes hier in Uderns, da sind die ganzen Wege mehr oder weniger nach den Familien benannt, die hier leben. Das ist ja ein kleiner Ort.

Sie sind viel herumgekommen in der Welt, trotzdem gilt: einmal Tiroler, immer Tiroler.

Das schon. Aber nach zwei Wochen hier im Tal werde ich ein bisserl unrund, da muss ich irgendwohin, in mein Haus auf Ibiza oder woandershin.

Sie waren hier Bäcker und Konditor.

Mein Vater hatte hier mit EZEB-Brot eine der größten Bäckereien in Tirol aufgebaut. Ich habe auch hier gelernt, zuerst Bäcker, dann noch Konditor, weil man da kreativer sein kann, wenn man eine dreistöckige Hochzeitstorte macht.

Hat Spaß gemacht?

Klar, ich bin bis heute ein Süßer. Ich stehe auf Sahne, auf Eis, auf Pudding, auf Früchte, weniger auf Cremen. Wenn wir früher Faschingskrapfen gemacht haben, dann ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht zehn verputzt habe.

2003 verunglückte Hannes Kinigadner während eines Benefizrennens. Sein Vater Heinz Kinigadner gründete die Stiftung Wings for Life, mit deren Hilfe Querschnittsverletzungen einmal geheilt werden sollen. „Aufgeben kommt nicht infrage“, sagen beide.

Und trotzdem wollten Sie irgendwann lieber Motorradl fahren?

Ich habe das Glück gehabt, dass ich Chef von der Mischerei war. Da bin ich um acht Uhr am Abend in die Arbeit gegangen und um vier in der Früh war ich fertig. Dann habe ich ein bisserl geschlafen, und dann bin ich raus und bin gefahren. Im Winter hat mich der Nachbar-Bauer auf dem Acker fahren lassen, oder ich bin auf der anderen Seite hinauf in den Wald, da waren die Förster und Jäger meine größten Feinde, heute sind sie natürlich auch meine Freunde.

Das war die Zeit, als „Fast“ Freddy Spencer mit der 500er-Straßenmaschine Weltmeister geworden ist. Warum haben Sie sich für Motocross entschieden?

Motocross war für mich einfach der beste Sport, ein bisschen wie Eishockey, du kannst da mit Kraft unglaublich viel machen, und die Kraft habe ich gehabt. Darum habe ich ja bei KTM am Anfang einen Vertrag für die 500er-Klasse unterschrieben. Aber dann war ich zur Vorbereitung in Amerika bei der Golden-State-Serie, dort bin ich zwei Rennen gefahren, und die 500er war so ein Monster, die ist mir vorgekommen wie ein Traktor. Also hab ich von dort den KTM-Chef angerufen und gesagt: Pass auf, ver- giss den Vertrag, in der 500er-Klasse fahre ich nicht! Dann hat er gesagt: Aber für die 250er bist du ja viel zu groß! Ich war aber glückselig mit der 250er, also hat er gesagt: Na gut, dann fahr halt die 250er!

Mit der sind Sie dann zweimal Weltmeister gewor- den. Ihre größten Gegner hießen Arno Drechsel und Jacky Vimond. Haben Sie noch Kontakt zu ihnen?

Zum 30-jährigen Jubiläum meines zweiten WM-Sieges, 2015, wollte ich ein paar Kollegen von damals nach Ibiza einladen. Ich habe mir gedacht, fünf bis sechs Burschen werden schon kommen. Aber dann waren wir über 60, inkl. Betreuer und Journa- listen, und die zwei waren natürlich auch dabei. Der Jacky Vimond war aber damals nicht mein Freund, der war ja 1985 wirklich angefressen auf mich, weil ich da unverhofft doch noch mal Weltmeister gewor- den bin. Der hatte ja vor dem letzten Rennen 12 Punkte Vorsprung, nachdem ich die Saison sehr verhalten angefangen habe und nicht fit war …

Gerhard Berger sagte einmal, einen Formel-1-Wagen lenkt man „mit dem Arsch“, dort lege das Gefühl. Womit lenkt man eine 250er-Motocross-Maschine?

Mit der Kraft. In meiner besten Zeit habe ich 86 Kilo gehabt, der Durchschnittsfahrer hatte 75. Der beste Motocross-Fahrer ist der, der am fittesten und stärks- ten ist. Wenn du 40 Minuten auf der Maschine stehst, und du stehst ja die meiste Zeit, dann brauchst du die Kraft in den Schenkeln. Darum fahren ja zum Beispiel alle Skifahrer im Sommer Motocross.

Berger fing zur gleichen Zeit in der Formel 1 an, als Sie zum ersten Mal Weltmeister wurden. Hatten Sie als Tiroler Kontakt oder hat sich Berger allzu schnell in Richtung Wohnsitz Monaco entwickelt?

Drei Kilometer von hier ins Tal hinein hat die Rosi gewohnt, seine erste Freundin und Mutter seiner Tochter Christina. Und er hält wahrscheinlich heute noch den Rekord auf der Achenseestraße mit dem Straßenmotorrad, der war ja der verrückteste Hund da in der Gegend. Der ist die Straße da rauf- und runtergerast, das kannst du dir nicht vorstellen.

Sie waren in Ihrer Zeit Experte für Dreck, haben Sie den Regen geliebt?

Nein, ich bin eigentlich gar nicht so gerne gefahren im Dreck. Aber ich habe halt 99 Prozent der Rennen im Dreck gewonnen, weil ich so groß und stark war. Da habe ich die Maschine leichter aus dem Dreck herausgeholt, wenn ich gestürzt bin, und gestürzt bist du ja dauernd, wenn der Boden so tief war. Einmal in Namur in Belgien hat es so geschüttet, dass der Georges Jobé, gegen den ich dann eine Saison in der 500er-Klasse gefahren bin, zu mir gekommen ist und gesagt hat: Komm, wir gehen zur Rennleitung, da fahren wir nicht. Also bin ich mit ihm hingegangen zu dem Häusel, wo die drinnen gesessen sind. Aber auf dem Weg dorthin hat mich mein Betreuer abgefangen und gesagt: Heinz, bist du verrückt? Das ist genau dein Wetter, das Rennen wirst du gewinnen! Hab ich gesagt: Spinnst du? Und er wieder: Du gewinnst ganz sicher! Also habe ich zum Jobé gesagt, er soll alleine zur Rennleitung gehen, und ich habe dann wirklich meinen einzigen Grand Prix in der 500er-Klasse gewonnen.

Ist es eigentlich bergauf oder bergab schwerer zu fahren?

Bergab kannst du natürlich viel mehr machen, da gewinnst du die Rennen. Da kannst du Sekunden herausholen.

Und wenn einem der Dreck und die Steine der Vorderleute ins Gesicht spritzen?

Das meiste fängst du mit dem Helmschild ab.

Trotzdem hat es ein paar Mal gekracht. Auf Fotos sieht man: Heinz Kinigadner mit Oberarmbruch in Italien, Schambein- und Schultereckbruch, ausgeschlagenem Zahn. Wenn man auf einem Rundkurs fährt, dann sieht man im Innenbereich Gott sei Dank immer die Krankenwagen stehen, oder?

Kann man so sagen, dass es ein paar Mal gekracht hat. Wenn du so richtig hoch springst und dann auf hartem Boden landest, dann hat das die Federung oft nicht mehr derpackt. Ich hatte ja so ungefähr 50 Knochenbrüche in meiner Karriere, und wegen eines Schlüsselbeinbruchs bin ich gar nicht mehr zum Doktor gegangen, das war für mich völlig normal. Aber auf die Krankenwagen schaut man natürlich nicht.

Die schönste Strecke?

Schwanenstadt ist natürlich schon das Beste, was man sich vorstellen kann, der Steilhang dort ist ein Wahnsinn, und die Luftstände bei den Sprüngen – extrem hoch. Aber Erinnerungen habe ich viele schöne, an Maggiora in Italien, dort habe ich meinen ersten WM Grand Prix gewonnen …

Sie sind dann auch viele Rallyes gefahren, siebenmal Paris-Dakar oder über Moskau nach Peking …

Oder von Peru über die Anden nach Rio de Janeiro!

Kommt man da auch ein bisserl zum Schauen?

Ich habe viel gesehen bei diesen Rallyes, großartige Landschaften, wunderbare Länder. Aber wenn du von Cuzco in den Anden in einer Stunde hinunterfährst auf Meeresniveau, dann kommst du nicht so viel zum Schauen.

Vater und Sohn leben unter einem Dach im Familiendomizil. „Es liegt in meiner Verantwortung als Vater, dass ich dem Hannes helfe. Wir sind ein gutes Team.“

Den Sternenhimmel in der nächtlichen Wüste haben Sie aber schon genossen?

Das ist beeindruckend, ja. Wunderschön.

Schlafen Sie da auf den Wüstenetappen immer im Hotel oder auch mal im Zelt?

Na, mitten in der Wüste in Afrika gibt es keine Hotels! Da wird das Zelt aufgebaut und hinein mit allen.

Können Sie das Wort „Schicksalsschlag“ noch hören? Ihr Bruder Hans verunglückte 1984 und ist seither gelähmt, Ihr Sohn Hannes verunglückte 2003 ebenfalls und ist auch gelähmt, Sie selbst hatten 28-jährig Hodenkrebs.

Beim Hansi war ich zu jung, um das alles zu realisieren und es richtig zu verstehen …

Aber beim eigenen Sohn …

(lange Pause) Ich hatte ja selbst viele Verletzungen und lange Jahre Probleme mit dem Rücken, ich habe 20 Jahre durchgehend Voltaren geschluckt. Aber wenn du einen Gips hast, dann ist das zwar auch unangenehm, aber du kennst den Zeithorizont. Du weißt, bis dahin wird das wie- der, dann ist der Gips weg, es geht vorbei. Beim Hannes aber …. (Pause) Ich bin oft gelegen und hab mir gedacht, wie es ist: Du spürst den Teil nicht mehr, du schleppst einen Teil deines Körpers mit dir herum, den du nicht verwenden kannst.

Während der ersten Jahre trainierte er acht Stunden
 am Tag, jetzt begnügt er sich mit vier. Bei den Rallyes des Vaters ist Hannes Kinigadner immer mit dabei, alle paar Tage verreisen sie gemeinsam.

Hannes stürzte in Ohlsdorf in OÖ ausgerechnet bei einem Benefizrennen für körperlich Behinderte …

Dann hat mich sein bester Freund angerufen, und ich habe sofort gewusst: Oha, da ist was Schlimmes. Die Notärztin wollte ihn dann nach Linz hinaufbringen, aber da haben wir niemanden gekannt, also habe ich gesagt: Bringt ihn nach Salzburg! Ich war damals am Sachsenring und habe dann Didi Mateschitz um Hilfe gebeten. Während ich noch auf dem Weg ins Krankenhaus war, hatte er vor Ort schon alles geregelt.

Ein Jahr nach dem Unfall haben Sie mit Didi Mateschitz von Red Bull die Wings for Life Stiftung gegründet, die Forschungsprojekte unterstützt, welche an einer möglichen Heilung von Rückenmarksverletzungen arbeiten.

Wir, meine Frau und ich, waren das erste halbe Jahr durchgehend jeden Tag beim Hannes im Spital, ab dem ersten Tag. Am Anfang hat er ja ums Überleben gekämpft, da waren die Lungen voller Wasser, zweimal war er praktisch tot. Und dann kommen da irgendwann die Psychologen und sagen zu ihm, er muss jetzt stark sein, das wird nimmer. Wir haben das nicht akzeptiert und bei Recherchen festgestellt, dass es vielversprechende Forschungsprojekte gibt, um Querschnittsverletzun- gen in Zukunft heilen zu können. Doch das Problem ist: Die Forschung hat zu wenig Geld. Diese Erkenntnis war der Startschuss für Wings for Life. Wir arbeiten daran und hoffen, dass die Situation für Hannes und alle anderen Betroffenen nicht so bleiben wird.

Beschäftigt Sie das täglich? Das Hoffen? Das Wollen, dass es besser wird? Sie sagen nicht Querschnittslähmung, Sie sagen nach wie vor Querschnittsverletzung …

Täglich? Nein. Aber halt … (Pause) … man hofft auf den Lucky Punch in der Wissenschaft, in allen Bereichen, die mit Nerven zu tun haben. Als Bäcker weiß ich, dass ich die Zutaten brauche, damit ich einen Teig zusammenbringe und Brot backen kann. In der Sache Querschnittsverletzung weiß ich, dass ich erst in die Grundlagenforschung investieren muss, damit etwas weitergeht.

Weitergehen heißt?

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir eine Heilung finden werden. Wie weit der Hannes und alle anderen, die schon lange im Rollstuhl sitzen, davon profitieren werden, weiß ich nicht, wir freuen uns über jede Verbesserung, jeden Fortschritt. Und wenn es nur der kleine Finger ist, den sie ein bisschen besser bewegen können. Darum ist es so wichtig, dass wir Spendengelder sammeln, Menschen für den Wings for Life World Run begeistern und gemeinsam die Forschung vo- rantreiben.

Und der Alltag?

Auch da gibt es Rückschläge, das ist oft zäh, wie in der Forschung. Wir vergeben mehrere Millionen Euro pro Jahr an die vielversprechendsten Forschungsprojekte. Und einmal im Jahr gibt es dann ein Treffen, bei dem die Forscher ihre Projekte erklären und uns sagen, welche Fortschritte sie gemacht haben. Auch wenn es dauert, irgendwann wird es Heilung für die Querschnittsverletzung geben, da bin ich mir ganz sicher.


Heinz Kinigadner
wurde 1960 in Tirol als Sohn eines motorsportbegeisterten Bäckers geboren. Er wurde zweimal Motocross-Weltmeister in der 250er-Klasse und fuhr anschließend Rallyes für KTM, deren Aushänge- schild er noch heute ist. Sowohl sein Bruder als auch sein Sohn sitzen
nach Motorsportunfällen im Rollstuhl. Mit seiner Stifung Wings for Life, die er zusammen mit Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz gründete, unterstützt er Projekte, die sich die Heilung solcher Verletzungen zum Ziel gesetzt haben.
 Er lebt mit Großfamilie in Uderns im Zillertal sowie in seinem Haus in Ibiza.

WINGS FOR LIFE WORLD RUN

Heinz und Hannes Kinigadner beim Wings for Life World Run 2015.
Foto: Flo Hagena for Wings for Life World Run

Im Rahmen der Initiative Wings for Life findet am
7. Mai an verschiedenen Orten weltweit zur gleichen Zeit der Wings for Life World Run statt. In Wien wird um 13 Uhr vom Rathausplatz gestartet – mit dem Ziel, so viel Geld wie möglich für Forschungsprojekte betreffend Rückenmarksverletzungen zu sammeln.
Infos und Anmeldung: wingsforlifeworldrun.com

Foto: Matthias Heschl/Red Bull Content Pool