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Fortgehen in Wien: Vom Saunieren und Verlieren

Sarah Wetzlmayr

Fortgehen bedeutet auch immer das Durchstehen sämtlicher Verlustängste. Verstand und Würde sind dabei nur die eine Sache. Schlüssel, Handy und Geldbörse die andere.

_01. Nach Leopoldau und wieder zurück. Gerade wenn es einem alkoholbedingt unterirdisch schlecht geht, übt die sanft schaukelnde U-Bahn eine besonders einschläfernde Wirkung aus. Ganz gleich, zu welcher Nacht- oder vielleicht sogar schon wieder Tageszeit, es gibt immer diese leicht vornüber hängende Person, bei der man sich ganz sicher sein kann, dass sie ganz Wien schon mehrmals unterirdisch durchquert hat.

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_02. Alles zu, alles aus. Man verlässt den Club und denkt an nichts anderes als an die Kater-Prävention, die meist aus einer Variante der glorreichen Zwei besteht: Pizza oder Kebab. Dann die Ernüchterung (okay, nicht ganz aber im übertragenen Sinn schon): Alles zu. Geschlossene Rollos eines Kebab-Standes sind beinahe auf einem Level mit dem Gefühl eine geschlossene Anstalt zu betreten. Nicht ganz, aber fast. Und über den nächsten Tag reden wir erst gar nicht.

© Clemens Pfeiffer | CC BY 2.0

_03. Wir bauen ab und bauen an. Während man über Nacht sämtliche Spritzer und Biere wieder abbaut, beschleicht einen in der Früh (oder auch erst zu Mittag, je nachdem) dann oft dieses eigenartige Gefühl der Verlustangst: Hab ich mein Handy angebaut? Meistens stimmt dieses Gefühl leider mit der Realität überein. Nicht ganz so schlimm, aber ärgerlich: Zigaretten angebaut, Haube angebaut, Hose angebaut. Ihr kennt das.

_04. Gemeinsam mit dem Durst auch das Mitteilunsgbedürfnis stillen. Und am nächsten Tag sämtliche Chatverläufe ernüchtert durchlesen. Und wer ist eigentlich diese „caRoliene pratersauner“, der man da gestern noch geschrieben und nächste Woche ein Date versprochen hat?

_05. Abgestempelt. Erster Blick in den Spiegel am nächsten Tag und ein dunkler, nicht näher definierbarer Fleck befindet sich auf deiner rechten Wange. Du bist eindeutig ein „Seitenschläfer“ und hast nun deinen Eintrittsstempel im Gesicht. Gratuliere dazu!

_06. Niemals unbefleckt. Blaue Flecken gehören zum Fortgehen dazu. Meistens befinden sie sich in Knie- und/oder Schienbeingegend und sind unbestimmbarer Herkunft. Wer keinen hat, der war gar nicht wirklich fort. Oder?

_07. Wer ist das? Oder wahlweise: Wo bin ich? Zwei ähnlich geartete Szenarien mit unterschiedlichem Befremdlichkeits-Koeffizienten.

_08. Alles ist da. Es ist das große „Hallelujah“ im Fortgeh-Kanon am nächsten Tag festzustellen, dass man tatsächlich noch all seine sieben Sachen beinander hat. Ein wenig Verstand mag eventuell draufgegangen sein, aber hauptsache die magische Trias aus „Schlüssel, Handy, Geldbörse“ ist noch vorhanden.

Foto Header © Sven Gross-Selbeck | CC BY-SA 3.0