Interview

Kurt Palm im Interview: Revolution oder Strandbad?

Kurt Palm hat einen Roman über den Sommer 1972 geschrieben: Sein Held Ernsti fiebert einer Nachprüfung in Französisch entgegen, während ein paar Freunde von ihm eine Revolution in Oberösterreich starten wollen. In den Badehosen steckten Metallkämme und die Mädchen hatten noch Schamhaare. „This record should be played loud“ stand auf jeder Platte.

Interview: Manfred Rebhandl
Fotos: Maximilian Lottmann

Herr Palm, Sie hatten gerade Geburtstag, gratuliere! Alle Scharniere noch gut geölt?
Ja danke, passt eh. Aber der letzte Geburtstag, den ich gefeiert habe, war der zwölfte, weil das war ein Ziel von mir damals: zwölf Jahre alt zu werden. Ich dachte, da bin ich dann erwachsen, was nicht der Fall war. Beim 50er war ich in Lappland ganz alleine irgendwo bei den Rentieren unterwegs, beim 60er in Südafrika. Geburtstage interessieren mich also überhaupt nicht.

Dann gab es auch keine Ehrung des Landes Oberösterreich für seinen verdienten Sohn?
Doch, doch. Neben dem Landeskulturpreis für Film habe ich noch das Goldene Verdienstzeichen für Wissenschaft und Kunst der Gemeinde Timelkam bekommen. Den Orden habe ich aber noch in derselben Nacht in der Disco verloren. Aber der Vizebürgermeister, mein alter Spezi Andreas Krautschneider von der ÖVP, hat gesagt: „Kurtl, scheiß dir nix, kriegst nächstes Jahr einen neuen Orden. Der kostet eh nur zwei Euro fünfzig.“ Also wurde mir die Ehrung zweimal zuteil. Ist sicher einmalig in der oberösterreichischen Ordensgeschichte.

Ihr „Hoamtatloaund“ – haben Sie es „so gern wia a Hünderl seinen Herrn“, wie es in der Landeshymne heißt?
Na ja, schwierig, die ganzen Nazis dort … Aber ich mag die Natur, die Natur beruhigt mich. Und der Gedanke, dass irgendwann alles vorbei sein wird mit den ganzen Gestörten und Wahnsinnigen auf der Erde, dass sich die Natur alles zurückholen wird, der Gedanke beruhigt mich auch. Dann existieren irgendwann nur noch die unlöschbaren FB­-Accounts der lieben Menschen in irgendeiner Cloud. Nein, die sind dann auch endlich alle gelöscht!

Sie sind kein Freund des Digitalen, sehe ich. Da stehen ein paar VHS­Kassetten und ein alter Röhrenfernseher …
Der nicht mehr geht! Und den CD-­Player habe ich mir gekauft, wie die CDs schon wieder am absteigenden Ast waren. Ich brauche das nicht. Hin und wieder kriege ich auf mein 19-­Euro-­Handy die Nachricht, dass mir irgendwohin ein MMS-­Foto geschickt worden ist, und wenn ich es mir dann Wochen später anschaue, denke ich mir: Das war jetzt auch nicht wirklich notwendig.

Kurt Palm und Wien?
Das ist keine Liebe. Ich bin nicht wirklich gerne in Wien, obwohl ich seit 31 Jahren hier lebe, aber Wien ist so charakterlos geworden, alle sind solche Opportunisten. Neulich haben sie einem Bettler, der in der U6 gesessen ist, 3.000 Euro Ordnungsgeld umgehängt. Und da im 7. Bezirk, der eigentlich grün sein soll, kriegt die leer stehende Post da oben in der Mondscheingasse natürlich der Unsympathler Benkö, und das Sophienspital geht auch an Investoren. Ich frage mich, wo da die grüne Politik sein soll. Da bin ich froh, wenn ich fischen gehen kann.

Sie fischen?
Ja. Aber ich bin kein Sitzfischer, damit wir uns da richtig verstehen, keiner von denen, die auf der Bierkiste sitzen und so lange fischen, bis die Bierkiste leer ist. Fischer sind außerdem furchtbar reaktionär. Neulich habe ich einen gehört, der einen zu kleinen Fisch gefangen hat, und was sagt er? „Schon wieder ein Neger!“

Das ärgert Sie?
Ja, mich ärgert halt immer noch sehr oft sehr vieles. Neulich habe ich mir sogar einen Zettel geschrieben: „Nicht über alles ärgern, Palm!“ Aber so ein Interview wie mit dem Milliardär Mateschitz zum Beispiel, der da über die „Flüchtlinge“ seinen Blödsinn verzapft hat, so was ärgert mich maßlos.

Vielleicht ist das Ihren heißblütigen kroatischen Wurzeln geschuldet?
Ja, vielleicht. Meine Eltern haben dort eine schöne Landwirtschaft gehabt, in einem schönen Ort mit dem schönen Namen „Trockenes Feld“ – Suhopolje. 1944 mussten sie von dort emigrieren, weil die Partisanen immer näher gekommen sind, mit einem Pferdetransport sind sie über Ungarn nach Oberösterreich gekommen, wo die Pferde in Neukirchen an der Vöckla einfach nicht mehr weiterwollten. Es ist also reiner Zufall, dass wir Palms dort in der Gegend gelandet sind. 1957 sind meine Eltern dann österreichische Staatsbürger geworden und waren in der Folge überangepasst, sie haben mit uns Kindern gar nicht Kroatisch geredet und wollten, dass wir immer schön frisiert sind und Tracht tragen.

Das hat nicht funktioniert bei Ihnen. Warum heißt man Palm, wenn man aus Kroatien kommt?
Die Ur-­Palms wurden ihrerseits 1759 aus Deutschland umgesiedelt hinunter nach Kroatien! Ein schönes Hin und Her. Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht? Die Auswanderer waren anfangs alle Knechte und Mägde, haben auf Höfen gearbeitet und dort geschlafen. Mein Vater war dann später noch Besenbinder, Molkereiarbeiter und Kohlenschaufler. Irgendwann gab es dann relativ günstigen Baugrund und die Verwandten haben sich in der Gegend niedergelassen, andere sind nach Amerika, Kanada, Brasilien ausgewandert.

Eine klassische Migrationsgeschichte.
So ist es! Darum ärgert mich das ganze Gerede von Doskozil, Sobotka und Kurz so dermaßen, das ist primitivster Rassismus, was die verzapfen. Die haben keine einzige positive Idee zu dem ganzen Thema!

Reden wir von etwas sehr Positivem, Ihrem großartigen Buch „Strandbadrevolution“. Ihr Held heißt Ernsti, nennt sich Mick nach seinem Idol Mick Jagger und ist 17 Jahre alt in jenem Sommer 1972, den Sie beschreiben. Wie viel in dem Buch ist autobiografisch?
(lacht) Die Niederlagen sind alle autobiografisch, die Heldengeschichten sind alle erfunden. Wobei ich als 17­-Jähriger aber gerade in Los Angeles bei den ausgewanderten Verwandten war, dort habe ich das erste und einzige Mal in meinem Leben beim McDonald’s vorbeigeschaut, danach nie wieder. Irgendwie lustig, dass ich mich ausgerechnet in Amerika in die andere Richtung entwickelt habe, ich hatte das Glück, dass gerade dort und auch in meiner oberösterreichischen Heimat auf nichts mehr geschimpft wurde als auf die Sowjetunion, was mich zu einem aufrechten Kommunisten gemacht hat. Hätte man mehr auf die Zeugen Jehovas geschimpft, wer weiß, vielleicht wäre ich Zeuge Jehovas geworden.

Für einen Kommunisten leben Sie ganz gut, in Ihrer schönen Wohnung könnte auch ein reicher Russe wohnen.
Lenin hat nie gesagt, dass man nicht reich sein darf. Er hat ja nur gesagt, dass man mit den Produktionsmitteln niemand anderen ausbeuten darf!

Und Sie haben nie andere ausgebeutet?
Nie! Im Gegenteil! Als wir mit dem Sparverein der Unzertrennlichen Theater gemacht haben, hat jeder für jede Probe und jede Aufführung 1.000 Schilling gekriegt und eine Jause dazu, das war für die meisten damals unfassbar viel Geld. Und reich bin ich ja wirklich nicht, die Wohnung war damals erschwinglich und mit der „Nette Leit Show“ hab ich halt beim Fernsehen ein bisserl was verdient gehabt.

Weil Sie Kommunist sind, schickt Ihnen die katholische Kirche die Kirchenglocken von da drüben? Wie bei Don Camillo und Peppone?
Die Glocken liebe ich sehr. Die läuten jede Viertelstunde, da weiß ich dann immer, wie spät es ist. Außerdem erinnern sie mich an meine Ministrantenzeit in Timelkam. Da hingen die Glocken noch an einem Strick, an dem ich ziehen musste, damit sie läuten. Heute geht das alles elektrisch.

Irgendwelche irdischen Wünsche, die Sie sich noch gerne erfüllen wollen? Noch mehr bunte Hemden vielleicht?
Bunte Hemden sind immer gut, zurzeit habe ich ungefähr 25 Stück, das hier habe ich mir in Durban fertigen lassen, meine Lebensgefährtin hat heute gesagt: „Zieh das an, da schaust gut aus!“ Mit Ihrer neuen Frisur dazu sowieso. Wo sind die Stacheln hin? Ich lass mir die Haare jetzt wachsen, bis es vorbei ist mit mir, wenn ich am Ende ausschaue wie der Johnny Winter, dann soll es mir recht sein. Mein Friseur von der GmbHaar, der ja meine frühere Frisur quasi erfunden hat, ist natürlich nicht glücklich über diesen Entschluss, aber ich besuche ihn immer noch hin und wieder, nur dass wir halt ausschließlich reden und er nicht mehr schnipseln darf.

Nehmen Sie Produkte für Ihre Haare?
Ja, Seife.

Kommen wir auf Ihr Buch zurück und auf die Frage: Autobiografisch oder nicht? Einmal heißt es: „Sie hatte kleine Brüste, was mir ziemlich taugte, weil mir große Brüste Angst machten.“
Autobiografisch! Weil wenn ich etwas nie verstanden habe, dann die Faszination von Männern für große Brüste! Die sind für den Kuhstall wichtig, aber für einen Mann?

Es heißt weiters: „Bei den Mädchen ist vor allem wichtig, wo sie politisch stehen.“
Autobiografisch! Ich habe ja dem Karl Öllinger, heute bei den Grünen, vor langer Zeit eine Freundin ausgespannt, die beim VSstÖ war, sozialistische Studentenverbindung. Allerdings war Bedingung, dass sie mir versichert hat, politisch weiter zu mir nach links herüberzurücken und nicht so halbweich grün zu bleiben.

Im Buch gibt es im titelgebenden Strandbad einen 10­-Meter-­Turm, auf dem sich die jungen Menschen geliebt haben, sprich: „gebumst“?
Leider nicht autobiografisch! Ich habe von dort runter nur hin und wieder eine Kerze geschafft, nie einen Köpfler.

Hatten Sie einen Metallkamm seitlich in der Badehose stecken, wie andere im Buch?
Nicht autobiografisch! Es gab 1972 noch Schamhaare zu bestaunen, wenn man in der Umkleide durch ein Loch schaute. Autobiografisch! Und Schamhaare finde ich immer noch gut. Es gibt eben Dinge, von denen ich nicht verstehe, warum sie so faszinieren. Zum Beispiel dieser Kult, dass alle Haare unbedingt wegmüssen, erntet von mir ebenso Unverständnis wie der Kult um Facebook oder Instagram oder den ganzen Schaaas.

Tanzen empfand Ihr Held Ernsti alias Mick als „verlogen“.
Autobiografisch! Das empfinde ich immer noch so, weil Tanzen ja nix anderes als einen Umweg hin zum erwünschten sexuellen Erlebnis beschreibt.

Es gibt zahlreiche Tagebucheinträge im Buch, ein Beispiel: „Nirgends hat man die Möglichkeit, zum Subjekt zu werden, überall ist man nur Objekt!“ Haben Sie selbst Tagebuch geführt und wie peinlich war es?
Ich habe Tagebuch geführt und es war sehr peinlich. Ich kann mich erinnern an Einträge wie: „Ich werde alt.“ Und da war ich 17! Oder: „Kafka hat recht.“ Da war ich auch 17 und habe von Kafka nichts verstanden, ihn aber gelesen, während alle anderen Camus und Sartre gelesen haben und auch nichts verstanden haben!

Jeder, der in den 70er-­Jahren aufgewachsen ist, erinnert sich an einen Briefträger mit Umhängetasche, wie er auch in Ihrem Buch vorkommt. Der ist immer irgendwo herumgesessen und hat gejausnet.
Ich will ja nichts verklären, aber wenn ich heute einem Jugendlichen erzähle, dass ich als 17­-Jähriger zu meiner damaligen Freundin gesagt habe: Komm, wir fahren jetzt gschwind per Autostopp nach Algerien, weil ich damals den unbedingten Wunsch hatte, Länder nach dem Alphabet zu bereisen und mit A anfangen musste, und dass die dann mitgefahren ist und wir über Genua und später Marseille per Schiff da sechs Wochen unterwegs waren, und nach Hause gab es nur eine Postkarte und nicht tausend Facebook­-Updates, dann versteht der Jugendliche nicht mehr, wovon ich rede. Von einer Zeit, als es drei Bäcker gab im Ort, drei Fleischhauer und zehn Wirtshäuser. Heute gibt es dort – nichts!

Im Buch spielt die Wurstsemmel eine große Rolle. Bevorzugten Sie eher die Krakauer oder die Extrawurst?
Wenn schon, dann die klassische Extra mit Gurkerl.

Eher Bluna oder Schartner Bombe?
Bei uns gab es die Eggenberger Perle orange oder zitron.

Eher Smart Export oder A 3?
Immer die Flirt mit Filter, wegen dem schönen Packerl. Zum Eindruckschinden bei Mädchen: Gitanes ohne Filter.

Hatte der Vater einen Opel Kapitän?
Einen Kadett.

„This record should be played loud“ war vielleicht der einzige Ratschlag, den man sich als Jugendlicher gefallen ließ?
Genau! Mit 14 war ein Packerl unter dem Christbaum, und ich habe mir schon gedacht: Ah, endlich ein Plattenspieler! War dann aber nur eine „Gabriele 10“­-Schreibmaschine, die ich heute noch habe, sogar mit einer Extraladung Reservefarbbänder.

Ein Jahr später war dann endlich der Plattenspieler darunter.
„Let it bleed“ von den Stones war meine erste Platte, die finde ich besser als „Exile on Main Street“. Die habe ich heute noch alle.

Der ersehnten Revolution stand in diesem Sommer ein bisschen die nächste Nachprüfung im Weg, richtig?
Und manchmal hatte man auch einfach einen Ständer, weil man im Bad die hübschen Mädels gesehen hat, und man konnte sich deswegen nicht an der Revolution beteiligen. So war es damals, so ist es noch heute.

Ohne Tiefkühltruhe ging damals nichts, eine halbe Sau musste immer zu Hause sein?
Wir haben ja in der Garage noch selbst geschlachtet, im Herbst ist eine lebende Sau gekommen, die hat dann mein Onkel mit dem Maurerfäustl erschlagen. Dann wurde sie zerlegt bis hin zur Blutwurst und ist in die Gefriertruhe gekommen. Meine Eltern haben ja so eine Angst gehabt, dass sie verhungern! Kriegsgeneration halt. Und irgendwann hat ihnen wer gesagt, dass das Einkaufen drüben in Freilassing, in Bayern, viel billiger ist. Also sind sie einmal in der Woche die 60 Kilometer bis dorthin gefahren, und wir Kinder mussten mit, weil ja jede Person im Auto so und so viel mitnehmen durfte. Wir sind dann also alle da im Auto gesessen mit zwei Paletten Schlagobers am Schoss, weil das Schlagobers gerade so billig war.

Und das Schlagobers kam dann zur Sau in die Truhe?
Genau. Als ich dann mal auf die hohen Benzinkosten hingewiesen habe, hat das niemanden interessiert.

Haben Sie während Ihres Aufwachsens mehr Thujenhecken gesehen, oder mehr Buchsbaumhecken?
Definitiv mehr Thujenhecken. Und wenn ich mich über etwas wirklich sehr ärgern muss, dann auf jeden Fall auch über Thujenhecken!