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Neues aus dem Schnapsladen: Ich vercrafte es nicht mehr!

Wir geben es ja nicht allzu gerne zu, Angst zu haben. Doch die Angst es irgendwann nicht mehr zu vercraften ist real. 

Es ist grundsätzlich nichts gegen ein reflexives Trinkverhalten einzuwenden und erscheint eigentlich nur zu logisch, dass man, mit fortschreitendem Alter und der damit einhergehenden Multiplikation der Katersymptome, ein gesteigertes Interesse dafür entwickelt, was man da eigentlich in sich hineinschüttet. Früher war das noch etwas anders, da nahm man meistens was man kriegen – und sich vor allem auch leisten – konnte. Das erste Whiskey-Tasting Ende der 20er war dann doch trotzdem etwas befremdlich. Die Sneakers wären eventuell besser daheimgeblieben und man selber vielleicht besser auch – damit das eigene Klo danach nicht ganz so sehr Zuhause und das Verhältnis zur eigenen Galle nicht gar so arg intensiviert wird. Aber „learning by doing“ heißt es ja so schön. Das von der Freundin so großzügig geschenkte Weinseminar schafft es in Punkto Befremdlichkeit noch ein wenig weiter nach oben – der Absturz ist dafür weniger monumental als noch beim Whiskey-Tasting. An Stehtischen munter gustierend passiert es recht schnell, dass man sich als passionierter Biertrinker nicht mehr ganz so standhaft fühlt. Dafür – auch beim allerersten Anflug von Sodbrennen – moralisch immer noch eindeutig überlegen – so viel ist klar.

Hier soll es jetzt allerdings um die Gefährdung dieser überlegenen Bier-Moral gehen (nicht zu verwechseln mit der Bierruhe – das schlägt in eine etwas andere Kerbe) und die erfolgt, in letzter Zeit, vor allem durch Craft Beer. In den vergangenen Jahren, vor allem vom Studentenkörper, ans oberste Hipster-Limit gepusht, um- und durchspült diese hippe Welle nun auch den eigenen Körper, der längst kein Studentenkörper mehr ist. Stichwort: Reflexives, kontemplierendes Trinkverhalten. Es kommt jedoch schnell soweit, dass es nicht mehr ausreicht nur zu wissen was man da in sich hineinleert, sondern man möchte plötzlich wirklich auch ganz tief eintauchen, in diese Materie. Nach dem ersten Schluck Craft Beer im Mund kommt bereits das Verlangen hoch, die IBUs (International Bitterness Units) mit einem mündigen Kollegen (früher Saufkumpan genannt) zu diskutieren. Früher hatte man nach ein oder zwei Bier noch Großes vor, plötzlich ist eine Biersorte nur noch groß, wenn die Brauerei, die sie erzeugt hat, so mikro ist, dass sie nicht einmal eine eigene Website hat.

Das Schlimmste daran ist jedoch: Vor einiger Zeit waren es noch Löcher in meiner Gedankenwelt, die mit übermäßigem Bierkonsum einhergingen. Nun sind es beträchtlich große Löcher in meiner Geldbörse. Die Zeit, die ich jetzt vor einem Regal im Fachhandel „gustierend“ und „reflektierend“ verbringe, nützte ich früher für ein Dosenbier mit Freunden am Donaukanal. Und: Bei jedem Schluck eines ordinären Flaschen- oder Dosenbiers brennt eine kleine Träne hinter den vor lauter vorgespieltem Genuss geschlossenen Augenlidern, weil es einfach so viel mehr hätte sein können, dieses Bier. Aber in seiner aufkeimenden Existenz einfach behindert wurde, wie ein schlaues Kind, das in eine örtliche Handelsschule gesteckt wird.

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