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Stermanns Kolumne: Ich bin immer auf Tournee

Ich komme viel herum in ­Österreich. Ich sitze in Zügen, an Hotelbars, in Autobahnraststätten, Theatern und Stadtsälen. Mein Leben ist seit über zwanzig Jahren eine Tournee durchs Land.

Manchmal werde ich gefragt: Wie lange bist du noch auf Tournee? Dann muss ich lachen. Als ob diese Tournee jemals enden würde. Immer. Ich bin immer auf Tournee. Eine folgt auf die nächste, und die übernächste lauert schon. Ich lebe in Wien, mein Zweitwohnsitz ist das ganze Land, eingeschlossen Zürich, München oder Berlin. Wie Heuschrecken grasen wir das flache Land und die Bergdörfer Gebiet für Gebiet kabarettistisch ab. Aus dem Flieger, in den Zug, in den Tourbus, aus dem Tourbus. Koffer einpacken, Koffer auspacken, einchecken, auschecken. Ankommen, abfahren. Wurstplatten, Weinflaschen, Gästebücher. Tagsüber wie tot im Hotelbett, abends Bühne. Umziehen, verkabeln, Soundcheck, Auftritt, umziehen, Hotel, schlafen, aufstehen, weiterfahren, einchecken, Hotelbett, Wein, Wurst, umziehen, verkabeln, Soundcheck, Bühne. Und täglich grüßt das Publikum.

Jeder Tag spricht einen neuen Dialekt, aber alle Tage und Idiome verschwimmen zu einem. Braunau, Feldbach, Imst und Ybbs, Braunbach und Ymbbs. Zimmer 509 in Linz, Zimmer 905 in Berlin, Zimmer 126 in Klagenfurt, Zimmer 612 in Hall. Das ist meine tägliche Konzentrationsübung: Zimmernummermerken. Nicht auf die Nummer schauen, sondern merken. Aus dem Aufzug nach links? Die zwölfte Tür rechts? Hotelnamen merken, um es nachts dem Taxler sagen zu können. Und die Namen der wichtigsten Mitarbeiter im jeweiligen Haus. Sigi, Klaus, Till, Franzi. 250 Orte, 500 Namen. Manche sieht man mehrmals im Jahr, andere nur alle fünf. Zimmernummermerken hält geistig wach, während der Rest eine Tourlebenswurst ist.

In Hamburg habe ich einmal ein Jahr lang mehrere Nächte pro Woche in einem kleinen Hotel gewohnt, in dem ­außer mir ausschließlich Vertreter übernachteten. In der Frühstückspension „Koje“. Im Frühstücksraum saß an jedem Tisch ein müder, einzelner Mann, der, so wie ich, die Nacht in einer Art Schlafkoje verbracht hatte. Ein so kleines Hotelzimmer, dass man den Fernseher übers Bett an die Decke gehängt hatte, sonst wäre kein Platz gewesen. Schaute man fern, musste man den Hals derart verbiegen und nach oben schauen, dass man am nächsten Tag eine Art Nackenkrampf hatte und den Kopf nicht mehr beugen konnte. Beim Frühstück hielten alle ihre Köpfe merkwürdig nach hinten. So gingen sie dann Staubsaugerbeutel verkaufen, oder Plastikmanschetten oder Zahnarzt­besteck. Eine Armee von Hans-guck-in-die-Lufts. 7 m2 groß waren die Zimmer in Hamburg-St. Georg. Wenn man das ­„Zimmer“ betrat, musste man sich am Bett vorbeidrängeln und stand schon am Fenster, durch das man auf Junkies, Nutten und Nuttenjunkies sah. Das Bett füllte den ganzen Raum aus. Der Fernseher und eine Art Regal hingen an der Decke, neben dem Kopfpolster war ein schmales Loch in der Wand. Da gab es ein Minimundusklo und ein Zwergenwaschbecken, von der Decke hing ein Duschkopf. Zwischen Klo und Waschbecken hatte man etwa ­einen Radius von 5 cm, um duschen zu können.

Ich duschte in Etappen. Erst ein Bein, dann das andere, Arm um Arm, Nase, Ohr. So ging’s. Ich stand mit steifem Genick auf dem Kopfpolster und hielt die Nase unter den Duschkopf. Sehr anstrengend. Nach dem Duschen hatte ich furchtbare Rückenschmerzen. Ich saß am Frühstückstisch wie ein eitler Quasimodo. Nase in die Höhe, Körper merkwürdig verbaut. Auf der Straße wurde ich von den Nuttenjunkies und den Junkienutten angestarrt wie ein krankes Tier. Damals war ich noch nicht Kabarettist. Ich arbeitete für den Bezahlsender Premiere, der mich so schlecht bezahlte, dass ich schon ahnte, dass nicht sehr viele Kunden für den Bezahlsender bezahlen würden. Premiere ging ein und heißt heute Sky. Ich bin ­Kabarettist und schlafe heute in Suiten in Hotels mit mehr Sternen, als ich teilweise nachts in the sky sehen kann.

Vor Kurzem bin ich mal wieder in Hamburg aufgetreten. Ich wohnte im Hotel ­Atlantik und frühstückte neben Udo ­Lindenberg, dessen Suite neben meiner lag. Ich ging nach dem Frühstück Richtung Hauptbahnhof zum Schauspielhaus. Aus einem hässlichen Haus in St. Georg traten mehrere graugesichtige Männer, alle mit merkwürdig gehobenen Köpfen und krummen Rücken. Das „Koje“ gibt es also noch immer. Irgendwie beruhigend. Und irgendwie beunruhigend.

Foto: © Udo Leitner