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Sex: In Liebe, dein Penis

Du wirst mit ihm geboren, er geht mit dir ins Grab. Dazwischen aber hat der Penis dieser Tage nur eine miese Presse. Zeit für eine Wertschätzung.

Text: Manfred Sax

Soziale Netzwerke? Also nein, dort bin ich derzeit eher selten. Das Klima, du verstehst. Die Aggro, die Emotionen. Und dann ist da noch jene kuriose Sache mit dem Penis. Dieses Ding im Schritt des Mannes ist offenbar irgendwann selbstständig geworden und kontrolliert seither den männlichen Rest; wie ein Schweif, der mit dem Hund wedelt.

An den Hashtags kannst du ihn erkennen. Zumeist im Spannungsraum zwischen Feminismus und Sexismus platziert – also dort, wo du altvertraute Rundumschläge wie „Chauvi“ und „Macho“ erwartest –, bereichern sie die Timelines: #schwanz­gesteuert, #manspreading, #penis, #schwanz­fixiert und so weiter. Schon mal ein Foto einer Frau im Bikini gepostet? Zieh Leine, mein Freund, du bist ein schwanzgesteuerter Sexist. Oder „manspreading“, das derzeitige Trendwort. Das macht einer, der „seinen Mann ausbreitet“. Zum Beispiel Tom Hanks, der unlängst mit gespreizten Beinen in der U-Bahn saß. Gut für seinen von etwaiger Klaustrophobie befreiten Hodensack, wenn auch nicht für sein Image. Denn natürlich blieb er nicht unfotografiert, was zu multiplen Retweets führte – #manspreading!!, #penis! –, unter anderem auch von Hanks selbst: „Hey Internet, ihr Idioten“, schrieb er. „Die U-Bahn war halb leer!“ Aber was soll’s, du bist ein Penis, Tom, wie dein Landsmann, der Schriftsteller John Irving, dem ein „Penis mit Wortschatz“ aufs Grab gehustet wurde, weil er so viel über Sex geschrieben hatte.

Vorsicht: Denk jetzt nicht, hm, Hanks und Irving, eigentlich eine coole Gesellschaft, ich will auch so ein Penis sein. Denn drei Gläser Wodka später hast du ein Dick-pic geknipst und als PN Richtung Lady deines Herzens gepostet, voll der Erwartung, dass sie „richtig“ reagiert („bist du ein verwunschener Prinz?“), damit du deine Killer-Zeile loswirst („nein, aber du kannst mich küssen“). Ist Schwachsinn. Auf ein Dick-pic wird nie mit #penis! reagiert, da kommt bestenfalls zu Recht ein #vollkoffer ­retour. Aber vielleicht schaffst du es mit derlei Nonsens mal wegen sexueller Belästigung in den Knast. Dort ist ein Penis auch nur ein weiteres Ding mehr, das sie dir in den Arsch schieben. Im Normalfall funktioniert die Sache anders.

Du baust dir in jahrelanger Kleinarbeit mit netten ­Facebook-Kommentaren einen guten Ruf als Social Media Personality auf und postest dann zu an­getrunkener Stunde ein paar lose Worte mit unzureichendem Kontext, etwa „Burberry“ oder „alte Lesbe“. Das führt verlässlich zu einem sogenannten „Shitstorm“. Und verwandelt den gutmenschlichen Softie ebenso easy in einen grobschlächtigen Macho wie den Schriftsteller, der die Frauen liebt, in einen Frauenhasser. Oder, mit den Augen der Shitstürmerin mit feministischem Credibility-­Drang gesehen, in einen #penis! #penis! Das ­Unwort, das den kleinen Unterschied aufbläst,
als wäre es die Wurzel allen Übels.

Tja, Mann sein. Mann sein ist so einfach, hieß es immer, du wirst geboren, bohrst mit einem Finger in der Nase, fummelst mit der anderen Hand am Schwanz – und wirst langsam größer. Das stimmt auch, jedenfalls in Kinderjahren. Insbesondere dein Verhältnis mit dem Penis ist von Anfang an ein inniges. Er ist ein Doktor Feelgood, der nie Schmerz vermittelt, der für Wohlgefühl immer zu haben ist. Aber irgendwann kommen die Wickel. Anno Pubertät hast du dich nach diesen Wickeln noch gesehnt, sie sollten zum Stoff werden, der das Leben lebenswert macht. Nur: Warum nervt dieses nette Ding manche Frauen so gewaltig, warum meinen sie es negativ, wenn sie dich Penis nennen? Penisneid, wie Freud mal sinnierte, kann es wohl nicht sein. Also muss ein Missverständnis vorliegen; ein gehöriges Missverständnis, auf das vielleicht wieder mal ein Licht geworfen werden sollte, nämlich dem Penis zuliebe. Denn klar ist: Er hat sich dieses dumme Image nicht verdient.

Inzwischen, auf Facebook: „Ihr Typen seid so stolz auf euren Penis“, schreibt sie, „das verstehe ich nicht. Der ist doch hässlich!“ – Süß irgendwie, Madame, dieses Fixieren auf die Verpackung, wenn eigentlich der Inhalt zählt. Zum Beispiel die Spermien, die in den Hoden produziert werden und bei ein bis zwei Grad unter Körpertemperatur am vitalsten unterwegs sind. Daher sind Hoden samt Sack außerhalb des Körpers angebracht. Daher steht der Mann auf „manspreading“. Damit es da unten kühl bleibt. Und weil das Wesen des Lebens mit „nur ned sterben“ ausreichend definiert ist, geht es nun darum, den in den Spermien befindlichen Genpool auf die nächste Generation zu übertragen. Ein Transport, via Vagina, den der Penis übernimmt. Im Übrigen ist der menschliche Penis ein außergewöhnliches Ding. Alle anderen männlichen Säugetiere (mit Ausnahme des Klammeraffen) brauchen einen Penisknochen (Baculum), um den Transfer zu erledigen. Der Menschenmann nicht. Er hat im Lauf seiner Evolution Gas gegeben. Genau gesagt: Stickstoffmonoxid (NO). Ein Botenstoff, der die Blutgefäße erweitert – wodurch das Blutvolumen im Penis auf das bis zu Elffache ansteigen kann. Voilà: Erektion! Dieser Erektionsprozess ist ein faszinierendes Informationssystem, an dem mehrere Player (Sinnesorgane, Hypothalamus, limbisches System, Amygdala, MHK, Testosteron als Treibstoff etc.) beteiligt sind. Ein Prozess, in dessen Verlauf  aus dem Sex etwas wird oder auch nicht. Ein Prozess, der nicht „schwanzgesteuert“ ist, sondern gehirngesteuert, wenn auch jenseits des Denkens. Aber selbstverständlich ist der Steife ein Informant, vom Wesen her so was wie ein Fieberthermometer. Nur schimpft niemand „du Fiebermesser!“, wenn du mal Fieber hast. Den gezischten „Penis!“ dagegen hast du schneller weg, als du „wow, tolle Frau“ sagen kannst.

Ein Jammer, nicht wahr. Im Kern ist der Übergang vom Schlaffen in einen Steifen eines der großen Gefühle, die der Mann hat. Der Inbegriff von ­Ermächtigung. Eine wahrhaftige Angelegenheit. Weil ein Penis nicht lügen kann. Auch der beste Schauspieler kann keine Erektion vortäuschen. Und klar, auch für die Frau ist Ermächtigung ­wichtig, nur sieht sie es offenbar anders. Meint etwa eine FB-Freundin: „Huch, ist ja ermächtigend, dass der Penis auch altert. Ob er unsicher ist, wenn er sich auszieht? Der Arme.“ Schräg, oder, dass sie sich dann ermächtigt fühlt, wenn sie ­jemand anderen als verohnmächtigt wähnt.

Aber gut, es gibt sicher Männer, die sich beim ­Ausziehen unwohl fühlen. Allerdings ist diese Unsicherheit nie altersbedingt, Madame. Sie tritt eher dann zu Tage, wenn er einen winzigen Penis hat. So was macht verwundbar. Wie der englische Komiker Jimmy Carr mal formulierte: „Ich bekomme täglich zehn E-Mails, die mir eine Penisvergrößerung empfehlen. Zwei davon sind von meiner Mutter. Die sind es, die besonders wehtun.“ Trübsal pur. Die aber mithilfe des Gedankenguts der eminenten amerikanischen Feministin Camille Paglia unschwer zu meistern ist. Denn selbst der kleinste ­ Penis kann etwas, das eine Vulva nie schaffen wird. Ein Mann, sagte Paglia, kann in hohem Bogen pissen, also einen kreativen Akt hinlegen. Eine Frau da­gegen macht nur den Boden nass. Immerhin.

Foto – Header: (c) Fer.filol via Wikimedia Commons; Priapus depicted with the attributes of Mercury in a fresco found at Pompeii; Museo Archeologico Nazionale (Naples), Italia.

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