AKUT

#metoomuch

Franz J. Sauer

Sexuelle Belästigung, also eine Frau wie auch immer gegen ihren Willen zu belästigen, ist abstoßend, widerwärtig, ekelhaft und unwürdig, letzteres vor allem für den Täter. Was bei Opfern grausame Schäden anrichtet, sorgt auch gesellschaftlich für Wucherungen. Besonders auf Facebook & Co.

Es geht hier um sexuelle Belästigung. Also sexuelle oder sexuell anmutende Handlungen von Männern gegenüber Frauen, die diese nicht wollen. Ehrlich. Was für ein Mann muss man sein, um so etwas geil zu finden? Wen erregt es ernstlich, anzügliche Körperlichkeiten gegen den Willen einer Frau an oder mit ihr zu inszenieren? Es ist eine Bühne für Versager.

Und überhaupt – der berühmte Busengrapscher, der noch berühmtere Po-Klaps, der infame Griff ans Bein oder in den Schritt, oder auch nur das despektierliche „Schatzi“ gegenüber einer Frau, die man noch nie gesehen hat oder flüchtig oder auch nur vom Arbeitsplatz her kennt – ehrlich jetzt: Worum geht’s da? Klar, die offensive Erniedrigung, das demonstrative Über-den-anderen-Stellen, das Heruntermachen, das Degradieren der in der derben Herrenwitz-Welt vermeintlich minderwertigen Frau.

Nochmal – daran kann man sich ergötzen?

Sollte man sich als Mann nicht viel mehr selbst erniedrigt fühlen, wenn man sich gewisse Dinge bei gewissen Frauen nur deshalb leisten kann, weil man „dank“ beruflicher oder sonstiger Machtverhältnisse keine Gegenwehr zu erwarten hat?

Das ist maßlos unwürdig, sonst nix. Solche Männer sollten sich ob der Abweisung, ob des Ekels, der in versteckter Scham oder gar in deutlich zutage tretender Furcht vor seiner Person (und deren Funktion) zum Ausdruck kommt, in Grund und Boden schämen. Tief hinein, in den Schmutz.

Maßlos unwürdig

Um das zu erkennen, braucht die internationale Social Media-Gemeinde offenbar einen Hashtag. #metoo nennt sich der. Mit ihm bringt man seit ein paar Wochen, konkret nach dem ruchbar werden der sogenannten „Weinstein-Affäre“ in den USA, via Facebook, Twitter und Co zum Ausdruck, ebenfalls irgendwann Opfer sexueller Belästigung geworden zu sein. Und was rechtsstaatliche Institutionen, Opferschutzstellen oder auch der simple, gesunde Menschenverstand bislang offenbar nicht zu Wege brachten, schafft nun ein putziges Online-Lesezeichen. Nämlich Betroffene dazu zu bringen, mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu treten und damit entsprechende Sanktionsmaßnahmen in Gang zu setzen. Etwas also, was sie sich jahrelang aus diversen Gründen nicht zu tun getrauten.

Das ist gut so, sehr gut sogar. Aktionen wie diese wären geeignet dafür, Bewusstsein zu schaffen. Dafür, dass Selbstverständlichkeiten auch als solche wahrgenommen und flankierende Grauzonen zerschlagen werden.

Allerdings scheint all das zumindest in der Social Media Welt gerade gehörig aus dem Ruder zu laufen. #metoomuch, wie die Journalistin Barbara Duras jüngst auf Facebook treffend feststellte.

Unschuldsvermutung?

Es scheint im derzeit durchs Internet schwebenden, öffentlichen „Diskurs“ keine geeignete Reaktionsmöglichkeit zu geben. Klarerweise nicht für Männer. Aber auch nicht für Frauen, die eine etwas saloppere Wahrnehmung des Themas haben. Alle, die nicht vorbehaltlos zustimmen, sind eigentlich schuldig, so wabert es durchs „www“. Egal, ob sie sich aus der Generalisierung aller „Männer“ ausnehmen, ob sie sogar eigene Verfehlungen eingestehen, ob sie zaghaft versuchen, zu relativieren, oder, ob sie sich herausnehmen, gänzlich anderer Meinung zu sein.

Dass bei der folgenden „Cybersteinigung“ etwa einer Nina Proll alle Maßstäbe des guten Geschmacks selbst bei sonst toleranzsüchtigsten Postern über Bord gingen, ist manifest. Auch die Unschuldsvermutung wird von der Hashtag-Meute mit Verve ausser Kraft gesetzt. Im Gegenteil: wehe der „Täter“ wagt es, sich zu verteidigen, anstatt sich sofort zu entschuldigen. Schnell ist dann von Täter-Opfer-Umkehr die Rede. Gerichtsverhandlungen oder faire Verfahren braucht heute scheints keiner mehr.

Fast wirkt es bisweilen so, als wäre die #metoo-Community der Ansicht, alle, die kein brauchbares #metoo-Erlebnis zu erzählen hatten, seien eigentlich selbst als Verharmloser sexueller Gewalt anzuprangern.

Jede und Jeder

Auf der Suche nach Mitstreitern im Zeichen des Hashtag kommt manchem Medium gar Flaumiges unter. So gibt etwa im deutschen „Spiegel“ eine 31-jährige Flugbegleiterin zu Protokoll, ja, es sei auch ihr schon passiert, dass Passagiere, die ihr bei der Landung gegenübersaßen, ihren Namen vom Mitarbeiterschild abgelesen hätten, um ihr gleich darauf eine Facebook-Freundschaftsanfrage zu senden. Ob sie einmal mit einem Passagier „was Essen gehen wolle“, sei sie auch schon mal gefragt worden.

#metoo also, tatsächlich. Aber ist es nicht eher eine Herabwürdigung aller Vergewaltigungsopfer (das Adjektiv „echten“ lag mir auf der schreiberischen Zunge), solches in einem Atemzug mit genuinen Gewaltdelikten unter dem nun so machtvollen Hashtag zu publizieren? Oder ist es wirklich bereits „Vergewaltigung“, eine Unbekannte anzulächeln, oder ihr eine Facebook-Freundschaftsanfrage zu senden?

Wucherungen des Hintergründigen

Sexuelle Belästigung zerstört. Zuallererst die Psyche des Opfers. Für lange Jahre, oftmals ein Leben lang, mit Sicherheit noch nachhaltiger, wenn in aller Öffentlichkeit verhandelt und ausgebreitet.

Noch etwas zerstören derlei Grauslichkeiten offenbar: das Vertrauen ins Normale. Sie führen zu Wucherungen des Hintergründigen, lassen auf Männerseite unheimliche Fragen aufkommen. Etwa:

  • Wie oft wird einvernehmlicher Sex im Nachhinein zur Vergewaltigung?
  • Wie oft wird das Weglassen eigener Formulierungen in heißen Konversationen – egal ob auf WhatsApp, via Messenger, per SMS oder Email – zur Inkriminierung der übrig gebliebenen Passagen?
  • Wie oft wird der Vorwurf „Sexuelle Belästigung“ zur gern genommenen, weil leicht instrumentalisierbaren Waffe?
  • Soll es tatsächlich Usus werden, als Vorgesetzter zu unangenehmen Geschäftsgesprächen mit Mitarbeiterinnen eine dritte Person mitzunehmen, um sich nicht der Gefahr von Missverständnissen oder unguten Anschuldigungen im Nach-hinein auszusetzen?
  • Können wir keine Türen mehr aufhalten, in keinen Mantel mehr helfen oder keine Sitzplätze mehr überlassen, ohne damit automatisch den Feminismus und seine Errungenschaften infrage zu stellen?
  • Und, generell: Wer oder was gilt letztlich als bewertende Instanz dafür, ob der Straftatbestand der Sexuellen Belästigung erfüllt wurde? Die Facebook-Community? Eine Gleichbehandlungsanwaltschaft, der, mit diesbezüglichen Vorwürfen konfrontiert, wenig anderes übrig bleibt, denn sie als „wahrscheinlich“ und „glaubhaft“ zu qualifizieren, die aber schon ex lege nicht dazu gedacht ist, Fälle zu beurteilen oder abzuhandeln? Oder doch lieber ein faires Gerichtsverfahren nach rechtstaatlicher Art und Weise?

Männermagazin

In den 18 Jahren, die ich nun für den WIENER tätig bin, ist dieser ausdrücklich als Männermagazin betitelt, derzeit stellt er sogar das einzige solche am heimischen Magazinmarkt dar. Neben dem Publizieren von männerrelevanten Themen von Musik über Technik und Motor bis hin zur Mode und zur Erotik war es uns, der Redaktion des WIENER (deren Kernteam übrigens zumeist großartige Redakteurinnen ausmachten und -machen), stets inhaltliche Klammer, eine besondere Tugend eisern hochzuhalten: nämlich Frauen stilvoll das Gefühl zu geben, das Beste auf der Welt zu sein, was uns Männern je passieren konnte.

Das wollen wir uns von jenen armseligen Säcken, die sich und ihre Wix-Griffel nach ein paar Millionen Jahren „Evolution“ noch immer nicht im Griff haben, nicht nehmen lassen. Und zwar ohne gleich in eine Reihe mit Harvey Weinstein oder Jack the Ripper gestellt zu werden.