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Die Antithese – Husqvarna Vitpilen 701

In einer Zeit, in der die Welt schon alles ­gesehen hat, noch etwas Neues zu erfinden, das ist nahezu unmöglich! Es gibt fast nichts, was es nicht schon mal irgendwie und irgend­wo gegeben hat. Trotzdem erscheinen fast täglich vermeintlich neue Produkte in allen Lebensbereichen. Sehr oft ist es aber nur eine andere Verpackung, der Inhalt bleibt gleich. Die einspurige Antithese dazu kommt aus österreichisch-schwedischer Produktion und heißt Husqvarna Vitpilen 701.

Text: Gregor Josel / Fotos: Sebas Romero

Speziell in der einspurigen Welt erfreut sich folgendes Prinzip großer Beliebtheit: Man nimmt bestehende Komponenten, schraubt sie unter einem neuen Kleid zusammen, schreibt Retro drauf, fertig ist der Kassenschlager. Für die wirklichen Individualisten bleibt da nur wenig Möglichkeit, sich von der einen oder anderen Masse abzuheben. Irgendwie besonders lustig, dass es abermals eine schwedische Marke ist, die hier nun ausbrechen will. Denn schon seit jeher gilt beispielsweise die Schweden-Schmiede Volvo als designstarke Understatement-Marke für diejenigen, die zwar auf Luxus und Fahrspaß nicht verzichten wollen, denen aber der designerische Einheitsbrei der üblichen Erzeuger auf die Nerven geht. Die leider verschwun­dene Marke Saab wäre ein weiteres Beispiel.

Nebst ihrem meisterlichen Design ist die neue Vitpilen 701 vor allem auch eine echte Fahrmaschine. Hochwertige Komponenten, der geniale Einzylinder mit viel Power und eine sport­liche Sitzposition machen unendlich viel Lust aufs ­Motorradfahren. Foto: (c) Sebas Romero

2018 zieht nun in der Motorradwelt die ­schwedisch-österreichische Marke Husqvarna aus, um eine tatsächlich neue und unverwechselbare Art des Motorrad(fahren)s zu erfinden. Und das erste Modell aus der neuen Vitpilen- und Svartpilen-Serie, das wir in Barcelona testen konnten, ist die Vitpilen 701. Husqvarna ist bislang ja eher dem Fachpublikum der Offroad- und Hardenduro- Fraktion ein Begriff. Seit 2013 ist die schwedische Traditionsmarke dem österreichischen KTM-Konzern ­zugehörig und wurde seit damals im Offroad-Bereich zum Highperformer aufgebaut. So sind auch die Komponenten des Bikes alte Bekannte, wenngleich in anderer Art und Weise zu einem Gesamtkunstwerk zusammengefügt, das für eine Vielzahl an Überraschungen sorgt.

Simpel und progressiv, so wollte Kiska-Design das neue Urban-Streetbike, Vitpilen 701 aus dem Hause Husqvarna, gestalten. Gut gebrüllt, Herr Kiska! Foto: (c) Sebas Romero

Beginnen wir mit dem ­Offensichtlichen: dem ­Design. Diverse Sketches für die Vitpilen geistern ja schon einige Zeit im Netz herum, und letztlich blieb immer die Frage, wie weit sich die Studien dann vom Serienmodell unterscheiden würden. Fazit: Das Serien­bike ist extrem nahe an den Modellstudien dran, und so sieht man sich mit der neuen Vitpilen 701 mit einer Gattung Motorrad­design und -konzept konfrontiert, die es so eigentlich noch nicht wirklich gibt. ­Einzig die Aprilia Moto 6.5 im Philippe-Starck-Design ging Mitte der 90er-Jahre schon mal in eine ähnliche Richtung. Da war der Motorradfahrer allerdings noch eher Randgruppe als ­Lifestyler.

Detailaufnahme Husqvarna Vitpilen 701. Foto: (c) Sebas Romero

Die Vitpilen 701 ist ein absolutes Optik-Meisterwerk aus der Designschmiede Kiska. Typisch skandinavische Reduziertheit trifft auf hochmoderne Linien, man traut sich sogar, mal wieder eine komplett glatte Fläche auf den seitlichen Tankverkleidungen zu zelebrieren. Gepaart mit ein paar klassischen Assets, wie dem Rundscheinwerfer oder der prominent inszenierten und ebenfalls runden Tacho- und Info-Einheit ergibt sich ein puristisch-moderner Look, der sich sofort nachhaltig einprägt. Dieses Design hat das Zeug zum Dauerbrenner, die Vitpilen wird auch noch in zehn oder fünfzehn Jahren modern und aktuell aussehen, so viel steht schon mal fest.

Detailaufnahme Husqvarna Vitpilen 701. Foto: (c) Sebas Romero

Wen die recht hohe Sitzposition von 83 Zentimetern in Verbindung mit der optisch recht schmal und hart anmutenden Sitzbank schreckt, dem sei gesagt, dass das Sitzen am Bike wesentlich komfortabler ist, als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Die große Tour wird man mit der Vitpilen 701 ohnehin nur selten in Angriff nehmen, Touring soll ja auch nicht der wesentliche USP des neuen Bikes sein. Man soll Spaß haben damit und jeden Tag in die Arbeit oder abends zum Dinner fahren. Oder am Wochenende ein paar ­Stunden richtig viel Freude auf der 300 ­Kilometer
langen Runde haben.

Detailaufnahme Husqvarna Vitpilen 701. Foto: (c) Sebas Romero

Und damit auch dieser Fahrspaß nicht zu kurz kommt, hat Husqvarna die Vitpilen 701 mit zahlreichen technischen Highlights ausgestattet, die ob der Hammeroptik zwar in den Hintergrund treten, beim Fahren aber trotzdem allgegenwärtig sind. Da wäre zunächst das Herzstück der neuen Vitpilen, der bereits aus der 701 Supermoto bekannte 692 ccm große Einzylindermotor, den Husqvarna für die Vitpilen überarbeitet und geschmeidiger gemacht hat. Das Triebwerk ist überraschend kraftvoll und mit rund 75 PS und 72 Nm Drehmoment das Perfect Match für die Vitpilen. Denn das Gesamtgefüge der Vitpilen 701 ist ganz klar auf geringes Gewicht und höchstmögliche Agilität ausgelegt. Mit nur 166 Kilogramm Gewicht ist die Vitpilen 701 extrem leichtfüßig, dank in Zug- und Druckstufe justierbarer 43-Millimeter-USD-Gabel und Zentralfederbein von WP allerdings auch eine höchst präzise Kurvenwaffe, wenn man es dann doch mal wissen will. Brembo- Bremsanlage, Schaltassistent für Hoch- und Runterschalten sowie ABS und Traktionskontrolle (abschaltbar) gehören zum Serienumfang.

Detailaufnahme Husqvarna Vitpilen 701. Foto: (c) Sebas Romero

Alles in allem macht dieses neue Motorrad außerordentlich viel Spaß auf den kurvenreichen Strecken im katalanischen Hinterland von Barcelona. Man kommt nie in die Verlegenheit, sich untermotorisiert zu fühlen, und wenn man das Fahrwerk mit ein paar Klicks auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt hat, bleibt das sonst so federleichte schwedische Wesen auch bei schnellerer Gangart durch die Kurve souverän auf Linie. Selbst auf der Autobahn bleibt man bis 150 km/h durchaus stabil mit der Vitpilen, darüber ist die Wind­­anfälligkeit dank des nicht vorhandenen Gewichts deutlich zu spüren. Doch mehr als 130 bis 150 will man ohne Windschutz ohnehin nicht lange über sich ergehen ­lassen. Die Sitzposition ist auch für groß gewachsene Menschen bis 185 durchaus in Ordnung. Obwohl die Lenker in Anbetracht der hohen Sitzposition optisch recht weit unten erscheinen, ist die Belastung an den Handgelenken eher gering und man kann durchaus für ein bis zwei Stunden am Stück auf dem Motorrad sitzen, ohne zu verkrampfen.

Vollkommen neuartiges Motorraddesign, ohne in die übliche Retro- oder Naked-Bike-Trickkiste zu greifen: Dieses Motorrad wird polarisieren, so viel steht schon mal fest. Foto: (c) Sebas Romero

Das Fazit am Ende eines ersten Fahrtages mit der neuen Vitpilen 701: Dieses Motorrad vermag die Begrifflichkeit ­„Motorradfahren“ tatsächlich auf weiten Strecken neu zu definieren. Die Kombination aus purem Fahrspaß, extremer Handlichkeit, präziser Steuerbarkeit und diesem einzigartigen Design zum Niederknien macht die Vitpilen 701 höchst begehrenswert. Der Preis von 11.298 Euro geht für das einzigartige Package durchaus in Ordnung. Die neue Vitpilen 701 ist für den Motorradenthusiasten eines dieser wenigen ikonischen Motorräder, das man auf jeden Fall in der Garage stehen haben muss. Und für diejenigen, die vielleicht zum ersten Mal mit der Einspurigkeit liebäugeln, bietet sie alle Aspekte, die die reine Freude am Motorradfahren definieren: Sie sieht fantastisch aus und macht enorm viel Spaß! Simpel und trotzdem progressiv!

Definiert das Motorradfahren neu: Gregor Josel testet die Husqvarna Vitpilen 701. Foto: (c) Sebas Romero

Infoporn
Husqvarna Vitpilen 701
Motor: 1-Zylinder, 4-Takt
Hubraum: 692,7 ccm
Leistung: 75 PS / 72 Nm Drehmoment
Gänge: 6
Fahrwerk: WP-USD-Gabel vorne, Zentralfederbein hinten
Bremsen: Brembo-Einscheiben-Bremse vorne und hinten
Sitzhöhe: 830 mm
Gewicht (fahrbereit): 157 kg
Tankinhalt: 12 Liter
Preis: ab 11.298 Euro
Info: husqvarna.com