Essen

Bäck-Man – Ein Selbstversuch im Brotbacken

Steaks grillen können die meisten Männer. Der wahre Angstgegner heißt aber Backen – allen voran Brotbacken. Der WIENER wagte den Selbstversuch in Margareten. Handsemmelkneten im Sado-Maso-Modus.

Text: Roland Graf / Fotos: Maximilian Lottmann

Es herrscht halbe-halbe in der Heumühlgasse. Denn auch sechs Männer wollen es wissen: Wie man ein Salzstangerl selber macht. Oder eine Handsemmel „schlägt“. So heißt das in der Bäckersprache, erklärt der ebenfalls paritätische Lehrkörper in ­Wiens erstem Brotbackatelier. Simon Wöckl, der 28-jährige Backlehrer, sagt gleich zum Einstand vor den zwölf Kursteilnehmern Sätze wie diesen: „Ich habe Agrarwissenschaft studiert, weil ich den Sauerteig verstehen wollte.“ Dem Bäcker-Dutzend flößt das Respekt ein – und das mit Recht. Wie er mit Fingerfertigkeit eine Semmel faltet, erinnert an einen guten Zaubertrick. „5.000 Semmeln, sagt man, braucht es bis zu dieser Meisterschaft“, bemerkt ­Barbara van Melle so nebenbei.

Teigkneten im Sado-Maso-Modus. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Über den steinigen Weg zum selbstgebackenen Brot hilft der Backkurs der ehemaligen Moderatorin und heutigen
Kruste&Krume-Chefin. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Die ehemalige ORF-Moderatorin hat als ­leidenschaftliche Bäckerin die Crowd­funding-Aktion hinter dem Backatelier Kruste&Krume angeleiert, das so heißt wie das Brotfestival, das sie ebenfalls ini­tiiert hat. Schon dort „wurden wir bei unseren Backkursen gestürmt“, mit dem ­fixen ­Backhaus hat sich wenig an der Nachfrage geändert. Wien ist offenbar verrückt nach Brot. „Wenn’s nach den Leuten geht, könnten wir zwölf Kurse in der ­Woche machen“, erzählt sie. Tatsächlich sind es drei die Woche, die sie und Simon Wöckl abhalten. Mit der teigigen Doppelconférence stelle man sicher, dass Profi-Backwissen in die Haushaltsküche übersetzt werde. Was abstrakt klingt, spürt man bald am eigenen Handballen.

Vorher-Nachher- Suchbild: Barbara van Melle mit dem Teigling, WIENER- Autor Roland Graf mit dem fertigen Mohnweckerl. Foto: (c) Maximilian Lottmann

My very first Handsemmel: Wie viele Versuche diesem Schmuckstück vorausgingen, verschweigen wir lieber. Das „Schlagen“ der Semmel darf man sich wie Origami rund um den eigenen Daumen mit gelegentlichen Handkantenschlägen dazwischen vorstellen. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Denn während in „allen Backstuben Österreichs eine Fortuna steht“ (van Melle), sehen die meisten Neo-Bäcker die wunderliche Teig-Schneidevorrichtung heute das erste Mal. Mit dem nostalgisch anmutenden Ding – irgendwo zwischen Linolschnittpresse und Waschmaschine – wird aber nicht ge­arbeitet. „Ihr schleift händisch“, gibt Wöckl die Devise aus. Es ist unsere erste Übung in dosierter Dominanz. Denn der Teig braucht Spannung, doch das Kneten darf andererseits die glatte Oberfläche nicht zerstören. Zur Erklärung dreht uns der Bäckermeister aus Oberösterreich nur kurz den Rücken zu: „In crust we trust“, steht auf Wöckls T-Shirt. Übersetzt für die zwölf Kursteilnehmer: „80 Prozent des Aromas entsteht durch die Kruste.“

Ohne ihn geht gar nichts: Poolish oder Dampfl, der Vorteig, sorgt dafür, dass das Gebäck ordentlich aufgeht. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Mohn- und Sesamweckerl in the making. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Die große Oberfläche verbindet daher bei allen Unterschieden das Salzstangerl und die Semmel. Beide sind Teil des Programms „Stars des Handgebäcks“, dem sich das Duo heute widmet. Und während wir verzweifelt versuchen, einen Knopf in unseren Teigstrang zu machen, geht das Wöckl wie jedem Zauberer fingerfertigst von der Hand. Der Vergleich zur Magie stimmt in jedem Fall für das Zaubersalz. Denn auch Bobby Lugano selig hätte seine Freude in der Backstube: „Ohne Salz bliebe das Gebäck flach.“ Geschmack entstehe erst durch Abbauprodukte. In Sachen Brot hat das irgendwie mit dem Abbau der Eiweiße und der Hemmung von Enzymen durch das Salz zu tun. Aber Teig-genau-Versteher ist der Simon. Mir reicht es schon, dass die Semmel beim Schleifen nicht reißt. Oder besser: der Semmel-Nukleus. Denn von einer schönen Optik sind wir noch weit entfernt.

Die Wahl der Hülle bestimmt die Optik des Handgebäcks. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Sie bedarf wieder einer Mischung aus Gewalt und Sanftheit, die erklärt, warum Männer die Backstube fürchten. „Teig wird nicht vom Ziehen länger, sondern nur durch Druck beim Kneten“, gibt es einen weiteren Sinnspruch aus dem offenbar reich gefüllten Stammbuch für Bäckernovizen. Denn man lernt im Minutentakt Neues. Manches ist logisch: „Teigmischen immer mit dem Wasser zuerst beginnen!“ Klar, zu viel Wasser holt man hinterher nur schwer wieder aus dem Mehl-Germ-Gemisch. Anderes wiederum fällt in die Rubrik „Welt der Wunder“. Staunend erfährt man, dass man Teige auch „überkneten“ kann. Roggen und Dinkel seien da besonders anfällig, erläutert Barbara van Melle die kleine Mehlkunde. Das würde man ja gerne aufschreiben für daheim mit den teigverkrusteten Freddy-Krueger-Fingern. Allerdings verlangt ein anderer Star des Handgebäcks (und zwar eine echte Diva) die Aufmerksamkeit. Ohne Zug auf den flach ausgerollten Teig auszuüben, wird es nämlich nichts mit dem Salzstangerl. Zu viel Zug wiederum zerfetzt das Werkstück. „Die Spitzen kannst nur am Anfang machen“, ist Wöckl die Ruhe selbst. Auch links und rechts im Brotbackatelier stellt sich eine gewisse Grundähnlichkeit ein.

Resches Handgebäck by WIENER-Redakteur Roland Graf. Foto: (c) Maximilian Lottmann

„Den Geschmack macht zu 80 Prozent die Kruste aus“, lautet einer der Lehrsätze von „Vor-Bäcker“ Simon Wöckl. Recht hat er, sagt der erste Biss ins knackige Weckerl. Foto: (c) Maximilian Lottmann

Wir finden uns derweil damit ab, dass unsere Teigpalatschinke unter den Hand­gebäck-Stars nicht einmal das Zeug zum One-Hit-Wonder hat. Aber als Journalisten haben wir ja noch die Fluchtmöglichkeit des interessierten Fragens. Also, Frau van Melle, woher stammt eigentlich diese neue Liebe zu Brot und Gebäck? „Für mich hat das mit der Rückkehr des Analogen zu tun“, räsoniert sie. Die meisten Männer, die mit den Händen im Teig wühlen (ab 90 Euro gibt es die dreistündigen Kurse), hätten abstrakte Berufe. Und im Gegensatz zu Versicherungen, Webseiten und Coachings kann man den Teig angreifen. Das fertige Brot und Gebäck natürlich auch. Das mache die Faszination für das Selberbacken aus. Stimmt. Auch wenn wir unserem Salzstangerl zur Sicherheit ein Papierschild mit seinem Namen anheften: Trägt man seinen Korb nach Hause, weiß man, wie sich Stolz anfühlt. Und beim Frühstück kann man ihn sogar schmecken.

Mehr Infos unter krusteundkrume.at