Spurensuche mit Harri Stojka

Harri Stojkas amüsanter Indien-Trip hat ihm zwar keine Erleuchtung, uns aber ein höchst liebenswertes Roadmovie beschert. Und das kommt in der aufgeheizten Debatte um die Roma gerade zur richtigen Zeit.

Wenn Harri Stojka übt, stundenlang, ganz für sich allein, hört er Harmonien, die nur in seinem Kopf existieren. Wenn er das Wort Zigeuner hört, hört er „das zweite Wort auch immer dazu, im Kopf “, sagt er, und er hört es so deutlich wie seine Harmonien. Das zweite Wort – es verfolgt ihn seit er denken kann, es machte ihm die Schule verhasst: „Bis zur letzten Klasse. Ich bin von meinen Schulkollegen abgepasst worden, und die haben mich niederg’haut, nur weil ich ein Roma bin.“ Dieses zweite Wort ist der Grund dafür, dass jeder, der den 53-Jährigen heute noch einen Zigeuner nennt, „Streit mit mir kriegt“. Dieses zweite Wort ist DRECKIGER. „Dreckiger Zigeuner haben sie mich genannt, jahrzehntelang habe ich darunter gelitten.“

Rudolf Sarközi, Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma, versteht, wovon Harri Stojka spricht. Der heute 65-Jährige wurde 1944 im Konzentrationslager Lackenbach geboren und wuchs im burgenländischen Unterschützen auf: „Es war genau so, wie es der Harri erlebt hat. Nicht, dass sie uns laufend als dreckige Zigeuner beschimpft haben, aber du warst nicht der Sarközi-Rudi, du warst der Zigeuner-Rudi.“ Rudi durfte zumindest mit den Schulkollegen Fußball spielen, „aber wenn du mit jemandem nach Hause mitgegangen bist, haben seine Leut’ gesagt, der Zigeuner kummt ma da net eina“.

Heute hat sich die Situation der Roma in Österreich gewandelt. „Bei mir haben sich die Leute angewöhnt, mich als Roma zu bezeichnen“, sagt Stojka. Das Attentat von Oberwart, beim dem vier junge Roma durch eine Sprengfalle des irren Nazi-Bombers Franz Fuchs († 2000) ums Leben kamen, liegt mehr als 15 Jahre zurück; seit 1993 sind die 30.000 bis 40.000 Roma, die nach Sarközi’scher Schätzung in Österreich leben, als Volksgruppe anerkannt. Und sie sind „weitgehend integriert, assimiliert“, wie Sarközi sagt. In manchen Fällen bis zur Selbstaufgabe: „Teilweise haben sie ihre Namen geändert, weil sie das Gefühl haben, dass es ein Nachteil ist, Sarközi zu heißen“.

Sarközi, der seinen Namen
behalten hat und für seine Einsatzfreudigkeit vor neun Jahren zum Professor ernannt wurde, sagt: „Natürlich gibt es Armut und soziale Notstände, aber wir haben hier nicht so massive Probleme wie in Rumänien, Bulgarien oder gar in Frankreich.“ Denn seit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy angekündigt hat, er würde dafür sorgen, dass Tausende Roma (obwohl EU-Bürger) abgeschoben und ihre Lager „systematisch evakuiert“ werden, wird über die Situation der Roma in der Europäischen Union heftig diskutiert. Kommentar in der „Zeit“: „In Brüssel ist der Streit über den Umgang mit Roma eskaliert.“

Wenige Tage bevor diese Debatte ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, kam ein Film ins Kino, der wie ein feinfühliger, schelmischer Kommentar zur aktuellen Roma- Diskussion scheint; ein Film, der die Zuseher während der Vorstellung begeistert applaudieren lässt und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Regisseur Klaus Hundsbichler hat Harri Stojka und Geiger Mosa Sisic ins indische Rajasthan begleitet. Gedacht war der 17-tägige Trip als Spurensuche, weil heute als gesichert gilt, dass die Roma vor Jahrhunderten von Indien nach Europa kamen. Doch die Spuren lösten sich im Nichts auf (die Sprache ist keine gemeinsame mehr), was Stojka trotzdem nicht Leid tut. Weil er dort etwas wiederfand, was zwar nichts zu einem neuen, besseren Geschichtsverständnis, aber viel zu einem besseren Zusammenleben beitragen könnte: „Die Botschaft des Films ist Gastfreundschaft. Die haben für uns Prachtgewänder angezogen. Nicht, weil sie gewusst haben, dass wir mit einem Filmteam kommen. Die machen das für alle so. Das ist für mich der Gypsy Spirit, das war bei meiner Familie genauso. Wir sind sofort integriert worden.“

Sarkozy sah sich währenddessen genötigt, den Papst aufzusuchen (weil ihm die Katholiken in seiner Heimat arg übel nahmen, dass er den Wahlspruch der Republik – liberté, égalité, fraternité, also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – vergessen zu haben schien). Stojka hatte schon zuvor gemeint, Sarkozy brauche einen Sündenbock. Im Lied „Romale, Romale“, das der Ausnahmegitarrist komponiert hat, heißt es: „Roma, Roma / Auf der Straße schlagen sie uns / Als wären wir keine Menschen …“

Papst Benedikt XVI., hielt sich nach der 33-minütigen Privataudienz Anfang Oktober übrigens zumindest offiziell zurück. „Erst später kam der Vatikan dann doch noch auf seine kritische Sicht der französischen Einwanderungspolitik zurück. Beim Besuch Sarkozys im Petersdom mit einem Moment der Andacht wünschte Kardinal Jean- Louis Tauran, Präsident des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog, dem Land Mut auch bei der Aufnahme von Verfolgten und Immigranten“, schrieb der Spiegel.

Mut bei der Aufnahme von Verfolgten und Immigranten? Stojka nimmt das wörtlich, er spielt Benefiz-Konzerte, immer wieder, so viele, dass es schon fast zu viele sind. Und was Stojka nur mit Zurückhaltung erzählt: Er und seine Frau Valerie nahmen für sieben Monate eine Roma- Familie auf: „Das muss einer einmal machen, dann kann er mit dem Finger auf andere Leute zeigen.“ Warum er sich für seine Leute engagiert? „Weil ich der prominenteste Roma in Österreich bin und die Verpflichtung habe, das bisschen, das ich tun kann, zu tun.“

Mitte Oktober (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) fand in der rumänischen Hauptstadt Bukarest eine EUKonferenz statt, um Hilfsprogramme für die Roma in Gang zu bringen. Bereits zuvor wurde in einer Mitteilung der EU-Kommission an Rat und Parlament die soziale und wirtschaftliche Integration der Roma – geschätzte 10 bis 12 Millionen leben in Europa – eingemahnt. EUKommissar László Andor (zuständig für Beschäftigung, Soziales und Integration): „Die Bemühungen um Integration müssen sich auf das gesamte Leben der Roma beziehen, angefangen vom Kindergarten für die Kleinsten bis hin zur Regelschule für die Kinder, zu Arbeitsplätzen für die Erwachsenen und zur Pflege für die älteren Menschen. Die Roma-Gemeinschaften nehmen einen wichtigen Platz im Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit ein.“

Noch ist die Roma-Geschichte eine Geschichte in Moll. Ist dunkel, ist traurig, Stojka mag diesen Sound, trotz allem: „Das war die Musik, die mein Vater gesungen hat. Die hat sich in meine Seele gebrannt.“ Und trotzdem swingt diese Musik, ist sie so prall von Lebensfreude, dass man aufspringen möchte, um mitzuklatschen und mitzutanzen. Stojkas „Romale, Romale“ ist so ein Lied. Und es hat eine Botschaft, eine höchst selbstbewusste. Für alle, die Romanes verstehen (oder zumindest bereit sind, die Übersetzung zu lesen): „Hört Leute, hört was wir singen / Wir sind die Blumen dieser Erde / Hört Leute, hört was wir erzählen / Wir sind die Blumen dieser Erde“.

HARRI STOJKA

Der 53-Jährige entstammt der Lovara-Rom-Dynastie, die vor 150 Jahren aus der Walachei (im heutigen Rumänien) kam. Von 200 Familienmitgliedern überlebten nur sechs die Konzentrationslager. Der Musiker, der Django Reinhardt und George Harrison verehrt, gilt nicht nur als Ausnahmegitarrist, er setzt sich mit verschiedenen Projekten immer wieder für Roma ein. 1980 schuf er mit „Bau no was an“, das nach Eigendefinition „lustigste Drogenlied“ – „heute bin ich total gegen Drogen“. Harri Stojka lebt mit seiner Frau Valerie in Wien. Zuletzt tourte er u.a. durch China, am 3. November ist er im Musikverein, Gläserner Saal, zu hören. www.harristojka.at