Stermann:WIENER Weihnacht

Ich habe vom WIENER etwas Schnee geschenkt bekommen. Richtigen Schnee, nicht Nasenschnee. Als Weihnachtsgeschenk. Der Schnee schmolz, die Krise lebt.

Ich kann mich gut erinnern an all die rauschenden Weihnachtspartys der letzten Jahrzehnte. Der WIENER wusste zu feiern. In St. Tropez stieß Helmut Berger mit mir an, sein weißer Anzug war vollgeschissen bis zum Halsausschnitt, aber er wirkte trotzdem cool. Der Champagner wurde aus sündhaft teuren, fußgeblasenen Retrokrügen gesoffen, die gebratenen Tauben steckten in gebratenen Fasanen und schwammen zusammen mit lebenden Trüffeln in einer Mousse aus Geld. New York haben wir WIENERlinge noch vor zwei Jahren als albern und öd abgelehnt. “Eine Weihnachtsfeier in New York? Ist das euer Ernst?” riefen wir damals und hielten uns die Bäuche und den Vorschlag für einen Witz. Anfang des Jahrtausends beim WIENER zu arbeiten, das war wie mehrere Lottogewinne. Fette Prämien, Bäuche, die man sich hielt vor Lachen und Satturiertheit (in diesem Fall wirklich mit 2 “t”), denn es gab erlesenste Speisen, die geölt wurden mit erlesensten Getränken. Wer heute anfängt, hier zu arbeiten, der glaubt es nicht, aber ich schwöre: teilweise hatte ich mehr Geld im Portemonnaie, als es weltweit Geld im Umlauf gab.

Vor wenigen Tagen erhielt ich die Einladung zur diesjährigen WIENER-Weihnachtsfeier. “Der WIENER lädt dich ein zur Weihnachtsparty. Bitte bring Getränke mit oder hoffe mit uns auf Regen. Wir treffen uns auf dem Parkplatz der Shopping City Süd. Wenn du schnell frierst, bring bitte Brennholz mit.” Die Einladung war mit der Hand auf Altpapier geschrieben worden. Das Gerede über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise hat wohl doch einen Hintergrund, dachte ich, der ich oft einfach nur etwas sage, um zu überprüfen, ob ich einen Schlaganfall hatte. Aber konnte es sein, dass wir erstmals nicht aus dem Mund von Fiona Swarowski Mouton Rothschild 1945 für schlappe 28.000 Dollar pro Doppler trinken sollten? Es ist schließlich Weihnachten und nicht irgendein Namenstag von irgendeinem Volltrottel.

Im letzten Jahr hatte noch Karl-Heinz Grasser kellneriert, was dazu führte, dass ich erstmals nicht trank, weil ich mich nicht mitschuldig machen wollte. In Grassers Nähe landen irgendwann alle vor Gericht. Nur er nicht, weil er den Richter kennt. Aber in diesem Jahr gabs nicht einmal Grasser zum Fest. Und kein Essen, in das man seinen eigenen Scheitel hätte schütteln können. Weil die Shopping City Süd auch sparen muss, war es stockfinster, als wir uns zur unglamourösesten Party trafen, auf der ich jemals war. Niemand sprach, einige lagen auf dem kalten Asphalt, weil es keine Sitzgelegenheiten gab. Neben uns feierte der ORF, auch dort kam keine rechte Stimmung auf. Die ERSTE hatte für ihre Mitarbeiter nicht einmal “auf dem kalten Asphalt liegen” gebucht. Dort standen alle zitternd nebeneinander. Blass, hungrig und traurig, so wie die Stewardessen und Piloten der AUA.

Als jedem von uns als kleines Dankeschön statt der Rolex-Kollektion wie im Vorjahr ein wenig Schnee geschenkt wurde, sahen die ORF- und AUA-Mitarbeiter neidisch herüber. Die Mitarbeiter der Kärntner Landesregierung mussten ihre kleine Weihnachtsfeier auf der nahegelegenen Autobahn feiern. Sie aßen sich selbst. Man hörte sie schmatzen. Würden wir alle so enden? Jeder versuchte, überfahren zu werden. Die Autos wichen aber geschickt aus. “Nichts ist umsonst, nur der Tod und den bezahlt man mit dem Leben” – Dieser Satz wurde von den wild herumspringenden Kärntnern ad absurdum geführt. Sie leben alle kilometerweit unterhalb der Armutsgrenze. “Es ist, wie es ist und es ist fürchterlich”, riefen wir ihnen zu. “Frohe Weihnachten!” Zu diesem Zeitpunkt war der Schnee in meiner Hand geschmolzen und ich winkte ihnen mit einer nassen Hand traurig zu.