Stermann: Die Arschkarte

Die Geschichte schreibt die unmöglichsten Geschichten. Zum Beispiel jene der ungebildeten Rechtsabbieger, die in den ewigen Schnee zogen, obwohl das Paradies auf sie wartete.

Schade, dass Sie nicht sehen können, wie meine Schweißperlen auf die Tastatur fallen. Mein Schweiß riecht nach Eukalyptus und der Laptop glüht. In der Biosauna kann jeder eine Kolumne schreiben, dachte ich. 40 Grad? Lächerlich. Dazu leise Musik vom Eso-Wühltisch. Beruhigend? In Biosaunen läuft das überzählige Ohrenschmalz der Musikgeschichte. Mein Amboss schwillt und mein Steigbügel schlägt um sich. Für eine Biosauna gibt es nur eine einzige Funktion. Man kann das fertige Essen hineinstellen, um es warm zu halten. Den toten Tieren ist Meeresbrandung auf der Harfe gespielt einerlei. Und dem Gemüse auch.

Erzählen Sie mal einem Finnen, dass sie Biosaunagänger sind. Der jagt sie sofort in den Wald, aus dem die Finnen ja alle kommen, allerdings nachdem sie mit den Ungarn zusammen als Steppenvolk aus Asien nach Europa kamen. Der Überlieferung nach stand im heutigen Russland ein Wegweiser. Die Straße gabelte sich. Unter dem Pfeil, der nach links zeigte, stand: “Warm, Wein, schöne Frauen”, unter dem Pfeil nach rechts: “Kalt, dunkel, Wölfe, Depression”. Alle, die lesen konnten, leben heute in Ungarn. Der Rest ist Finne.

In Teilen Finnlands hat noch nie die Sonne geschienen. Dort lebt der blasse, fast durchsichtige Finne und trinkt traurig in sich hinein. Er träumt von seinen Verwandten, die bei Szegediner Krautfleisch und Wein mit Frauen im Arm an der Donau liegen. Frauen, die er nur aus ungarischen Pornoproduktionen kennt.

Der Finne hat stets die Arschkarte. Hunderte Jahre lag er einfach im Wald am Boden. Im Schnee, zugedeckt mit Elchen und Rentieren, die teilweise noch lebten und sich zur Wehr setzten. Eiszapfen fielen von den Bäumen und erschlugen viele der besten Finnen. Sie klapperten mit den Zähnen und bewegten sich melancholisch dazu, der Suomi-Tango war geboren, die einzige karge Freude, die unsere Finnen bis heute haben, neben dem Leeren aller Alkoholflaschen, derer sie habhaft werden.

Im 18. Jahrhundert kam dann ein Ungar vorbei, weil es in Budapest so viele schöne Frauen gab, die ihm den Hof machten. Er wollte sich anschauen, wie sich die Verwandten, die damals rechts abgebogen waren, so schlugen. Er fand sie halb erfroren, mit blutenden Wunden, in denen Elchgeweihe steckten, so blass, dass man sie im Schnee kaum sehen konnte. Sie taten ihm sehr leid. Darum baute er ihnen eine Sauna und eine Schanze. Seither haben die Finnen zwei Hobbys: Schwitzen und Skifliegen.

Bis zu 180 Grad kann eine finnische Sauna warm werden, hat mir Matti Nyämähänähänälä erklärt, den ich einmal für die Zeitschrift “Sad Faces” fotografiert habe. Das Foto ist nichts geworden, weil ich es dummerweise im Schnee gemacht habe und er sich einfach nicht vom Weiß abhob. Nyämähänähänälä erzählte, 180 Grad sei deshalb ideal, weil man einen Elch mitnehmen kann, der dann in der Sauna erschlagen wird und zwei Stunden vor sich hin schmort, während der Finne danebensitzt und auf den Elch tropft. So wie ich auf meinen Laptop.

Von Nyämähänähänälä hab ich gelernt, dass man die Sauna auch gut zum Wäschewaschen benutzen kann. Man stellt auf 90 Grad, legt die dreckigen Kleider auf den Boden und tropft zwei Stunden auf die schmutzige Wäsche. Finnisch Wäsche waschen, nicht EU-konform, aber das ist das harte Leben in Finnland auch nicht.

Dass der Laptop auf meinen Oberschenkeln schmilzt, ist sehr schmerzhaft, aber dass bin ich dem traurigen Nyämähänähänälä schuldig. Ihm und all den anderen Sad Faces, die sich für uns da oben im Norden den Arsch abfrieren, nur weil ihre Vorfahren nicht lesen konnten.