Stermann: Sie müssen der Esel sein

Armer, armer Dirk.

Armer, armer Dirk – ausgerechnet der Mann, der in Hotels gerne mit der Berufsbezeichnung „Abt“ eincheckt, weil’s so schön kurz ist, trifft in Bremen auf ein Pärchen mit dem längsten Namen der Welt. Eine schweißtreibende Angelegenheit, inklusive einer absolut tierischen Erkenntnis.

Manchmal bin ich so erschöpft, dass ich beim Zahnpastaauftragen auf die Zahnbürste mehrere Pausen einlegen muss. Das sind Tage, da seh’ ich so fertig aus, dass in der U-Bahn sogar Rollstuhlfahrer für mich aufstehen. Ich muss ja fast 400 Tage im Jahr auf irgendwelchen Bühnen stehen, weil ich eine Agentur hab’, die mich zwingt, in jedem Bauernhof aufzutreten, der mehr als zwei Kühe im Stall stehen hat. Daneben muss ich irgendwie noch Fernsehsendungen und Radioshows moderieren und Bestseller schreiben und onanieren oder mir die Ohren putzen. Mit anderen Worten: es ist ganz normal, dass mir beim Einchecken an Hotelrezeptionen die Kraft fehlt, meinen vollen Namen zu schreiben. „Stermann“ und vor allem „Kettenbrückengasse“ rauben mir die letzten Kraftreserven. Selbst „Wien“ kommt mir in solchen Momenten sooo lang vor. So schreib ich meistens statt „Wien“ „Rum“ und statt „Kettenbrückengasse“ „Aug.“ und statt „Stermann“ „Wu“. Ich forme meine Augen zu Schlitzen, um der Rezeptionistin zu signalisieren, ich sei ein Austrochinese aus Rum in Tirol, der in der Augasse wohnt. Bei Beruf gebe ich „Abt“ an. Etwas Kürzeres fällt mir nicht ein.

Vor wenigen Tagen stand ich in Bremen in der Lobby eines Hotels, vor mir ein deutschstämmiger Musiker mit Wohnsitz in Bangkok und seine neuseeländische Frau. Beide waren Musiker und traten beim sinnlosen Bremer Stadtmusikanten- Festival auf. Als Hahn und Katze wahrscheinlich. Ich stand da und wartete, bis sie endlich fertig würden mit dem Ausfüllen ihres Meldescheins. Ich sah auf die Uhr. Es war 11.30 Uhr. Um 11.55 Uhr füllten sie noch immer aus. Inzwischen war mir klar, dass sie beide als Esel beim Bremer Stadtmusikanten- Festival auftreten würden. Zu blöd, Namen und Adresse hinzukritzeln? „Mann, soll ich Ihnen helfen? Ich möchte bis Mitternacht hier fertig sein!“, rief ich ungehalten, riss dem Musiker den Stift aus der Hand und riss einen frischen Meldeschein vom Block.

„Also“, rief ich genervt, „Name?“

„Ottovordemgentschenfelde. Bernd Ottovordemgentschenfelde.“ Er hatte eine angenehme, kratzige Stimme, wie die Synchronstimme von Robert de Niro. „Bernd Otto Vordemgentschenfelde? „Nein“, sagte er. „Bernd ist mein Vorname. Ottovordemgentschenfelde ist mein Nachname.“– „Wow“, sagte ich. „Ist ja ein irrelanger Name!“ – „Ja“, antwortete er. „Der längste Name Deutschlands. 24 Zeichen allein der Nachname. Meine Frau heißt Irihapeti. Das ist ein Maori- Name.“ „Da hat sie es ja gut. Schön kurz“, sagte ich. „Nein“, sagte er. „Sie heißt auch Ottovordemgentschenfelde. Irihapeti Ottovordemgentschenfelde.“ Ich nickte verständnisvoll und schrieb ihrer beider Namen. „Geburtsort?“ fragte ich. „Soll ich das nicht schreiben?“, bot er an, aber ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich mach’ das schon. Geht schneller“, sagte ich. „Also? Wo ist sie geboren?“ – „In Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimaungahoronukupokaiwhenuakitanatahu. Das ist in Neuseeland. Übersetzt heißt das soviel wie: der Ort, an dem Tamatea, der Mann mit den großen Knien, den Berg hinabrutschte und seine Flöte für seine Geliebte spielte.“ Sie lächelte und gab ihm einen Kuss. „Ungefähr so ist die Bedeutung. Das ist der zweitlängste Ortsname der Welt. 85 Buchstaben.“

Ich starrte sie an. „Länger ist nur noch die Adresse meines Mannes. Geht’s noch? Also. Geboren wurde er in Wales. Auf der Insel Anglesey. Die Stadt heißt Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch. Oft wird der Ortsname einfach mit Llanfairpwllgwyngyll abgekürzt, aber in Hotels schreiben wir es immer aus. Jetzt kommt das Anstrengendste. Wir wohnen in Thailand. Sie kennen unseren Wohnort als Bangkok. Aber wir schreiben immer den offiziellen Thai-Namen. Geht’s?“, fragte sie.

Ich nickte mit starrem Blick. „Also. Krung Thep Mahanakhon Amon Rattanakosin Mahinthara Ajuthaya Mahadilok Phop Noppharat Ratchathani Burirom Udomratchaniwet Mahasathan Amon Piman Awathan Sathit Sakkathattiya Witsanukam Prasit. „168 Buchstaben!“ Ich hatte mitgezählt. Schweiß tropfte aufs Formular. Meine Hand schmerzte.„Ja, der längste Ortsname der Welt. Wollen sie auch noch den Beruf für uns eintragen? Das wäre nett. Wir sind beide Musiker. Unsere Band heißt Paracoccidioidomicosisproctitissarcomucosis.“ – „Lassen Sie mich raten. Der längste Bandname der Welt?“ Beide lachten und strahlten mich an. „Und sie?“ fragten die zwei. „Sie müssen der Esel sein!“