Arnulf Rainer: Der Ruf der Bilder

Glücklich ist er, wenn er malt, „weil mich sonst das Leben nicht sehr interessiert“. Der WIENER sprach mit Arnulf Rainer, einem der wichtigsten österreichischen Maler, über seine neue Ausstellung in Baden, das Wetter auf Teneriffa und die Übermalungsresistenz des Roland Düringer.

Wenn Sie in der Früh in den Spiegel schauen, denken Sie dann an Kunst?

Vor dem normalen Waschtischspiegel schaut man nur, ob die Frisur nicht zu sehr in Unordnung ist.

Wann ist ein Gesicht schön? Oder kommt es darauf gar nicht an?

In der Kunst kommt es nicht darauf an. Im Leben natürlich schon. In der Kunst muss ein Gesicht Ausdruck haben. Ich habe mich jahrelang fotografieren lassen, und da muss man den Ausdruck dazugeben, weil das Normalgesicht nicht so variationsbreit ist.

Was ist das Spannende an Gesichtern?

Wir sind alle von unserer Empfindung und unseren Interessen her sehr am Gesicht des anderen interessiert. Das hat für uns ein besonderes Differenzierungsvermögen. Trotz nur kleiner Unterschiede erkennen wir eine Person leicht. Im Alter wird es ein bisschen schlechter.

Wenn Sie jetzt unseren WIENER übermalen würden, wie viel wäre er dann wert?

In so kleinem Format wäre das natürlich nicht so kostspielig. Aber der Umschlag saugt keine Farbe. Der ist Hochglanz und schmutzabweisend, also übermalungsresistent. Auch muss es mich wirklich interessieren, was Sie am Titel haben. Ich muss eine positive Beziehung zum Überarbeiten haben. Ich überarbeite auch so, dass das Bild – das ist ja bei Ihnen meistens ein Gesicht – stärker und intensiver sichtbar wird.

Der Herr Düringer von unserem November-Cover eignet sich also nicht dafür?

Vielleicht, wenn ich ihn kennen lerne, länger mit ihm zu tun habe, mich genauer einfühle und so weiter. Aber normal sind mir Frauen lieber.

Übermalen Sie immer noch, auch Werke anderer?

Schon, aber grundsätzlich nur Faksimiles. Ich will nur Bilder malen, die mir gefallen. Und die, die mir gefallen, sind viel teurer als meine eigenen. Ich habe auch zu viel Respekt vor Bildern, die mir gefallen.

Teilweise wurden Ihnen Bilder freiwillig zum Übermalen zur Verfügung gestellt.

Natürlich darf man nicht glauben, dass das die wertvollsten Werke dieser Künstler waren.

Wie hat das mit dem Übermalen angefangen?

Das war nach dem Krieg. Ein Maler hat sich neue Leinwände und die Grundierung nicht leisten können. Jetzt ist man zu den Trödlern gegangen und hat nach Bildern gesucht. Die meisten waren billiger als das Malmaterial. Zu Hause hat man den Schlussfirnis runtergegeben, weil sie sonst schmutzabweisend und farbabweisend gewesen wären, und weitergemalt. Ich habe gemerkt, dass es mir nicht egal ist, wer sich darunter schon bemüht hat. Damals sind meine Sensibilität und mein Interesse erwacht.

Info

Arnulf Rainer wurde am 8. Dezember 1929 in Baden geboren. Er ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler Österreichs. Rainer arbeitet in Wien, Oberösterreich, Bayern und auf Teneriffa. Seine neueren Arbeiten gelten allgemein als zunehmend ruhiger. Bekannt wurde Rainer hingegen durch Provokation. Seine Übermalungen von Werken anderer und eigenen Fotografien ab den Fünfzigern erweiterten das westliche Kunstverständnis. 2009 wurde in Baden das Arnulf-Rainer-Museum eröffnet, wo jährlich zwei Ausstellungen geplant sind. Die nächste, „Visages“, ist ab 20. November 2010 zu sehen. Schwerpunkt sind Bildnisse von Gesichtern und Totenmasken.