Gröbchen:Amerika, so what?

Sie sind die tragischen Veteranen der österreichischen Alternative-Szene: Naked Lunch. Anno 2011 vertont das Klagenfurter Quartett Kafka. Eine zwingende Kombination.

„Was das Scheitern betrifft: auf diesem Gebiet sind wir geradezu exemplarische Experten“. Wer solche Sätze sagt, ist á priori grundsympathisch. Denn natürlich ist das Scheitern per se weit spannender als der Sieg. Zumindest aus meinem Blickwinkel. Ausgesprochen, mit unendlicher Abgeklärtheit und Gelassenheit formuliert hat diesen Satz Oliver Welter, Sänger, Gitarrist und Frontmann der österreichischen Band Naked Lunch.

Kennern der hiesigen Szene muss man diese Formation nicht näherbringen. Das Naked Lunch-Personal besteht heute aus Welter, Sänger und Bassist Herwig „Fuzzman“ Zamernik, dem Elektronik-Spezialisten und Multi-Instrumentalisten Stefan Deisenberger und dem Schlagzeuger Alex Jedzionsky. Seit dem Erstlingsalbum „Naked“, erschienen anno 1991, und dem letzten Album „This Atom Heart of Ours“ (das 2007 auch den Off-Hit „Military of the Heart“ enthielt) haben unzählige Hochs und Tiefs den Kern der Gruppe nicht unangetastet gelassen: nur Oliver Welter war bei der Gründung der Band mit an Bord. Danach und dazwischen forderten Alkohol, Depressionen, kommerzielle Perspektivlosigkeit und zwischenmenschliche Reibereien ihren Tribut.

Immer wieder schafften es Naked Lunch, „Superstardom“ – so der Titel eines beim Major Polygram erschienenen Albums von 1997 – quasi in Griffweite zu haben. Immer wieder aber zerrann ihnen der Traum unter der Hand. Aufnahmesessions in London und New York mit Grössen wie Alain Moulder (Smashing Pumpkins, U2), grosse Pläne und teure Videos wurden konterkariert von verwüsteten Hotelzimmern, Verhaftungen und Verlust von Plattenfirma, Management und Booking-Agentur. Erst mit dem tieftraurigen Album „Songs For The Exhausted“ (sic!) zog man sich im neuen Jahrtausend an den eigenen Haaren aus dem Sumpf. Einmal mehr.

Naked Lunch kommen aus Klagenfurt. Liegt schon Wien nicht an den Schnittachsen des internationalen Pop-Business, kann man bei diesem Provinznest gleich ein Kreuz schlagen. Oder auch nicht: denn das Stadttheater Klagenfurt wagt aktuell, was auch in grösseren Metropolen nicht alltäglich ist – die Vermählung von Popkultur mit Klassikern der Literatur. Im Zug des Einhundert-Jahr-Jubiläums der Bühne bat man den Künstler Bernd Liepold-Mosser um eine Interpretation von Frank Kafkas „Amerika“. Der wiederum holte umgehend die Alternative Rock-Kollegen dazu. Auch eine Oper („Ecce Homo“) ist schon in Planung. Und dass „Amerika“ zeitgleich als Mini-Album erscheint, darf als kleines Wunder bezeichnet werden. Man hatte mich vor Welter, Zamernik & Co. gewarnt: schwierig, schwierig. Die brauchen immer eine Ewigkeit, bis was weitergeht. Aber es geht was weiter. Zudem: ist das Leben eine Frage von Quantitäten oder Qualitäten?

Gestatten Sie mir also einen höchstpersönlichen Fingerzeig (der zugleich eine Werbeeinschaltung ist, weil ich mich ab sofort intensiver um die Burschen kümmere): intimere, berührendere, stimmigere Klänge habe ich in diesem Jahr noch nicht vernommen. Es ist noch jung. Aber „Amerika“ wird schön alt werden in meinem CD-Player.