Die Krassesten

Die (nicht nur) selbsternannten „Top 2“ des deutschen Hip-Hops sind dort, wo viele gern wären: ganz oben. Doch Erfolg birgt bekanntlich auch seine Schattenseiten. Welche Rolle dabei Gott und Teufel spielen, warum wir Sido an eine österreichische Alm verlieren werden, und wieso es keinen Sinn macht zu streiten, erklärten die berüchtigten Rapper im Interview mit dem WIENER.

Ups. Auf Grund eines Missverständnisses platzen wir vor unserem eigenen Termin in ein Fernsehinterview mit Sido und Bushido. „Noch so ne freche Aktion, dann könnt ihr nachhause gehen!“, warnt uns ein großer, eher humorloser Bodyguard. Ein Vorgeschmack, was uns gleich beim Gespräch mit den beiden prominentesten Rappern Deutschlands erwartet? Immerhin war Bushido zuletzt in den Schlagzeilen, weil ganz Deutschland (besonders aber Heino und Alice Schwarzer) gegen seine homophoben und frauenfeindlichen Texte und den dennoch ihm zuerkannten Bambi-Preis für Integration protestiert hat. Vor ein paar Jahren hielt er sich wegen eines Prozesses nach einer Schlägerei in Linz unfreiwillig länger in Österreich auf. Sido hingegen ist gerne hier. Beim ORF lässt er sich gerade als unverbrauchten Exoten feiern. Als Jurymitglied der „großen Chance“ legte er sich mit Adabei Michael Jeannée an, ab Dezember hat er seine eigene Castingshow, schon jetzt eine Wohnung im biederen Wiener Bezirk Döbling. Doch so ganz salonfähig ist auch er noch nicht: Bei einer Party im November verstörte er Ö3- Moderatoren mit einem kleinen „Schmäh“: „Ihr Österreicher habt uns mal einen rübergeschickt, der uns Ordnung beigebracht hat.“

Das Interview verläuft dann geradezu handzahm. Schließlich dürfen Sido und Bushido über Details ihres neuen Albums „23″ reden. Dass es dazu kommen könnte, hätte vor zwei Jahren noch niemand gedacht, schließlich waren sie die längste Zeit Erzfeinde und dissten einander – wie in Rapperkreisen üblich – was das Zeug hielt, in der Öffentlichkeit, bevor sie sich spektakulär versöhnten. Auf Twitter.

WIENER: „Guck, wie ich einfach so aus Spaß auf den Reporter rotze“, heißt es in einem Lied eures neuen Albums „23″. Müssen wir Angst haben?
Sido: Müsstet ihr, wenn ihr jetzt nicht respektvoll und nett auf uns zukommen würdet. Ich kenne auch Leute, die, wenn der Reporter kommt, zu mir sagen: Sei lieber nett zu dem, der könnte dich morgen in der Zeitung zerreißen. Und darauf scheiße ich. Es ist mir egal, ob ihr Reporter seid oder was auch immer. Wenn ihr mir nicht den nötigen Respekt entgegenbringt, dann rotze ich auch auf euch. Ganz sicher.

Es sind also keine Kunstfiguren, die uns eure Texte vermitteln?
Sido: Das sind wir, keine Kunstfiguren. Meine Platten sind immer komplett persönlich und authentisch. Da habe ich mir nicht ein eigenes Leben für Sido ausgedacht.
Bushido: In einigen Songs wechseln wir auch mal den Blickpunkt, indem wir eine Geschichte erzählen, die nicht unmittelbar uns passiert ist. Aber der, der das schreibt und der dafür auch gerade steht, das sind wir.
Sido: Auch die Auf-die-Fresse-Songs sind voll persönlich. Weißt du, es gibt Rapper, die sagen, sie sind die Krassesten, aber die sind es nicht. Bei uns ist es ja tatsächlich bescheinigt. Du kannst gucken, wie viele Preise da stehen und wie viele goldene Platten hier hängen. Und deshalb ist es legitim, wenn wir so auf die Kacke hauen.

Was muss man können, damit man zu den Krassesten gehört? Was macht einen guten Rapper aus?
Sido: Was uns bekannt macht, geht ja über das hinaus. Was uns so einzigartig macht, das weiß ich nicht. Wenn wir es auf Rap begrenzen, muss es authentisch sein und ehrlich. Und bei dem Zuhörer muss etwas ankommen. Du musst Bilder bei dem machen.

Im Song „Bonny’s Ranch“ heißt es: „Ich bin doch schon 30, wie lange soll ich noch warten, bis mein Kopf mal frei ist?“ Wo sieht sich ein Rapper im Alter? Wenn der „Block“ schon richtig weit weg ist.
Bushido: Ich kann und will nicht viel mehr oder andere Dinge machen außer Musik. Was sich ändert, sind die Themen. Ich glaube, dass wir vielleicht sogar mit 40 noch Musik machen können.

Ist es dann immer noch Rap?
Bushido: Ich kann nicht singen. Und wie Sido gesagt hat: Mir kann auch keiner das Singen beibringen. Entweder ist es etwas mit der Sprache oder etwas Musikalisches. Wobei ich auch keine Noten lesen kann. Aber irgendwas mit Musik wird es schon zu tun haben. Und wenn ich mal Songs für Volksmusiktypen schreibe.
Sido: Ich möchte das mit 40 nicht mehr machen. Musik machen ja. Mich hinsetzen und Texte schreiben, das brauche ich einfach für mich. Aber ich möchte irgendwann dieses ganze Trara nicht mehr haben. Ich bin auch selber schuld. Ich kann nicht nein sagen. Ich fühle mich oft so, als würde ich etwas verpassen. Ich möchte lieber bereuen, dass ich es getan habe – um dann zu wissen, es war nicht so gut. Also mache ich mir diesen Stress leider auch selber. Aber ich hoffe, dass ich irgendwann darüber hinweg bin und dann auf meinen Bauernhof gucke und Ruhe im Karton ist. Ich meine, ganz ohne Arbeit geht nicht. Mal sehen, ob der Bauernhof das Richtige ist. Da hast du genug zu tun.

Info

KLEINE DOPPEL-BIO: Anis Mohamed Youssef Ferchichi alias Bushido (japanisch für „Weg des Kriegers”) und Paul Würdig alias Sido („superintelligentes Drogenopfer“) wurden nach Jahren im Berliner Underground 2003 unter dem mittlerweile aufgelösten, dennoch wohl bekanntesten deutschen Hip-Hop-Label „Aggro Berlin“ schlagartig berühmt. Neben sozialkritischen Songs machten die Rapper vor allem immer wieder in der Öffentlichkeit Furore durch anstößige und provokative Texte. Der an Bushido erst kürzlich in Deutschland verliehene „Integrationsbambi“ führte schließlich zu heftigen und gespaltenen Reaktionen in der deutschsprachigen Medienlandschaft, die vielfach Bushidos Vorbildfunktion für jugendliche mit Migrationshintergrund aufgrund seiner frauen- und schwulenfeindlich verstandenen Texte infrage stellte. Sido lebt seit Ende 2010 in Wien und wirkt als Juror in der ORF-Sendung „Die große Chance“, in der er sich im September mit Kronen- Kolumnist Michael Jeannée ein Wortgefecht lieferte.