Big Screen: Before Midnight, eine Filmkritik.

Nach „Before Sunrise“ und „Before Sunset“ nun also der dritte Teil „Before Midnight“: Ethan Hawke und Julie Delpy mit Problemen in Griechenland.

Gut zwanzig Jahre ist es her, da hat Richard Linklater die Wege zweier Charaktere – jene des US-Amerikaners Jesse (gespielt von Ethan Hawke) und der französischen Studentin Celine (Julie Delpy) in einem ÖBB-Zug knapp vor Wien zusammengeführt und somit eine dialogverliebte, hüstel, Generation X-Romanze mit überraschendem Identifikations- und Projektionspotenzial für viele geschaffen – andere fanden das Gequassel eher naiv, überlang und abstoßend. Eine Nacht in Wien mit endlosem, jugendlichem Schwadronieren und ungeschnittenen Dialogen, quer durch ein überromantisiertes Wien (das es so wahlweise entweder nicht mehr gibt oder noch nie gab) mit Gedichte schreibenden Clochards, mit aus frühmorgendlichen Seitenstraßen tönenden Cembalos, Kussszene im Riesenrad inklusive. Alles endete mit dem Versprechen, man würde sich – wir reden hier von einer Zeit ohne Facebook und Skype – ein halbes Jahr später am Bahnhof wieder treffen, Nummern wurden keine ausgetauscht.

Zehn Jahre später (sowohl in puncto Erscheinungsdatum als auch in Dramaturgie) kam dann mit „Before Sunset“ die Antwort und das Wiedersehen, diesmal war Paris die Kulisse, Jesse bereits erfolgreicher Autor (natürlich handelte der Bestseller von jener Nacht), Familienvater und unglücklicher Ehemann, Celine eine Art Umweltaktivistin mit schöner Wohnung, flauschiger Katze, kitschigen eigengeschriebenen Chansons und einer ausgeprägten neurotischen Seite. Wieder alles auf Dialog aufgebaut, geschrieben von Linklater, Hawke und Delpy (mittlerweile enge Pappenheimer). Erfolgsformel gleich: pittoreske Szenarien, ausschweifende – aber im Grunde nie besonders nennenswert originelle Dialoge, zumindest keine, die mit Anfang, Mitte Dreissig noch okay gehen würden. Auch hier: das Ende offen. „You’ll miss that flight“, sagt Celine und setzt zu einem weiteren Chanson an.

Und jetzt: 2013, Griechenland. Jesse hat damals das Flugzeug verpasst, ist in Paris geblieben, hat einen Sohn, den er nur in den Ferien sieht und eine Ex-Frau, die ihn konsequenterweise nicht mehr besonders mag, nachdem er sie für die hübsche Blonde von damals in Wien verlassen hat.Wieder kriegen wir ein ein pittoreskes Szenario serviert, diesmal Griechenland, Familienurlaub mit den Zwillingen, dem Sohn aus erster Ehe und einigen Freunden. Eigentlich sind die Protagonisten mittlerweile von Realitäten gebeutelt, die dem unbeschwerten Schwadronieren damaliger Tage diametral gegenüber stehen: Jesse sieht seinen Jungen, der in den USA bei seiner trinkwütigen Mutter lebt, nicht mehr besonders oft, und wie sich später herausstellen wird ist auch Celine nicht unbedingt angetan von den Bürden des Älterwerdens. Und dennoch, vielleicht die größte Schwäche des Films: nachdem Jesse seinen Sohn beim Flughafen abgeliefert hat und ein recht realistischer, zäher Dialog den Film beginnen lässt, passiert in erster Linie eine mit kulinarischen Bildern übertünkte Schwemme an Dialogen voller Binsenweisheiten, Gedankenfetzen und Kalendersprüchen rund um die Themen Vergänglichkeit, Romantik und dem einen oder anderen zur Auflockerung eingeschobenen Witzchen über Sex und Pärchen-Dasein.

Das meiste Lob bekam der Film für seine realistische Darstellung all jener Probleme, die sich nach dem ersten großen Verliebtsein eben einstellen: der Kluft zwischen dem, wie es ist und wie es einmal sein hätte können, den alltäglichen Streitereien. Diese kommen im letzten Drittel nach einem ziemlich furchtbaren Dialogmarathon, mit dem sich viele wieder eng identifizieren werden, auch wirklich zu tragen, und ja: diese Probleme sind real, omnipräsent und die meisten von uns kennen sie. Es geht um das Zusammenbleiben, um Umzüge, Sorgerechtstreitereien, Rollenverteilungen und die Vermutung, doch nicht alles so gut gemacht zu haben wie man es eigentlich hätte machen wollen: und ja, die nennenswertesten Minuten im Film passieren innerhalb dieser Zerissenheiten. Die hat man nach Seiten und Seiten an Dialogen über die Vergänglichkeit aller Dinge und anderen Thematiken, mit denen Wellness-Esoteriker wie Coelho & Co ihren Anhängern die Tränen und das universale Verständnis in Augen, Chakren und Seelen treiben, auch bekommen: nur sind auch diese leider weder besonders profund noch wirklich sehenswert. Auch die Darstellung der Probleme bleibt schlicht und ergreifend bis zum Ende einfach kulinarisch und allzu offensichtlich.

Vielleicht sagen sie uns in zehn Jahren ja wieder, wie es weitergegangen ist, ob sie mit fünfzig auch noch so schwadronieren wie damals in Wien, vor dem Riesenrad, mit den Clochards und Cembalos. Verzeihen Sie die Subjektivität, aber ich für meinen Teil muss das eigentlich auch gar nicht mehr wissen.