50 Jahre Popgeschichte: WienPop

Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten.

Es war ein langer Weg von den ersten Rock’n’Roll-Imitationen zum Wiener Downbeat, von den besungenen Unbekleideten im Café Hawelka zu Laptop-Performances im Rhiz, vom Beat zum Post-Rock, von „Es lebe der Zentralfriedhof“ von Ambros bis „Hotel Paralell“ von Fennesz. Fünf Dekaden Musikgeschichte einer Stadt auf 400 Seiten: das haben sich vier Herausgeber, nämlich Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher und Gerhard Stöger vorgenommen und vor kurzem in Buchform im Falter Verlag veröffentlicht. 130 Protagonisten dieser fünf Dekaden, Spannweite Al Cook über Chuzpe bis Peter Kruder, hat man interviewt, Musiker, Labelbesitzer, Venuebetreiber – und so ein umfassendes wie detailliertes Bild der Wiener Popgeschichte gezeichnet.

WienPop ist ein essenzielles, kurzweiliges Buch voller großartiger Anekdoten. Von den Anfängen und dem Überkommenwollen der Provinzialität, von der ureigenen Rezeption der Wiener ihren eigenen Künstlern gegenüber, von Labelgründungen über die Arena-Besetzung bis zur Elektroavantgarde. Spannend, informativ und oft unglaublich unterhaltsam: Wie Falco beispielsweise mit Kruder&Dorfmeister etwas machen wollte, die ihn aber nur bedingt großartig fanden und meinten, er könne ja mal auf einem Track E-Bass spielen. Wie Fennesz & Mego der globalen Elektronik ihren Stempel aufdruckten, und sogar Radiohead und Frusciante von den Red Hot Chili Peppers Lobhymnen sangen. Und wie sich Mego-Chef Peter Rehberg dachte, dass das zwar nett ist, die Chili Peppers aber trotzdem eine Scheißband sind.

WienPop bemüht sich keineswegs um ein einheitliches Bild, Euphemismen und fragwürdige Sammelbegriffe, diese popkulturellen Unsinnigkeiten seien Dolezal/Rossacher-Dokumentationen überlassen. Viel mehr wird hier, sowohl transitiv als auch punktuell ein Bild von Entwicklungen und deren Antipoden gezeichnet, von Adaptionen, Zufällen und Neuerfindungen. Weil Wien eben mehr ist als der Nackerte vom Hawelka, chilliger Kaffeehaussound von halbärschigen K&D Epigonen, weinende „I am from Austria“-singende Besoffene am Donauinselfest und die Geburtstagskinder am Zentralfriedhof. Schon auch, aber bei weitem nicht nur.

Und nicht zuletzt weil die Stadt mehr und mehr & langsam, aber doch, ein popkulturelles Selbstverständnis entwickelt, und sich in Österreich geborene Künstler längst nicht mehr als österreichische Künstler sehen und sehen müssen (siehe Soap&Skin, siehe Fennesz, siehe Parov Stellar, siehe Left Boy et cetera), kommt WienPop durchaus gelegen.

Unsagbar gut investierte 40 Euro, die einen – egal, ob man alles aus erster Hand miterlebt hat und diverse Dekaden nur vom – bislang entweder verklärten oder marginalen – Hörensagen kennt – einerseits schlauer machen, andererseits auch einfach verdammt gut unterhalten. Wie gesagt: essenziell.

WIENPOP

Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten

Hrsg: Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher, Gerhard Stöger
2013 | Falter Verlag, Wien
400 Seiten, rund 600 Abbildungen
EAN 9783854394730