Festivalsommer: Sziget-Diary 2.

Wiener Online goes Sziget. Heute: Calexico treffen, zwischen den Welten pendeln und ein phänomenaler Blur-Gig.

Vorbei an mobilsanitär bedingten Geruchskulissen, die man nicht zwingend fürs Eigenheim wünschen würde, erkunde ich erst einmal die Gegend rund um die World Stage, als ich gegen 17 Uhr aufs Festivalgelände komme. Hier haben die Camper ihre Zelte aufgeschlagen, die Gerüche sind wie gesagt äußerst rustikal, Leute schießen sich gegenseitig Frisbees auf die Häupter, ich pariere allesamt gekonnt und mache mich auf den Weg zur „Party Arena“, eine Bühne relativ weit hinten im Areal: Left Boy steht am Programm, und ich möchte mir einmal anschauen, was hinter all dem Hype, der der Person Left Boy (bekannterweise der Sohn André Hellers) vorauseilt, steckt. Das Publikum ist endenwollend aber enthusiastisch, die Show geht mit ihrem eklektischen Mix aus Rap und Electro gut nach vorne, Tänzer kommen auf die Bühne und machen Kunststücke, durchwachsene Sample-Abfolgen und Zitate bringen die Leute zum Tanzen und machen Lust auf Left Boys erstes Album. Um mir ein richtiges Bild machen zu können, muss ich aber leider schon viel zu früh weiter, ich bekomme einen Anruf, dass Joey Burns von Calexico zum Gespräch lädt.

Meeting Joey Burns.

Joey habe ich vor wenigen Wochen für den Wiener Online schon mal interviewt – das ganze gibt’s hier nachzulesen, zusammenfassend sei gesagt, dass wir mit einer kleinen Gruppe Journalisten, Joey und Depedro (Calexicos Toursupport, der auch in der Band spielt) zusammensitzen und ein wenig über Calexicos Einflüsse, Festivals generell und das Sziget speziell plaudern. Von allen Leuten, die ich bislang interviewt habe, fallen mir wenig sympathischere, entspanntere Gesprächspartner als Joey ein. Wir sitzen circa zwanzig Minuten Backstage, dann meint der Tourmanager es wäre jetzt an der Zeit, schließlich treten Calexico im Anschluss auf der World Stage auf. Kurze Angelegenheit, nett ihn wiederzusehen. Und jetzt die schwierige Angelegenheit: Seeed anschauen, die ich noch nie gesehen habe? Oder doch nochmal Calexico? Und was ist mit Little Boots, die wenig später spielt? Weil ich mich nicht dreiteilen kann, aber alles irgendwie sehen will, entscheide ich mich für den unschönen Kompromiss und lege einige Kilometer Wanderschaft zurück. Seeed sind natürlich ein goldrichtiger Act für ein Festival, deutschsprachig oder nicht, allerdings packt mich nach wenigen Songs dann doch die Sehnsucht nach Calexico, also laufe ich nochmal den Weg zurück, setze mich in die Wiese und höre mir ihr Set an, ehe ich gegen Ende zu Little Boots wechsle.

Blur.

Dann, um 21:30 der wohl größte Headliner des Festivals: Blur. Erster Gedanke: altert Damon Albarn eigentlich? Oder Alex James? Oder Graham Coxon? Zweiter Gedanke: wird mit „Boys & Girls“ eröffnet? Richtig geraten, eben jener Song (auf Parklife, 1994) eröffnet ihr gut neunzigminütiges Set, in dem nichts – aber wirklich auch gar nichts (bis vielleicht auf „Tracy Jacks“) fehlt und das Publikum vom ersten Moment fest in der Hand hat. Ein brillianter Graham Coxon, ein ausgelassener, kontaktfreudiger Damon Albarn (der bei „Country House“ ausgiebig in der Menge badet), Alex James wie gewohnt lakonisch und in fragwürdigen kurzen Hosen (einzig Drummer Dave Rowntree sieht nicht mehr ganz so jung aus wie damals), dazu drei Backgroundsänger/Innen und Bläser: hier geht’s um Pophymnen aus einer Zeit, als das popkulturelle Epizentrum wiedermal in Großbritannien war und um dessen Vorsitz sich zwei damals als verfeindet geltende Bands, die eine Working Class (Oasis), die andere eher Artschool (Blur) zankten. So müssen sich ältere Semester am Lovely Days Festival fühlen, denke ich mir, als ich endgültig weder Sentimentalität noch Gänsehaut leugnen kann. Es geht nur noch Schlag auf Schlag, „Coffee & TV“, „Country House“, „Tender“ – das alles tight gespielt, die Bläser lassen die Refrains gleich mal noch um ein Stück augmentiert hochgehen und als die Band mit dem obligatorischen „Song 2“ den Zugabenblock beendet, gibt es sowieso kein Halten mehr. Ob das jetzt ein Anachronismus war oder nicht weiß ich nicht und ist mir eigentlich auch egal – wunderschön war’s. Und als das Gitarrenfeedback den Epilog zu Song 2 macht, setze ich mich ins Taxi, weil ich heute beim besten Willen keine andere Musik mehr hören will. Ganz groß.

Setlist Blur:

Girls & Boys
There’s No Other Way
Beetlebum
Out of Time
Trimm Trabb
Caramel
Coffee & TV
Tender
To the End
Country House
Parklife
End of a Century
This Is a Low

Zugabe

Under the Westway
For Tomorrow
The Universal
Song 2