Legendäre US-Poetin: ANNE WALDMAN im Gespräch.

Im Zirkel der Beat Generation war sie eine der wenigen aktiven weiblichen Protagonistinnen, mit Allen Ginsberg gründete sie die „Jack Kerouac School of Disembodied Poetics“. Anne Waldman im Gespräch.

Im männerdominierten Zirkel der „Beat Generation“ war Anne Waldman, gemeinsam mit Dianne DiPrima, eine der wenigen aktiven weiblichen Protagonistinnen und somit, wenngleich eine Generation jünger als Ginsberg & Co, eine der Schlüsselfiguren. Gemeinsam mit Allen Ginsberg gründete die Dichterin in den 1970ern die „Jack Kerouac School of Disembodied Poetics, an der sie heute noch lehrt. Mit der Wiener Schule für Dichtung verbindet sie seit jeher eine Freundschaft, die sie schon mehrmals hergebracht hat, auch dieses Jahr besuchte sie die Schule für Dichtung als Lektorin. 

Markus Brandstetter traf Anne Waldman zum ausführlichen Gespräch in der Schule für Dichtung.

Es ist nicht dein erstes Mal in Wien – welche Erinnerungen hast du an die Schule für Dichtung und die Stadt im Allgemeinen?

Ich erinnere mich an die frühen Jahre, vielleicht weißt du, dass die Gründer der Schule für Dichtung, Ide Hintze, Christian Loidl und Christine Huber 1984 mein Programm besucht haben. Diese drei interessanten, experimentellen Wiener Poeten kamen nach Naropa, Allen Ginsberg hat damals noch gelebt. Sie waren einfach neugierig, was das sein könnte, und ich schätze mal, dass sie sich gedacht haben, dass sie etwas derartiges in Wien aufbauen sollten. Das war eine Sommer-Session, einmonatig, kein Jahresdiplom in irgendeiner akademischen Einrichtung. Wir haben da diesen Terminus „temporary autonomous zone“, ein Begriff, der vom Autor Hakim Bay aka Peter Lamborn Wilson stammt, er hatte ein Buch mit diesem Titel, das damals bei City Lights erschien. Die Idee ist, unsere Sache nicht zu institutionalisieren, und so eine Vielzahl an künstlerischen Projekten, Zentren und Veranstaltungen aufzubauen. Wir sind jetzt in unsere vierzigsten Jahr, sind somit also schon durchaus ein wenig solider geworden (lacht), aber alles verändert sich und bleibt jung. Es geht einfach darum, soviel Kontrolle wie möglich zu haben, dass du eine Form von Innen heraus kreieren kannst – wie es der Begriff „sousveillance“ aussagt, du bist der Zeuge, du bist der, der beschließt, du berufst dich auf die Wurzel des Wortes „Geschichte“ – und das bedeutet, Dinge für dich selbst herauszufinden und dich nicht auf Strukturen zu verlassen, die dann wiederum die Infrastrukturen konditionieren.

Ich erinnere mich an die Wärme, die Großzügigkeit und die Leute – an einem Punkt gab es acht großartige Frauen, die für die Schule für Dichtung arbeiteten – es gab immer Blumen, Süßspeisen, Wiener Spezialitäten, einfach viel Gastfreundschaft. Damals haben wir noch die verschiedensten Örtlichkeiten benutzt, mit anderen Organisationen kollaboriert, zum Beispiel der Alten Schmiede. Wir hatten Klassen mit Leuten aus Rumänien, Deutschland, Großbritiannien, den USA – das war einfach interessant, diesen internationalen Flair zu haben. Ide hatte einfach die Begabung dafür, zu organisieren, Geld aufzustellen, Unterstützung an Land zu ziehen. Wir wurden vom Kulturministerium unterstützt, einmal sind Allen Ginsberg und ich vom Minister eingeladen worden, haben auch Zeit mit dem Bürgermeister verbracht. Sie haben uns zum Abendessen und in die Oper eingeladen. Das war schon erfreulich, nicht weil du dies oder das von ihnen wolltest, sondern einfach um zu sehen, dass die Kunstwelt durchaus interessant und hip genug sein für andere Bereiche der Gesellschaft sein kann und finanzielle Unterstützung bekommt.

Ich erinnere mich auch an verrückte Projekte, Klassen in einem Swimming Pool, wir hatten auch einmal einen Caravan, mit dem wir durch die Straßen gefahren sind und Gedichte gelesen haben, manchmal sind wir auch aus der Stadt raus gefahren. So habe ich auch viel Kontakt zu anderen Leuten gefunden, unter anderem zur Expat Community. Die Schule für Dichtung hat auch eine Menge Leute nach Wien geholt, Anselm Hollo beispielsweise, der lange Jahre in Naropa unterrichtet hat und erst kürzlich verstorben ist, oder Jack Collom. Es gab einfach viel Kollaboration, Kontaktfreudigkeit. Ide war ein großer Fan von Allen, und war auch in seiner Klasse, als er damals in Naropa war. Für meinen Lehrgang interessiert mich vor allem ein Hybrid, neue Experimente einzugehen, mit Musik zu arbeiten. So unterrichtet auch Thurston Moore von Sonic Youth in meiner Klasse. Er macht einen Workshop, hat eine große Verbindung zur Poesie und ist auch ein großer Archivator. Ich habe ein kleines Aufnahmestudio in der Jack Kerouac School aufgebaut, mein Sohn Ambrose Bye kümmert sich im Sommer darum. Es ist nicht nur ein Schreib-Lehrgang, die meisten Klassen dieser Art haben einen derartigen Input nämlich gar nicht.

Nun, ich habe also eine Menge schöner Erinnerungen, ich glaube, dass ich bereits acht Mal hier gewesen bin. Letztes Jahr war ich anlässlich der Hommage an Ide da. Ich war sehr schockiert, als er starb. Aber er hat eine gute Struktur hinterlassen, und die Leute führen das genau richtig weiter, im Geiste der Wiener Gruppe. Eine Menge guter Leute kommen von hier.

Du wurdest in New Jersey geboren, aber bist in Greenwich Village aufgewachsen.

Ja, ich bin im Haus aufgewachsen, in dem meine Mutter lebte, bevor ich geboren wurde, aber war immer nur in New Jersey, weil meine Großmutter dort lebte, bin dann aber immer wieder zurück auf die McDoogle Street. Ich habe also nie wirklich in New Jersey gelebt, aber es ist anscheinend eine biographische Note, was mich durchaus ehrt, weil viele meiner besten Freunde von dort kommen, Allen Ginsberg, Patti Smith… in Wirklichkeit komme ich aber aus der McDoogle Street.

In den 1960ern war Greenwich Village ein kulturelles Epizentrum. Wie war es, dort aufzuwachsen und wie bist du zur Poesie gekommen?

Ich wurde von meiner Familie sehr ermutigt. Meine Mutter hat viele Jahre im Ausland gelebt, das erste Mal hat sie Amerika 1929 für ihre erste Ehe verlassen. Sie war in eine Gemeinschaft von griechischen Dichtern integriert, mein älterer Bruder wurde in Griechenland geboren, meine Mutter lernte die Sprache, arbeitete als Übersetzerin, später in einem Theater. Vor dem ersten Weltkrieg kam sie zurück – eigentlich kam sie aus Pennsylvania, brach dort das College ab. Es war eine sehr wichtige Zeit. Mein Vater war auch ein Collegeabbrecher, war Swing-Pianist, nachdem Krieg machte er seinen Doktortitel, wurde Lehrer. Sie unterstützten meine kreativen Impulse. Mein Vater meinte: „Wenn du die Schule abbrechen willst, ist das okay“, meine Mutter meinte darauf „nein, nein, nein! Du bleibst schön auf der Schule!“. Ich ging auf eine Kunstschule, hatte viele prominente Autoren als Lehrer, Bernard Mallemon zum Beispiel. Ich las damals schon die Beats. In der Highschool hing ich oft mit meinem Bruder herum, der jede Woche zu den Hootthenannies und Folk-Konzerten in den Washington Square Park ging. Ich erinnere mich an Hendrix, Dylan… jede Menge guter Leute kamen dorthin. 1966 begann ich mit dem St. Marx Poetry Project, später wurde ich Direktorin dieses Projekts. Wichtig war diese legendäre Poesie-Session in Berkeley mit Allen Ginsberg, Robert Duncan, Charles Olsen – all diese essentiellen Figuren der Poesie, die „Daddies of New American Poetry“ – ich war neugierig und zuversichtlich, habe mich sehr für deren Arbeit interessiert, dafür, was diese älteren Herren so machten. In den frühen Siebzigern freundete ich mich mit Allen Ginsberg an, bin mit ihm ein ganzes Stück weit gereist… Heute ist Greenwich Village ein wenig touristischer, aber immer noch sehr vital. Ein großer Teil der Energie hat sich nach Brooklyn verlagert, aber die St. Marx Kirche ist noch immer voll dabei.

Was ich über die Sechziger und Siebziger noch sagen will: ich habe eine Menge Veränderungen und Wechsel gesehen, aber auch einen roten Faden, eine gewisse Kontinuität, speziell bei den Poeten, die nicht so söldnerhaft sind, kein Produkt vertreten. Vielleicht war damals mehr hybride Energie da als heute, Musiker, Dichter und visuelle Künstler waren mehr durchgewürfelt als heute, vielleicht auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Das Village war damals sehr billig, heute ist das extrem viel teurer. Meine alte Wohnung, die damals hundert Dollar pro Monat kostete, ist heute ein Tattoo- und Piercingshop. Eine europäische Filmcrew kam in die Stadt und wollte, dass ich meine alte Wohnung besuche und darüber rede, ich meinte nur: „Hey, ihr wollt einen Tattooladen besuchen?“. (lacht). Die wirtschaftliche Situation war damals einfach grundlegend anders, auch gab’s eine Menge politischer Aktivität.

Glaubst du, dass Poesie noch immer diese Kraft hat wie zu Zeiten von Ginsbergs „Howl“?

Ich glaube, dieses Potenzial gibt es immer, in allem was wir tun. Es bekommt nur nicht mehr die selbe mediale Aufmerksamkeit wie damals. Allen Ginsberg zog Radio und Fernsehen an, „Howl“ war diese große kulturelle Intervention, auch weil es plötzlich seinen eigenen Gerichtsprozess hatte. Auf einmal hatte es große Aufmerksamkeit, wenn auch völlig negative. Life Magazine, Newsweek: was die über die Beats schrieben, war fürchterlich negativ. Sogar als Burroughs starb, gab es im Wall Street Journal einen bösartigen Nachruf, der auch immer auf Allen losging, ihn einen Päderasten nannte. Der rechte Flügel wusste einfach, wie viel Kraft manche dieser kulturellen Ikonen besaßen. Heute existieren diese Möglichkeiten nicht mehr auf diese Art, CNN wird über kein Gedicht mehr berichten. Ich denke, dass die Leute sich heute eher in kleineren Gemeinschaften engagieren, ihre eigenen Bewegungen machen, Occupy ist da ein Beispiel: sie wurden so bekannt, dass sie in den Untergrund gehen mussten. Ich war in mehrere Treffen involviert, mit Leuten wie Laurie Anderson oder Patti Smith, die dafür Geld gegeben haben, um die Vision einer anderen Wirtschaft zu unterstützen. Ich habe dieses Lied geschrieben: „Prince of Egypt“, da gibt es diesen Refrain: „Tell ole Bloomberg / ole Wall Street: Let my people go“. Als Ginsberg und Amiri Baraka damals aktiv waren, hatten sie eigene Dossiers, FBI Akten: sie wurden verfolgt und überwacht. Man muss sich nur Ginsbergs Akten ansehen: da wurde geschwärzt, wie bei der Stasi. Diese Art von Aufmerksamkeit willst du nicht, der Preis ist heute höher. Allen und ich wurden damals verhaftet weil wir an der Rocky Flats Demonstration teilnahmen.

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