Massimo Giordano: Oper ist ausnahmslos für alle.

Der Star-Tenor im Gespräch mit Markus Brandstetter.

Es ist ein verregneter Spätsommertag, und Massimo Giordano, Shootingstar der internationalen Opernszene und dem Bel Canto zuzurechnender Tenor, sitzt bereits seit einiger Zeit im vereinbarten Altwiener Kaffeehaus, als ich mich einigermaßen regendurchnässt zu ihm setze. „Entschuldige, dass das mit den Terminen nicht wirklich funktioniert hat“, sagt er mir nach einer freundlichen Begrüßung, eigentlich hätten wir uns ein paar Tage vorher schon treffen wollen, aber da kam eine spontan einberufene Probe in der Staatsoper dazwischen, der Ersatztermin wäre eigentlich erst Tags darauf gewesen – abgekürzt: nach einigen Telefonaten schaffen wir es noch vor seiner Abreise, uns für eine Tasse Kaffee zu treffen.

Dass Massimo Giordano, 1971 in eine Arbeiterfamilie in Pompeji geboren, überhaupt zur Oper kam, verdankt er einer Reihe von Zufällen. Ob Musik in seiner Familie eine Rolle spielte, frage ich ihn. „Nun, ich sage es mal so: mein Großvater war kein besonders kultivierter Mensch“, antwortet Giordano, „mein Großvater war vieles, aber kultiviert war er eben nicht besonders, nichts desto trotz hat er viel Opern gehört. Das hat ihn emotional einfach berührt“. Hier ist für Giordano auch das Missverständnis in der allgemeinen Rezeption von Opern: „Weißt du, bei Opern denken immer alle, dass das nur für die „upper class“ sein soll. Nein, Oper soll überhaupt nicht nur für die upper class sein, sondern für alle Emotionen transportieren. Oper ist für alle, ausnahmslos alle. Mein Großvater war quasi meine Ikone dieser Denkensart“.

Nachdem sein Vater seinen Job in einer Marmorfabrik aufgab, zog die Familie nach Trieste, wo er eine neue Arbeit fand: als Hausmeister des Triester Konservatoriums. „Dort fragten sie mich, ob ich nicht ein Instrument am Konservatorium lernen wollte, ich spielte damals die Flauto Dolce in der Kirche nahe bei meinem Haus. Also machte ich mit neun oder zehn Jahren eine Audition, und kam rein. Ich kam als Flutist, und nach sieben Jahren – als ich in Flöte graduiert hatte – begann ich mit dem Gesang. Das waren alles ganz wundersame und wunderbare Zufälle. Das wäre eigentlich auch ein guter Titel für mein nächstes Album: Wunderbare Zufälle“.

Apropós Album: für sein Debüt (dessen Stücke er gemeinsam mit seiner Projektmanagerin und Co-Produzentin Ashley Bettis ausgesucht und produziert hat)hat sich Massimo Giordano genug Zeit gelassen, fast eine Dekade. Im Mai diesen Jahres ist dann „Amore e Tormento“ via BMG erschienen: eine Auswahl an Giordanos Lieblingsstücken rund um die ewigen namensgebenden Themen Liebe und Schmerz. Arien von Verdi, Cilea und Puccini. Viel wichtiger als ein konsensuelles Hochglanz-Album war Giordano ein zeitloser, beinaher anachronistischer Orchestersound und den Fokus weg von Perfektion hin zu Emotionalität: „Ich mag keine perfekten Dinge, viel lieber habe ich etwas, das nicht perfekt ist, mir aber etwas gibt. Heutzutage gehen wir in die Oper und die Musikologen haben überhand genommen, nichts gegen sie, aber das nimmt dem ganzen den emotionalen Aspekt“. Eine Kluft zwischen den sogenannten Polen der „high brow“ und „low brow“-Kultur gibt es für Giordano nicht: früher hat er viel Heavy Metal gehört, zu Beginn des Gespräches erzählt er mir auch von seiner Begeisterung für Bands wie Pink Floyd und, eine seiner Lieblingsbands, Portishead. Im Gespräch zeigt er sich so enthusiastisch wie politisch, regt sich über ein Italien auf, dessen medialer Narrativ nicht mehr von Kultur, sondern Berlusconis Wahnsinnigkeiten und Bunga Bunga geprägt wird, über mangelnde Förderungen und immer desolatere Opernhäuser in seinem Heimatland. Erzählt vom Reisen, vom Proben und von der Zeit mit seiner Familie, viel davon passiert in Wien.

Obwohl Giordanos bisherige Karriere größtenteils ein Höhenflug quer durch die Opernhäuser und Konzertsäle dieser Welt (Wien, Tokyo, Sydney, London Royal Opera, Carnegie Hall, Venedig, Madrid und zahlreiche mehr – u.a. auch auf Tour mit Anna Netrebko) war, ist es wohl, neben seinen eigenen Kindern, seine Herkunft, die dem Tenor die nötige Bodenhaftung gibt:

„Ich kenne all die Fabriken, ich weiß sehr, sehr gut, wo ich herkomme – und es war eine gute Zeit, weil sie wahrhaftig war. Nicht dass das, was ich jetzt erlebe nicht wahr wäre, aber oft scheint es mir so, als hätte ich zwei Leben gehabt: das erste, ein normales Leben, dass dann dieses zweite, traumhafte übergangen ist. Eine Mischung aus zwei Welten, die am Ende zusammen gekommen. Aber ich weiß, wo ich herkomme, und das kann mir niemand jemals nehmen.