Der Topjob in Indien: Öffentliche Verbrennung

In Varanasi werden die Toten öffentlich verbrannt. Ein Mann verdient sehr, sehr viel Geld damit – der Dom-König. Der WIENER zu Besuch in einer Welt, die sich nur schwer verstehen lässt.

Varanasi, am Ganges liegend, gehört zu den ältesten Städten der Welt. Für Menschen hinduistischen Glaubens ist sie zudem die heiligste aller Städte, gilt als Mittelpunkt der Welt. Denn wer in dieser Stadt stirbt und dessen Asche hier in den Ganges gestreut wird, bricht laut hinduistischem Glauben aus dem Kreislauf der Wiedergeburt aus und tritt ein in die ewige Glückseligkeit. Somit zieht es neben Gläubigen und Pilgern auch viele sterbende und todkranke Menschen in diese Stadt.

An den sogenannten Burning Ghats (Verbrennungsstätten) – es gibt zwei davon in Varanasi -werden somit täglich Hunderte Leichen auf kleinen Scheiterhaufen öffentlich verbrannt – ein Schauspiel wie aus einer anderen Zeit. Die Leichenbestatter werden als Doms bezeichnet und gehören der untersten Kaste, den Unberührbaren, an. Schon vor Ort höre ich erstmals von einem Dom-König, der über diese seltsame Welt zwischen Leben und Tod gebieten soll. Auch er gehört der Kaste der Unberührbaren an, ist aber Multimillionär und soll schwerreich sein. Wie bizarr. Was ist das für ein König? Ich bemühe mich um eine Audienz.

Öffentliche Verbrennung

Als ich den Dom-König das erste Mal sehe, zweifle ich an meinen Sinnen, so befremdlich ist sein Gehabe, so makaber das Schauspiel, das sich vor meinen Augen auftut. Das etwa 40-jährige Schwergewicht lümmelt seitlich liegend in einem Ruderboot, nur wenige Meter entfernt ein halbes Dutzend Scheiterhaufen, auf denen sich gerade Flammen durch aufgebahrte Leichen fressen. Schwarzer Rauch und süßlicher Fleischgeruch schwängern die Luft, als sich ein halb verkohlter Unterschenkel aus der Kniekehle eines Toten löst, noch zwei-,dreimal an einer Sehne hängend hin und her baumelt und dann vom Scheiterhaufen auf den Boden fällt.

Ein makaberes Bild, so ein nacktes, halb verkohltes menschliches Bein, das einfach im Dreck liegt. Der Dom-König aber wirkt gelangweilt, rollt bloß seinen massiven Körper noch mehr zur Seite, stützt jetzt seinen fleischigen runden Kopf mittels Ellbogen ab, steckt sich etwas Essbares in den Mund und spült es mit einem kräftigen Schluck Flüssigkeit aus einer Zweiliter-Plastikflasche hinunter, ganz so, als würde er zu Hause auf der Couch ausspannen oder fernschauen, einen schon oft gesehenen Bollywoodfilm vielleicht.

In der Asche wird nach Goldzähnen gesucht

Doch der erste Eindruck täuscht. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man auch noch zwei Arbeiter, die direkt vor dem Boot des Dom-Königs im hier hüfttiefen heiligen Ganges stehen und die Asche der bereits Verbrannten sieben. Und darauf stiert der Dom-König – ausnahmslos darauf. „Das ist der König der Doms, und wissen Sie, wonach er sucht?“, reißt mich eine Stimme mit typisch indischem Akzent aus den Beobachtungen. Ray Ban-Sonnenbrille im Haar, Nike Sneakers an den Füßen, Headphones in den Ohren. Ohne meine Reaktion abzuwarten, den Blick gen Horizont gerichtet, antwortet sich die schmächtige Figur selbst. „Goldteeth“, flüstert er geheimnisvoll, „der König lässt in der Asche nach Goldzähnen suchen“.

„Incredible India“, denke ich und ignoriere den Typen neben mir trotzdem. Warum? Weil er bloß zu einer jener Schlepperbanden gehört, welche systematisch und recht aggressiv Ahnungslose abzocken. Täglich beobachte ich Besucher, die kräftig gehörnt werden und schon alleine für das Betreten des Geländes zahlen müssen. Und das, obwohl die beiden Verbrennungsplätze sehr wohl öffentlich zugänglich sind. Am nervigsten aber ist dieses Geschwätz vom guten Karma, von Respekt vor der Tradition und den Toten. Zudem die meisten Keiler zugedröht sind, so breit, dass ihnen die Pupillen fast aus den Augen rollen.

Aber dann gebe ich Ananad, so nennt sich Mr. Nike, eine Chance und frage ihn, ob und wie ich den Dom-König persönlich treffen könne. „No problem, mein Freund, nicht einfach, aber möglich“, folgt auf den Fuß. Und schon reden wir übers Geschäft. Ich erfahre, dass der König direkt am Ganges ganz in der Nähe wohnt, in einem Haus mit zwei Tigern oben drauf, und dass er eigentlich keine Besucher empfängt, aber er, Mr. Nike, kenne da jemanden, der kenne wiederum jemanden, und für 100 Dollar ließe sich da schon etwas machen. Und pro Foto wären weitere 100 Dollar zu bezahlen, und wir bräuchten eine Genehmigung und so weiter und so fort. 500 Dollar Kosten kommen letztlich raus, und ich meine, an Mr. Nike’s Blick erkennen zu können, dass er selbst weiß, dass er soeben Mist gebaut hat. Das ist mehr als sein Jahresgehalt. Wortlos setze ich mich auf die Treppenstiegen, stelle meinen Ohren auf Durchzug und beobachte das Treiben.

Manikarnika Ghat. Ein magischer Ort. Rauchgeschwärzte, schwerfällige Tempel ragen in den Himmel. Davor stapelweise schwere Holzscheite. Wer hier am Westufer des Ganges verbrannt wird, kann der Wiedergeburt entgehen, steigt direttissima auf ins Paradies. Leichen, eingewickelt in goldene und silberne Folien und festgepackt auf Bambustragbahren, auf denen sie hierher getragen wurden, liegen wie vergessen am Ufer des Ganges. Tote lodern auf aufgetürmten Scheiterhaufen. Tag und Nacht ist hier Betrieb.

120 Leichen werden täglich verbrannt

Bis zu 120 Leichen werden täglich den Flammen übergeben. Jugendliche filmen und fotografieren mit iPhones ihre vom Feuer entstellten toten Angehörigen, Männer stehen tratschend in Runden. Ein Mann sitzt auf einem Holzblock, das Gesicht in die Hände vergraben, jammernd und klagend. Daneben spielen Kinder ausgelassen Fangen und Hunde verscharren menschliche Überreste im Dreck. Menschen kommen und gehen, Geld wechselt den Besitzer. Eine Kuh stapft seelenruhig zwischen den lodernden Blöcken umher, Leichenverbrenner schlagen mit Bambusstöcken die Schädel der Toten ein, und am Ganges sitzen Touristen in gemieteten Ruderbooten mit ungläubigen Blicken, und einige schießen Fotos aus sicherer Entfernung. Am Manikarnika Ghat treffen Extreme aufeinander: Tod auf Leben, Trauer auf Vergnügen und Glaube auf ungläubiges Kopfschütteln. Und was sagt Mr. Nike? „200 Dollar, last Prize.“

Die nächsten Tage erledige ich meine Hausaufgaben: Google den Dom-Köng, laufe die Ghats rauf und runter, quatsche mit allen und jedem, sammle Fakten. Traditionell sind die sogenannten „Doms“, welche allesamt der Kaste der Unberührbaren angehören, die Chefs der beiden Verbrennungsstätten – Manikarnika – und Harishchandra Gaht. Einer Legende nach soll in uralten Zeiten der große König, Raya Harishchandra sich selbst an den damaligen Verantwortlichen der Verbrennungsstätten verkauft haben. Seit damals herrschen etwa 500 Familien, hierarchisch streng strukturiert, über diese heiligen Plätze. Sie kümmern sich um die Verbrennungen der Leichen, erledigen die Durchführung nach traditionellem Brauchtum. Vor allem aber gelten sie als die Hüter des heiligen Feuers. Eine unscheinbaren Feuerstelle, direkt am Manikarnika Ghat gelegen.

Lediglich jene Leichname, die von diesen Flammen gefressen werden, erreichen „moksha“ – die ewige Glückseligkeit. Und genau hier liegt die schier überweltliche Macht der Doms. Sie bestimmen die Höhe des Betrages, welcher für das Entzünden des Scheiterhaufens entrichtet werden muss, und zwar nach subjektiver Einschätzung der finanziellen Möglichkeiten ihres Gegenübers. Zwar existiert seit etwa 15 Jahren eine gesetzlich genormte Summe für diese Tätigkeit (300 Rupie/3,50 Euro), nur wer pocht bei Glaubensfragen schon auf weltliche Ordnung? So kursiert das Gerücht, dass in alten Zeiten der König von Kashi (ehemaliges Varanasi) für die Dienste der Doms. 600.000 Rupien (rund 7.000 Euro) bezahlen und zusätzlich einige Ländereien abtreten musste.

Doms gelten somit fast zwangsläufig als wohlhabend, zumindest die hierarchisch bessergestellten. Der mächtigste Mann in diesem System wird als Dom Raja bezeichnet. Raja heißt König. Er wohnt am Tripura Bairavi Ghat in einem Haus mit zwei steinernen bemalten Tigern auf der Terrasse. Er heißt Sanjeet Coudhary, ist 42 Jahre alt, verheiratet, Vater mehrerer Kinder, angeblich Multimillionär und spricht kein Englisch.

In seinem Haus hocke ich jetzt. Ohne Voranmeldung. Ein Dolmetsch neben mir, den habe ich auf der Straße aufgelesen. Der Raum, in dem wir sitzen, wirkt ärmlich. Vergilbte Wände, schäbiger Boden, bescheidenes Interieur – Bett, Kasten, ein hölzerner Liegestuhl. Im engen Vorhof stakst ein Ochse hin und her. Sonnenstrahlen schießen waagrecht durch die geöffnete Terrassentür und schneiden helle Lichttunnel in das finstere Zimmer. Eine Handvoll Kinder tollt ausgelassen um uns herum, und der Dom-König sitzt stoisch auf dem Bett gegenüber, wie ein zu groß geratener Musterknabe. Die Situation ist bizarr.

Der Dom-König wirkt genervt, scheint jedoch zu träge, meinen unangemeldeten Besuch abzuwehren. Er sagt, dass er ein richtiger König sei, ein von den Göttern bestimmter. Dass dieses Amt seit Urzeiten in den Händen seiner Familie liege und sein ältester Sohn einmal seinen Job übernehmen würde. Und nach welchen Kriterien entscheidet er die Zahlungssumme für seine Dienste? „Die, die nichts haben, müssen mir auch nichts geben“, sagt er gähnend, ohne mich anzusehen.

Das Gespräch schleppt sich dahin, ist von langen Pausen und Belanglosigkeiten geprägt. Schließlich erzählt er von den alten Zeiten, als die Inder noch mehr Ehrfurcht vor ihren Göttern hatten und deshalb den Verstorbenen sämtliches Gold mitgaben für ihre letzte Reise ins Paradies. „Aber heute“, sagt er, „reißen manche Familienangehörige ihren Verstorbenen noch die Goldzähne aus der Mundhöhle, bevor sie den Leichnam den Flammen übergeben.“ Die Spiritualität ginge verloren, auch in Indien, meint er weiter. Und dann dreht er sich weg von mir, steckt sich etwas Essbares in den Mund und spült es mit einem kräftigen Schluck Flüssigkeit aus einer Zweiliter Flasche hinunter.

Die Rolle des Dom-Königs ist eine recht sonderbare. Einerseits gehört er der Kaste der Unberührbaren an (obwol die indische Verfassung das Kastensystem eigentlich 1948 außer Kraft gesetzt hat), andererseits trägt er die Schlüssel für das Tor zur Glückseligkeit in seinen Händen. Zudem soll er einer der reichsten Personen von Varanasi sein. Dementsprechend widersprüchlich der Umgang mit ihm -irgendwie auf Händen getragen und gleichzeitig mit Füßen getreten. Für westlich sozialisierte Menschen eine Haltung, die fast schizophren erscheint.