TV-Verfilmung: Polt-Film im ORF dreht das Rad der Zeit zurück

Zehn Jahre nach dem endgültigen Ende der kultigen „Polt“-Verfilmungen geht es doch noch weiter. Der WIENER war am Set des neuen Films und hat Erwin Steinhauer und Regisseur Julian Pölsler – getrennt – befragt

Der letzte Tag ist es geworden. Am letzten Drehtag des vielleicht letzten „Polt“-Filmes aller Zeiten hat der WIENER in Mailberg im Weinviertel vorbeigeschaut. Das letzte Mal spürt Erwin Steinhauer als geduldiger Ex-Gendarm Simon Polt alte Leichen im Weinkeller auf, und der Titel – schlicht: „Polt.“ – trägt den Schlusspunkt geradezu in sich. Es ist der Abschluss, aber Wehmut ist maximal beim Produktionsassistenten zu verspüren, der uns freundlicherweise zum Bahnhof bringt, während er unterwegs der Dame zuwinkt, deren Keller diesen Sommer schon als Drehort herangezogen werden durfte, und dann kurz dem vorbeiradelnden Winzer verspricht, an diesem letzten Abend endlich wirklich auf eine Verkostung bei ihm vorbeizuschauen. Noch wer ist vielleicht traurig, dass es vorbei ist: die Leute des Pulkautales.

Un-DVD-Making-of-mäßig

Zehn Jahre mussten sie seit der vierten „Polt“-Verfilmung warten, bis sie, ihre Weinreben und endlosen grünen Hänge wieder zu Fernsehstars werden durften. Den ORF-Rummel ertrugen die Weinviertler mit der ihnen eigenen Gelassenheit – nur als „News“ nach einem Setbesuch schrieb, sie würden in einer „gottverlassenen Gegend“ leben, fanden sie das nicht so nett. Bereitwillig erteilten sie Drehgenehmigungen und luden Erwin Steinhauer, Fritz Karl und den Rest des Teams wiederholt auf ein Glasl ein. Steinhauer, selbst ein großer Weinkenner und Betreiber eines Kellers in der Gegend, lehnte stets professionell ab: „Du kannst nicht vierzehn Stunden drehen und dabei saufen!“ Nur heute, am letzten Drehtag, gibt er nach, als sein in Polizeiuniform gekleideter Kollege Fritz Karl mit einem frisch geernteten Roten naht. Ausnahmsweise. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Denn, überraschend un-DVD-Makingof-mäßig, antwortet Erwin Steinhauer auf die Frage nach der Stimmung: „Ich muss ehrlich sagen, es war mehr Arbeit als Spaß.“ Ups. Warum das? „Wenn einander vierzig Leute rund um die Uhr ständig sehen, spielen sich gruppendynamische Prozesse ab. Mit manchen Eigenarten kann man besser umgehen, mit manchen gar nicht.“ Aha. Was genau diese dynamischen Prozesse sind, bleibt im Dunklen. Aber es hat vielleicht damit zu tun, dass wir Herrn Steinhauer und Regisseur Pölsler zwar beide interviewen durften, aber keinesfalls gleichzeitig.

Schweißtreibendes Kultobjekt

Wir haben die beiden also getrennt voneinander befragt. Ergebnis: Sie sind eh zufrieden, aber die Differenzen scheinen sich vor allem an einem Objekt aufzuhängen: das Gendarmenfahrrad, auf dem sich Simon Polt ausschließlich fortbewegt und das zum Polt-Kult bestimmt stark beigetragen hat. Steinhauer: „Die Fahrradindustrie muss diesen Film sponsern. In den ersten vier Polt-Filmen bin ich nicht so viel geradelt wie in diesem fünften Teil. Nur das Radlfahren alleine wäre abendfüllend!“ Pölsler: „Der Erwin ist gar nicht so viel geradelt. Der Innenrequisiteur ist bei den Proben viel öfter auf dem Rad gesessen als er. Der Erwin musste nur im Bild ran, aber das ist ja auch von Anfang an im Drehbuch gestanden.“

Worum geht es?

TEIL 5. Simon Polt ist in Pension gegangen, aber bei seinem Freund, dem Polizisten und Winzer, ist eine Leiche im Garten entdeckt worden: ein Mann, den niemand zu kennen scheint. Also muss ermittelt werden, diesmal inoffiziell. Im Buch „Polt.“ wird der Protagonist auch noch Vater, aber da stellte sich Erwin Steinhauer quer – dazu sei er zu alt. Außerdem wurde anstelle der verstorbenen Monica Bleibtreu Elisabeth Orth besetzt, die jetzt nicht Frau Aloisia, sondern ihre Schwester spielt. Außerdem mit dabei sind etwa Fritz Karl, Simon Schwarz, Karin Kienzer, Michou Friesz und Cornelius Obonya. Erstausstrahlung: 1. Quartal 2014 http://www.tv.orf.at

Dabei ist Steinhauer, wie er berichtet, ein fleißiger Radler: „Ich wohne in Simmering und habe ein E-Bike, im Kofferraum immer ein Stadtfahrrad dabei und Mountainbikes. Es ist trotzdem eine Umstellung: Dieses ist ein 22 Kilo schweres, altes Puch-Steyr-Waffenrad ohne Gang. Und am Berg! Da rinnt dir in wenigen Minuten der Schweiß von der Stirn.“

Die Wolke geht, der Erwin kommt

Auch an diesem letzten Tag wird geradelt. In einer langen, kompliziert aussehenden Einstellung wird gefilmt, wie Polt bergab fährt, bei freundlichem, wenn auch nicht ganz unbedecktem Himmel. Ein Assistent springt bei den Proben als Double ein, um den Bildausschnitt und die etwas komplizierte Kamerafahrt auszutesten. Die Kamerafrau muss sich während einer Fahrt auf der für sie gebauten Schiene umsetzen, Pölsler äußert großes Vertrauen in ihre akrobatischen Fähigkeiten. Er ist entspannt, plaudert nebenbei mit seinem Hund, dem aus Pölslers Kinofilm „Die Wand“ 2012 bekannten Luchs. Ein eigens engagierter Set-Meteorologe schielt durch ein Fernglas und erklärt: „Diese Wolke wird noch etwa sieben Minuten an dieser Stelle bleiben.“ Eile ist angesagt, Luchs muss an die Leine, denn „jetzt kommt ja der Erwin“. Der erste Versuch gelingt, trotzdem überredet Pölsler seinen Star zu einem zweiten Versuch -zur Sicherheit. Es ist ein simples Bild zum Zwischenschnitt, aber Pölsler will es ganz genau.

„Ich bin ein unbequemer Regisseur, weil ich nicht locker lasse, bis es passt.“ Seit seinem Erfolg mit der „Wand“ – der Film ist Österreichs Oscar-Beitrag und erhielt auch in den USA gute Kritiken – hat Pölsler seine Ansprüche hochgeschraubt, mischt selbst im Bildgestaltungsteam mit und denkt „Polt.“ als Kinofilm, während andere sagen: „Wozu? Rieselt doch eh nur einmal über den Schirm.“ Dafür lief Pölslers neueste „Bella-Block“-Folge beim Filmfest Hamburg auf der großen Leinwand, der Regisseur war zu Podiumsgesprächen geladen. „Der Erwin interessiert sich halt nur für die Schauspielerei und versteht manches, das aus der Regie kommt, nicht. Aus der TV-Arbeit kennt er nur, dass es heißt: ,Passt schon‘.“ Aber auch Rosen streut Pölsler seinem Hauptdarsteller. „Ich lasse ihm immer Raum, seine Variante zu spielen, dann sage ich: ,Erwin, mach’s poltischer‘, und er schaltet sofort um. Der Mann kann so viel, er kriegt vom Fernsehen nicht den Stellenwert, den er haben sollte.“

Zweitbesetzung Dépardieu

Für den Fall, dass Pölsler, Komarek und ORF doch noch einen „Polt“-Film wollen, hat Erwin Steinhauer eine Lösung parat. „Jeder ist ersetzbar“, sagt er. „Gérard Depardieu würde gut passen. Nur mit dem wahnsinnigen Rad hätte er Probleme.“

Diesen 25-tägigen Dreh zog man jedenfalls noch tapfer durch, trotz der Strapazen zahlreicher Nachtdrehs -ist ja doch ein finsterer Krimi, der „Polt.“-, und man legt produktionelle Effizienz an den Tag. Jetzt geht es an den Schnitt, und schon Anfang nächsten Jahres soll das Werk über die Bildschirme laufen. Während im Weinviertel, wie es bei Komarek so schön dargestellt wird, die Zeit stehen geblieben ist, läuft das Radl von Produktion und Vermarktung auf Hochtouren: Der Haymon-Verlag, der die erfolgreichen Polt-Bücher betreut, hat indes eine Art bebilderten Reiseführer von Alfred Komarek herausgebracht. In Teil zwei der Reihe „Österreich von innen“ beleuchtet Komarek die Wachau. Von innen betrachtet gibt sich auch dieser Text der Langsamkeit hin: „Manches ist eben aus guten Gründen von gestern“, heißt es zum Abschluss, „und dabei sollte es auch bleiben.“

Ähnlich erklärt Erwin Steinhauer den Erfolg der Polt-Reihe beim Publikum: „Sie zeigt ein Gegenmodell für unsere heutige Zeit. Der Film lebt von Landschaftsaufnahmen und langsamem Schnitt. Polt ist total authentisch. Er atmet den Atem des Pulkautales zwischen Retz und Mailberg.“ Und doch: „Die beschriebenen Kriminalfälle sind mitunter untertrieben, was ihre Heftigkeit betrifft.“