Austro-Film: Das finstere Tal: Sam Riley über Rache und Vergebung

Österreich hat seinen ersten echten Western, der Held ist ein (fast) echter Ami. Sam Riley erzählt von Tirol, von Rache und Vergebung.

Seine Stimme ist so rauchig, wie man sie für einen echten Cowboy mag. Wer mit Sam Riley telefoniert, um ihn zu seiner Rolle in Österreichs erstem echten Western zu befragen, braucht nicht lange, um sich den Hut, die Stiefel und den Colt dazu vorzustellen. Wer ihn sieht, mag von dem glattrasierten Babyface abgelenkt sein, durch das er deutlich jünger aussieht als seine 34. Aber na gut, dann halt Typ Billy the Kid. Und dann auch noch dieser archaisch-amerikanische Name: Sam. Sam Riley. Eine geradezu verblüffend perfekte Besetzung, wenn man bedenkt, dass Regisseur Andreas Prochaska bei der Suche nach einem Hauptdarsteller sich einfach wild durchs Netz googelte und bei einem Foto hängenblieb. Von Sam Riley hatte er weder dessen Durchbruch als Ian Curtis im Schwarzweißfilm „Control“ 2007 gesehen noch mitbekommen, wie er als Jack Kerouac 2012 „On the Road“ war. Dass Riley etwas Deutsch kann, weil er mit seiner Frau Alexandra Maria Lara in Berlin lebt, wusste er auch nicht.

Crashkurs im Westernheldentum

„Es war Zufall, wie vieles in der Branche“, berichtet Riley. „Ich bekam ein E-Mail von Tom Tykwer, im Anhang ein Drehbuch zu einem Western in den österreichischen Alpen. Ich hatte aber keine Zeit, und eine Woche später schrieb er mir wieder: ,Ich vermute, du hast es nicht gelesen, sonst hättest du sofort geantwortet.'“ Riley wurde vom schlechten Gewissen gepackt und las das Buch von vorne bis hinten durch. „Das ist sehr selten, normalerweise bildet man sich nach dem ersten Viertel eine Meinung. Ich fand das Buch so spannend, dass ich mich dann sofort bei Tom gemeldet habe.“ Tykwer stellte dann den Kontakt zu Andreas Prochaska her.

„Andreas und ich verstanden uns sofort. Wir haben den gleichen Filmgeschmack und erinnerten uns an die gleichen Westernhelden, wenn wir über Figurengestaltung sprachen.“ Zwei Schönheitsfehler gab es im perfekten Setting. Der erste: Sam Riley konnte nicht reiten. „Alle Schauspieler lügen immer in ihren Lebensläufen, sie könnten fechten, reiten und Auto fahren. Nun, ich kann Auto fahren, aber ich bin noch nie geritten und bekam dann einen Crashkurs. Ich hatte zwei Tage mit einem Pferdeexperten in Österreich, dann wurde mein Pferd krank und ich musste am Set selbst mit einem neuen Hengst trainieren.“ Riley lacht: „Also, mir hat es Spaß gemacht, mehr als dem Pferd! Es hatte keine Filmerfahrung und wurde nervös, sobald die Kamera lief. Und du willst nicht auf einem gereizten Pferd durch die Eiseskälte reiten! Wir verständigten uns mit geheimen Handzeichen, sodass das Pferd nicht mitbekam, wann wir drehten.“

Makel Nummer zwei: Der Paradeamerikaner kommt eigentlich aus Leeds, Nordengland. Ist das nicht ein bisschen, wie wenn wir Österreicher die Augen verdrehen, weil wir als deutsche Nazisoldaten in Hollywoodfilmen besetzt werden? „Richtig problematisch war es, als ich die Jack-Kerouac-Figur spielte. Da versuchen die fünfzig Jahre lang, eine Besetzung zu finden, und dann kommt ein Scheißengländer daher.“ Selber schuld, wollten die Amerikaner die Verfilmung eines ihrer kultigsten Romane doch nicht selbst finanzieren. „Die Amis wollten nicht zuschauen, wie ein paar Teenager Auto fahren.“ Daher war „On the Road“ eine Koproduktion mit Kanada, Großbritannien, Frankreich und Brasilien.

Das gilt für die meisten Filme Sam Rileys derzeit. Von Berlin aus tingelt er durch europäische Produktionen. „Budgets zwischen 20 und 60 Millionen sind schwer innerhalb eines Landes aufzustellen“, sagt er. „So läuft das heute eben, und für Schauspieler, die eher hinter einer interessanten Rolle als hinterm Geld her sind, ist es ideal.“ Auch „Das finstere Tal“ ist eine Koproduktion – zwischen Österreich und Deutschland, gedreht wurde hauptsächlich im Südtiroler Schnalstal.

Die Waffen sprechen

Seine Verbindung zu Österreich? „Dass ich mir das EM-Finale 2008 in Wien angeschaut habe. Sonst: null Verbindung.“ Und da war er dann plötzlich, erstmals in den Bergen, in Eis und Schnee und im Pferdesattel, umgeben von Österreichern und tirolernden Deutschen (auch etwa Hans-Michael Rehberg und Paula Beer mussten sich das Idiom erst aneignen) – ein Außenseiter wie seine Rolle, der mysteriöse Greider, der eines Tages Ende des 19. Jahrhunderts dahergeritten kommt und im vom Brenner-Bauern und seinen verdächtig vielen Söhnen regierten Tal Unterkunft sucht. Von seinen eher nur national bekannten Kollegen hatte Riley noch nie gehört, durfte bei Gasthausbesuchen amüsiert feststellen, welch eine Legende etwa die „überlebensgroße Figur“ Tobias Moretti ist, besonders in Tirol und Umgebung.

Das Tirolerische muss eine höchst eigentümliche Erfahrung für jemanden sein, dessen Deutsch nach eigenen Angaben „auf Anfängerniveau herumdümpelt“. „Deutsch ist kompliziert, aber charmant. Das richtig zu beherrschen “ – und wie um sich selbst lügen zu strafen, folgt nun mitten im englisch geführten Interview ein perfekt intonierter deutscher Satz: „… das dauert a bisserl“. Rileys Glück: Als echter Westernheld, als klassischer Racheengel lässt sein Greider sowieso lieber die Waffen sprechen als die Worte, und allzu viel geredet wird den gesamten Film hindurch nicht. Es regieren die Bilder: ein Grau-in-Grau, das teils vergessen lässt, dass wir einen Farbfilm sehen, erstarrte, verfurchte Gesichter, in denen ein leichtes Zucken schon eine ganze Welt erzählt. „Solche Gesichter siehst du maximal irgendwo am Balkan, aber nicht in Wien, Berlin oder Leeds. Sie machen den Film auf eigentümliche Art authentisch.“ Und das, obwohl er einem der künstlichsten, realitätsfernsten Genres überhaupt angehört.

Aber mittlerweile ist ja Standard, dass sinistere Taten nirgends so realitätsnah anklingen wie in Österreich. Wer den Roman von Thomas Willmann gelesen hat, weiß um die üble Untat, die es im „finsteren Tal“ zu rächen gilt -wer es nicht weiß, dem sei die Spannung nicht genommen. Zwanzig Jahre ist „es“ her, und die hörigen Untertanen der Brenner-Familie haben es geradezu verziehen. Nicht Greider, oh nein, der nicht. Und mehr sei jetzt wirklich nicht verraten. Wie nachtragend kann man sein? „Ich bin eher der vergebende Typ“, gesteht Sam Riley. „Und was der Film lehrt, ist ja auch, dass Rache zwar süß ist, aber nicht immer befriedigend. Am Ende ist Akzeptanz die bessere Antwort. Aber es macht halt mehr Spaß, Rache zu spielen. Und dabei zuzuschauen.“