Roberto Saviano im Interview

Mit seinem 2006 veröffentlichten Buch „Gomorrha“ landete der Italiener Roberto Saviano einen Welterfolg, seit acht Jahren ist er auf der Flucht!

Roberto Savianos Buch waren nicht nur einen Welterfolg, sondern es veränderte nachhaltig sein Leben. Seit acht Jahren wird der Autor und Journalist von der Camorra verfolgt und hält sich im Untergrund auf. Mit der APA sprach Saviano anlässlich der auf seinem Werk basierenden Serie über seine Recherchen, die Kunst als Ventil und Veränderungen.

APA: Haben Sie vor Veröffentlichung Ihres Buches damit gerechnet, dass Ihr Leben heute so aussehen könnte? Was war und ist Ihr Ansporn?

Roberto Saviano: Man kann sagen, dass es eigentlich eine Besessenheit von mir ist, und nicht so sehr ein moralischer Auftrag. Die Geschichten und Fakten, mit denen ich mich beschäftige, sind unglaublich faszinierend. Weil sie eben eine Wahrheit enthalten oder zur Wahrheit führen. Jedes Buch, das ich verkaufe, oder wenn sich die Leute die Serie anschauen, sind Zeichen dafür, dass sie mich nicht aufhalten können.

Sehen Sie in dieser Besessenheit die Gefahr, dass Sie den Blick für das Ganze oder die nötige Distanz verlieren?

Es ist mir öfters passiert, dass ich mich zu sehr verbissen habe. Aber es hilft mir, dass ich mich mit den Medien auseinandersetzen und daher klar formulieren muss. Außerdem spielt die Kunst eine Rolle: Es geht nicht nur um das Thema, sondern die Art und Weise, wie man es behandelt. Das führt mich davon weg, mich zu sehr hinein zu verbeißen. Aber es ist schon wahr: Ich habe eine persönliche Fehde mit der Mafia.

Buch, Film, Serie: Alle drei Übersetzungen dieses Themas haben einen anderen Zugang. Wie waren Sie diesmal involviert, und was sollte die Serie letztlich darstellen?

Ich habe den Stoff entwickelt und mir die Geschichte ausgedacht. Zusammen mit dem Team wurden dann die Drehbücher verfasst. Meine Aufgabe war vor allem die Authentizität der Geschichten herzustellen. Die einzelnen Episoden sind ja reale Vorkommnisse, die wir anders verwoben und in die Geschichte eingebunden haben. Was die Serie vom Film unterscheidet, ist, dass man viel mehr Zeit hat. Man kann die Figuren und die Handlung langsamer aufbauen und viel mehr Augenmerk auf die Entwicklung der Machtstrukturen legen. Es geht dabei eigentlich nicht so sehr um die Camorra, sondern die Mechanismen, wie man Macht gewinnt und erhält.

Negativ besetzte Serienfiguren scheinen derzeit in Mode zu sein. Und auch die Hauptcharaktere in „Gomorrha“ morden, betrügen, stehlen. Bestand die Gefahr, diese Charaktere in ein zu positives Bild zu rücken?

Es gibt hier verschiedene Aspekte. Die Bindung an eine unangenehme Figur ist nicht per se als etwas Schlechtes zu sehen. Man bindet sich nicht an eine reale Figur, sondern an eine Darstellung. Dann entsteht auch eine gewisse Katharsis, das heißt, der Zuschauer setzt sich selbst in Relation zu dieser Figur und fragt sich: Wie würde ich mich in dieser Situation verhalten? Würde ich auch so gnadenlos, so verräterisch sein? Man hinterfragt sich dadurch. Und als zweite Strategie haben wir versucht, die Sympathien, die man empfinden kann, auf ein Minimum zu reduzieren bzw. komplett zu vermeiden. Einfach indem wir diese Figuren immer in ihrem Elend gezeigt haben. Nicht in ihrer Armut, sondern in ihrem moralischen Elend, in ihrer Verdorbenheit. Und diese Verdorbenheit weicht nie von ihnen, auch wenn sie gerade mal was Sympathisches machen.

Was hat sich in den acht Jahren, seit Sie Ihr Buch veröffentlicht haben, hinsichtlich der Bekämpfung des organisierten Verbrechens getan?

Es hat sich schon etwas verändert, vor allem in der Wahrnehmung. Die Mafia wird nicht mehr nur als regionales Problem wahrgenommen, sondern als etwas, das die ganze Nation betrifft. Auch das Verhältnis der Politik zur Mafia hat sich so langsam ein bisschen verschoben. In meinem Heimatort wurde beispielsweise ein Bürgermeister gewählt, der ein Feind der Mafia ist und offen als bekennender Bekämpfer auftritt. Das ist fast schon unglaublich. Es wurden von der Justiz auch einige harte Urteile gegen Ex-Mafia-Bosse gefällt. Die Veränderungen passieren zwar nur langsam, aber sie passieren.

Der internationale Aspekt des organisierten Verbrechens kommt in Ihrem Buch stark durch. Wie sehen Sie die Rolle der EU derzeit, wird da genug getan?

Nein, es wird überhaupt nicht genug getan. Das Problem wird nur an die Polizei und die Ordnungskräfte delegiert. Es gibt auch keine gemeinsame europäische Gesetzgebung gegen die Mafia. Die internationalen Geldflüsse werden nicht reglementiert oder kontrolliert. Heutzutage wird in London oder Berlin im großen Stil Geld gewaschen. Hinsichtlich der Gesetze gegen Geldwäsche muss man sogar festhalten, dass Italien weit vorne ist. Viel weiter als Frankreich, Deutschland oder Großbritannien, die alle denken, sie hätten mit der Mafia nichts zu tun. Und wenn sie es merken, dann ist es schon zu spät.

Was wird Ihr nächstes Projekt sein? Können Sie aufgrund Ihrer Lebenssituation überhaupt konzentriert arbeiten?

Es ist schon schwierig. Aber ich bekomme in den verschiedenen Orten, wo ich mich aufhalte, auch wieder neues Material, weil ich sehr eng in Kontakt stehe zu den Justizbehörden und der Polizei. Derzeit arbeite ich gerade an der Umsetzung meines Buches „ZeroZeroZero“ über Kokainhandel, aus dem ebenfalls eine Serie werden soll. Es ist schon beinahe komisch, weil derzeit keiner mehr ein Buch oder einen Artikel von mir will, sondern immer nur eine Serie.

Glauben Sie, dass Sie in naher Zukunft wieder frei leben werden können?

Saviano: Die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben.