Bier-Revolution: Craft-Nahrung für die WM

Craft Beer erobert die Getränkekarten. Das gemeinsame Fußball-Schauen ist eine gute Gelegenheit, sich dem Trend zu nähern. Wir haben die Vorschläge dazu.

Gegner von Anglizismen müssen jetzt stark sein, denn vernünftige Übersetzung (wörtlich wäre: „Handwerksbier“) gibt es für Craft Beer keine. Allerdings verweist der Begriff auch auf die Geburt in den seit 1776 nicht gerade für Revolutionen bekannten USA. Dort regte sich am Tiefpunkt der Brauerei-Dichte, als in den 1980ern deren Anzahl zweistellig war (Österreich zählt aktuell 190), Widerstand gegen die Konzerne und ihren uniformen Produkte. Kleinbrauereien besannen sich alter Rezepte oder setzten neue Hopfensorten wie Cascade oder Saphir ein, die dem Bier neben der Bittere („die Bittere“ ist unter Brauern weiblich) auch Tropenfrucht-Aromen mitgaben.

Schräge Etiketten, begeisterte Konsumenten und Geschmacksprofile, die man sich „erarbeiten“ mußte, sorgten für einen Siegeszug, der bald auch Skandinavien mit dem dänischen Mikkeller, Schottland und sein Brew Dog, vor allem aber das Weinland Italien erfaßte, wo Pioniere wie Teo Musso (Birra Baladin; www.baladin.at) das amerikanische Beispiel aufgriffen.

Der Goldstandard IPA

Viele halten nach wie vor einen Biertyp, mit dem die Rückbesinnung begann, für die gesamter Craft-Bewegung; denn India Pale Ale (IPA abgekürzt) erzeugen praktisch alle Kreativbrauer. Stärker gehopft und meist auch deutlich alkoholischer als die beliebten Pilsner und Märzen-Biere, sind hier die obergärigen Fruchtaromen wie Banane oder Ananas durchaus erwünscht. Die Faustregel, die es der „Zisch-und-weg-Fraktion“ so suspekt macht: Je exotischer das Bier riecht, umso kräftiger schlägt die Bittere am Ende zu. Denn die intensiven Papaya-, Ananas- oder Mandarinennoten verdanken sich der Zugabe von noch mehr Hopfen NACH dem eigentlichen Brauvorgang. „Hopfenstopfen“ oder Kaltzugabe nennt das der Brauer.

Voll im Trend: Austro-Brauer

Ein Ende des Trends ist nicht abzusehen, selbst im Heimatland des Booms, „eröffnet fast täglich eine neue Brauerei“, wie dem WIENER Robert D. Pease, Chef der amerikanischen Brewers Association, verriet. 2.200 Handwerksbrauer nach US-Definition vertritt der in Colorado ansässige Verband, der den Export seit 2003 um fast 2.000 % (!) gesteigert hat. Hauptabnehmer war übrigens Schweden, das 15% der 282.526 Barrels aus den Vereinigten Staaten kaufte.

Aromatisiert wird auch in Österreich fleißig, Lärchen-Zapfen oder Baumharz finden sich in den Waldbieren des in Salzburg arbeitenden Dortmunders Axel Kiesbye, Langpfeffer bei „Bierzauberer“ Günther Thömmes‘ „Aleysium Nr. 6″ und der Aromahopfen „Mandarina Bavaria“ bei den Bierol-Jungs Christoph Bichler und Max Karner aus Schwoich bei Kufstein in deren „Mountain Pale Ale“.
Auch den neuesten Trend, die Fassreifung von Bier, machen Österreichs Brauer mit. 24 Barriquefässern umfaßt der Reifekeller in der Privatbrauerei Josef Sigl in Obertrum (www.trumer.at), parallel eröffnete auch Salzburgs Stiegl (www.stiegl.at) ein entsprechendes Lager. Ob die Zillertaler Brauerei, das „Beerique“ der Hirter Brauerei oder der Golser „Barriquator“ aus dem Whiskyfass: Starkbiere, die an eine Mixtur aus Irish Coffee, Honig und Banane erinnern, sind modern, haben mit dem Erfrischungsgetränk Bier aber wenig zu tun.

Die Bier-Auswahl

Doch genau die Spritzigkeit steht im Mittelpunkt, wenn es um Fußball-Biere geht. Daher hier eine internationale WIENER-Auswahl für das Achtel-Finale (und darüber hinaus):

Bosteels, „Triple Karmeliet“, Belgien
Bei Bier steht der Führungsanspruch Belgiens außer Zweifel: Drei Getreiden (Gerste, Hafer, Weizen) und steirischer Hopfen kommt bei der Familien-Brauerei aus Buggenhout in den Braukessel. Geschmacklich erfrischen Cornflakes, Zitrusnoten, vor allem Orangenschale, und eine deutliche Hopfenbittere.
EUR 6,90 (0,75-Liter) bei Getränke Ammersin, www.ammersin.at

BrauFactuM, „Colonia“, Deutschland
Ein Bier wie die neue deutsche Mannschaft: Raffinesse statt Behäbigkeit. Das obergärige Bitterbier riecht nach Ananas, Grapefruit und Limette. Am Gaumen kommt eine schöne Rezenz dazu, wie der Brauer die Frische nennt sowie gelbe Birne und Kiwi, ehe die Bittere auftritt. Hat den Zug zum Tor!
EUR 2 (0,33 Liter) bei Del Fabro, www.delfabro.at

Urthel, „Samaranth“, Holland
Aus den Niederlanden kommt das massive (11,5 % Alkohol) Bier mit dem lustigen Wurzelsepp am Etikett. Die Belgierin Hildegard van Ostaden hat dem „Samaranth“ einen Kaffee-Haselnuss-Duftverliehen, der erste Schluck erinnert an Bitterschokolade und Weinbrand-Pralinen. Cremig und malzig ist es fast eine eigene Mahlzeit.
EUR 2,68 (0,33 Liter) bei Abaco, www.abaco-trade.at
Sierra Nevada, Pale Ale, USA
Als echter „Craft Beer“-Pionier besann sich Ken Grossman des Handwerks (und ist heute die Nr. 7 der US-Brauer). Aushängeschild ist das spritzige, nach Lychee und Kiwi riechende Pale Ale. Grüne Aromen und etwas Orange prägen das ideale Bier, um die Lieblingself in Brasilien anzufeuern.
EUR 3,30 (0,35 Liter) bei Bierfracht, www.bierfracht.eu

Thornbridge, Jaipur, England
Rückgrat des im Park District zwischen Sheffield und Manchester gebrauten Biers ist der neuseeländische Hopfen. Tropenfrüchte wie Ananas und Papaya im Duft machen neugierig auf das intensiv-herbe Bier. Die Mango im Geschmack dominiert (und tröstet ev. über das WM-Aus der Briten).
EUR 4,19 (0,5 Liter) bei Getränke Ammersin, www.ammersin.at