Social Media: Der Heilige Krieg auf Facebook, Twitter und Instagram
Der „globale Jihad“ ist längst in den Sozialen Netzwerken angekommen und @chechclear ist dafür bei weitem nicht das einzige Beispiel. Ob Facebook, Twitter, ask.fm, Instagram oder die Bloggerplattform tumblr, sie alle sind voll mit mehr oder weniger heroischen und wahrheitsgemäßen Beschreibungen dessen, was im syrischen Bürgerkrieg gerade geschieht.
@Chechclear lebt nach eigenen Angaben seit zwei Jahren auf den „Schlachtfeldern Syriens“. Sein Profil auf der Fotoplattform Instagram ist voll mit Bildern, die ihn in Camouflage-Uniform zeigen, inmitten zerbombter Gebiete, auf Panzern, oft mit Kalaschnikow. Auf ask.fm beantwortet er bereitwillig die Fragen aller, die sich für den bewaffneten Kampf in Syrien interessieren.
Der Konflikt ist der erste, der praktisch in Echtzeit auf Sozialen Netzwerken dokumentiert wird – eine „unverzichtbare Informations- und Inspirationsquelle für Kämpfer“, heißt es in einer vor kurzem veröffentlichten Studie der Londoner Forschungseinrichtung ICSR (International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence).
Empfänglich für Web 2.0
Auch, weil der Großteil der ausländischen Syrienkämpfer in die Altersgruppe der 18 bis 29-Jährigen fällt und für traditionelle Medien kaum noch empfänglich ist. „Self selected bubbles“ (selbst ausgewählte Blasen), nennt das die Soufan Group, ein sicherheitspolitischer Think Tank mit Hauptsitz in New York. Twitter und Facebook dienten nicht nur als Informationsquelle darüber, was vor Ort geschieht, sondern seien auch „äußerst bedeutend“ für die Verbreitung extremistischer Ideologien und das Fundraising sowie die Rekrutierung extremistischer Gruppen, schreiben ihre Experten weiter.
Vorreiter in Sozialen Netzwerken sowie in der Rekrutierung ausländischer Kämpfer sind Ahrar al-Sham, Jahat al-Nusra und vor allem ISIS (Islamischer Staat im Irak und Großsyrien), die sich jüngst in Islamischer Staat (IS) umbenannte. 190 Socialmedia-Profile von im Bürgerkrieg kämpfenden Ausländern hat ICSR ausgewertet, 55 Prozent von ihnen bekannten sich zu ISIS, 14 zur al-Nusra. Die radikal-salafistischen Gruppen sind nicht nur meist besser organisiert als ihre gemäßigteren Gegenspieler der Freien Syrischen Armee (FSA), sie verfügen auch über die nötigen Sprachkenntnisse, um jene aufzunehmen, die kein Arabisch beherrschen.
12.000 Kämpfer aus dem Ausland
Wie bedeutend Sprachkenntnisse in einem Konflikt sind, der nach Schätzungen der Soufan Group bereits mehr als 12.000 ausländische Kämpfer aus mindestens 81 Nationen angezogen hat, verdeutlicht auch @chechclear, alias Israfil Yilmaz. Als nach eigenen Angaben Türke mit syrischen Wurzeln, der in der niederländischen Armee gedient hat, schreibt er auf Türkisch, Niederländisch und Englisch. Zudem beherrscht er die in Sozialen Netzwerken gängige Bildsprache perfekt: Seine Fotos sind meist in Schwarz-Weiß oder Sepia gehalten, mit einzelnen Akzenten in Farbe. Neben Szenen des Bürgerkriegs finden sich darauf auch immer wieder süße Kinder, niedliche Katzen neben Kalaschnikows oder idyllische Landschaftsbilder. „From Syria with Love“ (Liebesgrüße aus Syrien) steht unter dem Foto eines Kämpfers, aus dessen Gewehrmündung eine violette Blume wächst.
Vor allem ISIS-Jihadisten seien oft mehrmals am Tag online und würden Soziale Netzwerke nutzen, um sich selbst in Szene zu setzen, sagt der österreichische Islam-Experte Thomas Schmidinger. Das diene auch dazu, „gegenüber denen zu prahlen, die zuhause geblieben sind oder zukünftige Ehefrauen zu beeindrucken, die man nachholen möchte“. Die negativen Seiten des Konfliktes bzw. „moralisch nicht gerechtfertigte“ Kriegsverbrechen, wie etwa Vergewaltigungen, würden ausgeblendet. „Was bleibt, ist eine zweifach gefilterte Message: Einerseits von ISIS, andererseits von großspurigen, pubertierenden Jugendlichen. So entsteht ein jihadistisches Disneyland.“
Zur Rekrutierung geeignet?
Aber welche Rolle spielen Soziale Netzwerke bei der Rekrutierung künftiger Syrienkämpfer tatsächlich? Sind sie dabei, radikalen Predigern den Rang abzulaufen? Thomas Schmidinger spricht von einem „sehr wichtigen Kanal“. Die Bedeutung der persönliche Mobilisierung mittels „Hinterhofsalafisten“ nehme im Vergleich dazu ab. Freilich zöge nur eine „ganz kleine Minderheit“ derer, die von den syrischen Heldenepen auf Facebook und Twitter fasziniert sind, tatsächlich in den Bürgerkrieg. „Doch wenn man es will, ist es relativ leicht zu gehen. Und dann findet man über Soziale Netzwerke auch die entsprechenden Kontakte.“
Bei den österreichischen Behörden heißt es hingegen, es sei kein Fall „reiner Selbstradikalisierung“ über das Internet bekannt. Allerdings verweist man auf die beiden Wiener Mädchen, die Österreich Anfang April in Richtung Türkei verließen, um in den syrischen Bürgerkrieg zu ziehen. Hier seien „soziale Netzwerke und der Freundeskreis zentral gewesen, Moscheen weniger“.
Freunde wichtiger als Social Media
Auch Behnam Said, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz und Herausgeber des Sammelbandes „Salafismus. Die Suche nach dem wahren Islam“, glaubt nicht an eine reine Selbstradikalisierung über Soziale Netzwerke: „Ich bin da vorsichtig. Zwar ist das in Einzelfällen schon vorgekommen, doch in den meisten Fällen spielt die Radikalisierung im Freundeskreis eine bedeutende Rolle.“ Daher bleibe der „Austausch im Realraum“ weiterhin zentral. „Auch wenn das Internet die Kommunikation leichter gemacht hat und es heute einfacher ist, Netzwerke aufzubauen und Propaganda zu verbreiten.“
Dennoch gab der deutsche Verfassungsschutz gerade erst die Gründung eines eigenes Referates zur Überwachung Sozialer Netzwerke bekannt. 75 Personen sollen dort laut Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ beschäftigt sein, die enormen Datenmengen auch mittels eigens entwickelten computergestützten Systemen ausgewertet werden. Eine personelle Situation, von der die österreichischen Kollegen nur träumen können. Aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) heißt es auf APA-Anfrage offiziell nur, man „betrachte diese Aspekte ganzheitlich“. Eine spezialisierte Stelle für die Beobachtung jihadistischer Propaganda gibt es nicht.
Eigene Wege
Auf einen etwas anderen Weg setzt das US-State Departement. Hier streitet das Center for Strategic Counterterrorism Communications (CSCC) auf Twitter unter @ThinkAgain_DOS mit Jihadisten und produziert eigene Youtube-Videos, um die blutige Realität des Bürgerkrieges zu zeigen. In einem sieht man etwa den deutschen und mittlerweile offenbar getöteten Salafisten Denis Cuspert durch eine verschneite syrische Winterlandschaft tollen. „Wir haben auch Spaß, es ist nicht alles so gruselig, wie alle sagen“, strahlt er wenige später in die Kamera. Das Ende kommt unvermutet: Cuspert liegt blutüberströmt am Boden.
Der Ansatz, mittels Gegenpropaganda auf die zunehmende Präsenz jihadistischer Ideen im Internet zu reagieren, werde auch in Europa bereit diskutiert, heißt es aus österreichischen Sicherheitskreisen. Diese müsse jedoch glaubwürdig sein und daher aus der islamischen Community selbst kommen und auf einer religiösen Argumentation basieren. Erste Kontakte zwischen BVT und im Religionsbereich tätigen Muslimen gebe es bereits.
Benham Said vom Hamburger Verfassungsschutz wiederum sieht eine mögliche Lösung darin, die Aktivitäten humanitärer Organisationen in Syrien mehr in den Mittelpunkt zu rücken. „Der Wunsch in den Kampf zu ziehen, entsteht zum Teil auch aus dem Eindruck, der Westen lasse Syrien im Stich. Radikale Prediger sprechen gezielt das Ungerechtigkeitsempfinden vieler Jugendlicher an. Mann muss ihnen Alternativen zum bewaffneten Kampf aufzeigen“
Denn der Wunsch in den Jihad zu ziehen entsteht ein Stück weit immer aus der Verpflichtung, als Teil der globalen islamischen Gemeinschaft, der „Ummah“, anderen Muslimen in Not zu helfen. Er leiste soviel humanitäre Hilfe wie möglich, schrieb der Syrienkämpfer @chechclear erst vor wenigen Tagen auf ask.fm. „Denn Dawah (Mission) und Jihad gehen Hand in Hand. Ich liebe die Menschen und ich liebe es, den Schwachen und Unterdrückten zu helfen.“