Belgiens Brauer: Bier-verrücktes Antwerpen

Design? Diamanten? Eh alles nett, aber Belgiens zweitgrößte Stadt lockt auch Biertrinker. Sogar der Salat und das Nationalgericht Muscheln werden darin zubereitet.

116 Seiten umfasst die Getränkekarte des „Bier Central“ in der Keyserlei, der Antwerpener Flaniermeile. Mit etwas Glück sitzt Hans Bombeke in dieser Hopfen-und-Malz-Kathedrale und macht Laien den Fremdenführer durch die 300 hier ausgeschenkten Biere. Wer „Asterix bei den Belgiern“ gelesen hat, weiß, wie Bombeke aussieht. Der stattliche Mann mit dem Schnauzbart leitet das Antwerpener Bier-College, eine Bildungsinstitution in Sachen belgischem Bier. „Wir trinken nicht, wir degustieren“, lacht er und wuchtet eine 0,75 Liter Flasche Sauerbier auf den Tisch.
Mit Bombeke als Bürgen kommt man auch ins legendärste Bierlokal der Stadt, das Kulminator. Seit 40 Jahren steht Dirk van Dyck in der Vleminckveld 32 in einem Raum, den man nicht anders als sein Wohnzimmer nennen kann. Die Regeln hier sind streng, in den Lagerkeller darf nicht einmal die entzückende ältere Dame an seiner Seite, Leen Boudewijn. Dort liegen mitunter auch Jahrzehnte-lang gereifte Abfüllungen internationaler Brauereien. Zur Feier des Tages holt Dirk für Bombeke und die beiden Österreicher (neben dem WIENER ist Bierpapst Conrad Seidl dabei) ein acht Jahre altes Porter aus England.

Käsereifung auf Belgisch

Aber nicht nur die Lokale, auch die zwei Stadtbrauereien Antwerpens stehen für unterschiedliche Wege des Brauens. Am Weg in die Stadt ist die Brouwerij De Koninck am Mechelsesteenweg kaum zu übersehen. Die charakteristische Form des Bierglases „Bolleke“ hat es zu einem Synonym in der Stadt werden lassen. Geht man auf ein „Gläschen“, dann ist automatisch ein De Koninck gemeint. Die einstige Familienbrauerei, Sponsor legendärer Musik-Picknicks, gehört heute zum Duvel-Moortgat-Konzern. Er krempelt die alten Hallen gehörig um; im Mai 2015 soll eine Erlebniswelt eröffnen, für die René Tolenaars auf der Baustelle die Werbetrommel rührt.

Ein Kernstück, die frühere Brauhalle, wird bereits von der Familie Van Tricht, Belgiens Meistern der Käsereifung, genützt. Die für uns ungewöhnliche Kombination funktioniert bestens, im nahen Mechelen etwa gönnt Harry Schockaert von der Feinkost-Institution „Kaaswinkel“ seinen Käsen während der Reife ein Bierbad.
Während drinnen also Käse lagern, wird er vis-á-vis zum Bier verkostet: Das Food Pairing gehört neben dem Rindsragout „Stoofvlees“ und den Muscheln zu den Spezialitäten des Café De Pelgrim. Aber selbst Nicht-Biertrinker machen hier Halt. Schließlich liegt mit dem „Velodome“ ein Fahrradshop für die Bike-verrückten Belgier gleich daneben. Wer die Stadt per pedales erobert, findet sogar Duschen vor.

Vergessenes Bier-Rezept

Die weitaus kleinere Stadt-Brauerei ist zwar eine Neugründung, das Bierrezept selbst aber uralt. So alt, dass es Johan Van Dyck für die Gründung seiner Antwerpse Brouw Compagnie erst wieder in Archiven ausgraben musste. Denn im 20. Jahrhundert kehrte man sich immer mehr vom traditionellen Bierstil Seef ab, nachdem immerhin heute noch ein Viertel der zweitgrößten belgischen Stadt „Seef-Ecke“ (Seefhoek) heißt. Das Rezept des aus vier Getreidearten – neben Gerste, Weizen und Hafer kommt als spezielle Zutat Buchweizen dazu – wurde schließlich doch gefunden. Für einen durchschlagenden Erfolg fehlte noch ein Ritual rund um das wiederentdeckte Bier, also wird zunächst nur 2/3 des Flascheninhalts ins Glas gegeben, dann die Flasche gedreht und der Rest des unfiltrierten Seef nachgegossen. Die Cornflakes- und Knäckebrot-Töne der Getreidemischung dominieren das in der Flasche ein zweites Mal vergorene Bier, eine deutliche Hefenote erinnert mit leichter Süße an Dim Sum-Teig.

Kwak, ich bin ein Bier

Ebenfalls mit einer Getreidemischung hat das Traditionshaus Bosteels im nahen Buggenhout den Markt revolutioniert. Das 1996 erstmals gebraute Triple Karmeliet, in dem steirischer Hopfen zum Einsatz kommt, stammt dabei aus einer Brauerei, die älter ist als das Land, in dem sie steht. Seit 1791 wird in der Kerkstraat gebraut, wie Ivo Bosteels begeistert im ehemaligen Herrenhaus aus dem Jahre 1859 erzählt. Sein Vater leitete das Unternehmen, in dem auch Bier mit dem lustig klingenden Namen „Kwak“ produziert wird, ein halbes Jahrhundert lang. Nun hat Sohn Antoine das Sagen – zumindest solange, bis Bosteels senior wieder eine Anekdote einfällt.

Tipp: Beim Antwerpener Bierfestival (heuer am 4. und 5. Oktober) präsentieren sich 25 Brauereien. Geboten werden unter anderem geführte Käse und Bier-Degustationen bei De Koninck – mehr Infos unter www.modestebierfestival.be