Autorin Ela Angerer im Interview: Schöne schmerzende Welt

Erleichternde Selbsterkenntnis und souveränes Debüt! Ein Buch über die verrückten Jahre des Erwachsenwerdens: Mit „Bis ich 21 war“ ist Ela Angerer ein irritierend-schöner Erstling gelungen

Die frühere Kurier-Journalistin Ela Angerer hat einen explizit autobiografischen Roman geschrieben. Übers Erwachsenwerden, über die Lügen der Eltern, aber auch die absurde Coolness in Teenager-Tagen. Und sie erschließt uns damit einen interessanten Weg zur Selbsterkenntnis abseits betulichen Therapie-Getues. Es sich auf der Couch gemütlich zu machen, geht gar nicht; beginnen wir mit einem Satz auf der ersten Seite: „Erst wenn es wehtut, wird es wirken.“

 

Wiener: Ich fang‘ mit dem Satz an, der in deinem Buch zweimal vorkommt: „Erst wenn es wehtut, wird es wirken.“ Hat’s weh getan, und hat’s gewirkt?

Ela Angerer: Ja, es hat gewirkt und erstaunlicherweise habe ich mit vielem Frieden geschlossen, auch mit meiner Familie.

Dein Buch ist explizit autobiografisch, es ist aber keine Nacherzählung deines Lebens bis 21 – oder? 

Meine Kinderstimme war immer noch sehr präsent. Ich habe sehr stark gespürt, wie ich als Kind empfunden habe. Schon damals war ich überrascht, dass Erwachsene glauben, dass man ihnen alles abnimmt. Obwohl es ganz offensichtlich ist, dass sie ihre Kinder und sich selbst belügen. Und weil diese Stimme so präsent war, wollte ich diese Geschichte schreiben. 

Deinem Roman ist ein Pet Shop Boys-Titel vorangestellt, offenbar als Motto: „It’s a sin“ – war’s das, bis du 21 warst? 

So wie die Frau im Buch habe ich auch viel falsch gemacht. Es waren ja nicht nur meine Eltern schwierig, ich war auch unmöglich. Man kommt halt erst als Erwachsener drauf, wie wertvoll das Leben ist und wundert sich, mit welcher absurden Coolness man sich gedacht hat, „na, egal, dann sterb‘ ich halt“.

Schämst du dich heute dafür? 

Ich schäme mich für gar nichts. Ich konnte mir nur nicht erklären, warum ich so war.

Und heute, wie würdest du es heute erklären? 

Ich habe dringend nach einem Zukunftsmodell für mich gesucht. Danach, wer ich werden könnte, wer ich sein könnte. Und wenn man da keine Antworten findet, probieren es einige von uns eben mit Rock’n’Roll.

Bist du heute erwachsen? Seit kurzem (lacht). Interessanterweise wird man erst durch’s Scheitern erwachsen.

Und warum erst seit kurzem? Sagen wir, so richtig erwachsen.

Also gut, richtig erwachsen. 

Weil ich mich von vielen Illusionen und Konzepten verabschiedet habe, etwa den typischen Barbie-Träumen. Mich muss kein Prinz mehr retten. Und dass mir irgendein Chef auf die Schulter klopft, brauche ich auch nicht mehr.

Und was macht den Unterschieden aus, zwischen einem Erwachsenen und einem Kind, oder besser: kindlichen Menschen? 

Ein erwachsener Mensch kommt sehr gut mit sich selber aus. Die größten Probleme entstehen doch deshalb, weil es die Menschen nicht ertragen, alleine zu sein.

Ist man beim Schreiben einsam oder einfach nur allein?

Man ist allein, und das ist toll. Ich habe das genossen. Ich war 20 Jahre Journalistin und wollte wissen, wie es ist, nur für mich zu schreiben. Ohne jeden Zwang. Dass das Buch so geworden ist, wie es ist, liegt daran, dass ich es nur für mich gemacht habe.

Wieso musste es ein Buch übers Erwachsenwerden sein?

Das ist einer der spannendsten und wichtigsten Prozesse. Kinder kommen in unserer Gesellschaft viel zu wenig zu Wort.

Was haben deine Eltern gesagt? Mein Vater ist tot, meine Mutter hat es noch nicht gelesen.

Wird sie sich wieder erkennen? 

Nicht allzu sehr, hoffe ich. Erstens ist meine Mutter nicht die Frau, die in dem Buch vorkommt. Zweitens weiß sie, dass wir eine schwierige Geschichte haben. Wir haben uns aber auch ausgesprochen. Und ausgesöhnt. Heute haben wir ein sehr gutes Verhältnis.

Bist du wirklich in einem Schloss aufgewachsen? Ja. So von 10 bis 18.

Mit all dem Luxus, den du beschreibst? 

Ja, diese Wohlstandsverwahrlosung um die es in diesem Buch geht, die kenne ich auch aus meiner eigenen Geschichte. Und ja, ich war auch in einem Internat.

Hast du all die Drogen genommen, über die du im Buch schreibst? (zögert kurz) Ja (lacht).

Haben Sie dir geholfen? Nein. Es war einfach eine Suche. Ich nehme seit 20 Jahren keine Drogen mehr.

Warum nicht? 

Weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich mich kaputt mache. Und ich mich entscheiden musste, ob ich leben will oder nicht. Ich habe einfach erkannt, dass man auch nüchtern durchs Leben gehen kann.

Sind Drogen grundsätzlich böse? 

Ohne Drogen würde diese Welt gar nicht funktionieren. Drogen stellen uns ruhig. Sie nehmen den Schmerz. Ich verurteile niemanden, der Drogen nimmt.

Was ist das positive Äquivalent zu Drogen? 

Hm… Drogen können sehr lustig sein. Aber für mich hat sich das Thema erledigt. Natürlich: Liebe. Drogen sind nur Ersatz für Liebe. Liebe ist natürlich besser. Man kann sie nur nicht so leicht besorgen wie Drogen. 

Du beschreibst die Welt in deinem Buch in unterschiedlichen Farben. Oder besser gesagt: die abgebildete Welt, die Bilder dieser Welt – wie ein roter Faden zieht sich das durchs Buch: Was bedeutet es dir, dir Bilder von deiner Welt zu machen? 

Ich habe schon immer diese Manie gehabt, Augenblicke festzuhalten. Schon im Internat. Da habe ich meine Freundinnen beim Zähneputzen fotografiert. Da ist ein Tick von mir – vielleicht habe ich Angst vor der Vergänglichkeit; vielleicht will ich einfach noch einmal sehen, dass etwas wirklich stattgefunden hat.

Ganz am Anfang schreibst du: „Das etwas in mir falsch war, erstaunte mich nicht“ – Bist du heute eins mit dir? Ja, aber das hat lange gedauert.

Wenn du heute einen Songtitel über deine Zeit nach 21 setzen müsstest, welcher wär‘ das?

Das wäre kein Lied. Das wär‘ ein Satz von Peter Turrini: „Man hat ja zu sich selbst keine Alternative.“

Bis ich 21 war erscheint am 25. August
Fester Einband, 192 Seiten, 19,50 Euro

BIOGRAFISCHES

Geboren: Am 20. Oktober 1964 in Wien, ein Sohn
Wohnort: Wien
Hobby: Ich habe keine Hobbys, ich habe nur Leidenschaften – Rechnen, Reiten, Lesen
Erfolg: Dass ich Robert Palfrader in einem Theaterstück von mir zum Singen gebracht habe
Essen: Die Küche im Anzengruber
Getränk: Schwarzer Freixenet
Ort: eine Gondel
Film: „Bad Lieutenant“, das Original mit Harvey Keitel
Buch: „Deutsche Einheit“ von Joachim Lottmann
Musik/Song: Fleetwood Mac
Vorbild: So alt werden wie Vivienne Westwood
Schwäche: Meine unausgelebte Zuneigung zu Oberösterreich
Stärke: Meine offene Beziehung mit dem Thermalbad Vöslau
Lebensmotto: Schwimmen und schwimmen lassen
Homepage: www.elaangerer.com