KULTUR

Mein ziemlich kleiner Freund

Sarah Wetzlmayr

„Es kommt nicht auf die Größe an“ – wer das noch nie gesagt hat, hat es bestimmt schon mal gehört. Der neue Film von Laurent Tirard – „Mein ziemlich kleiner Freund“ – interpretiert diesen Satz neu. 

von Sarah Wetzlmayr

Es gibt zwei verschiedene Arten mit sogenannten Tabu-Themen umzugehen: Entweder man spricht sie direkt an, sagt „pudern“ statt „Geschlechtsverkehr“ und erklärt dem Kind, dass es irgendwann einmal einfach nur noch „kacken“ wird statt „aufs Töpfchen zu gehen“ oder man verpackt sie in Zellophan, steckt ihnen einen Hubba Bubba in den Mund und setzt ihnen eine blonde Perücke auf den Kopf, bis sich endgültig niemand mehr daran stoßen kann. Beim Film „Mein ziemlich kleiner Freund“, einer französischen Produktion unter der Regie von Laurent Tirard, hat man sich eindeutig für zweiteres entschieden. Das in Zellophan verpackte Tabuthema dieses Films: Kleinwüchsige Männer. Der erste Punkt geht dabei dennoch an Tirard und sein Team – das Thema existiert, ist möglicherweise sogar gesellschaftlich bedeutsam, findet jedoch in Kunst und Gesellschaft kaum Erwähnung. In der nächsten Stufe des Entstehungsprozesses von „Mein ziemlich kleiner Freund“ hat man sich dann dafür entschieden eine Vorratsrolle Zellophan zu kaufen, dazu noch eine blonde Perücke und tonnenweise Hubba Bubba-Kaugummi – bis alles so richtig weich und schon mal durchgekaut daherkommt. Leider kein Punkt dafür. Dazu bewegt man sich in einem typischen Oberklasse-Milieu. Er, der Kleinwüchsige gespielt von Jean Dujardin (den die meisten aus „The Artist“ oder der Nespresso-Werbung kennen und der eigentlich 1,82 m groß ist), ist erfolgreicher Architekt mit dementsprechender Behausung, dazu auch noch ein liebender Vater. Alles ist großartig, nur besonders groß ist er halt nicht. Sie, die geschiedene Anwältin, Powerfrau, wie sie Hollywood perfekt vorgeformt hat, soll die eigentliche Größe des kleinen Mannes erkennen – die, so die Grundaussage des Films, natürlich von innen kommt. Ob sie es schafft, über ihren eigenen, um einiges größeren Schatten zu springen, soll hier mal nicht gespoilert werden, ist aber – wenn man die Schablone des Films mit der anderer aus der Schublade „RomCom“ vergleicht, nicht so schwer zu erraten.

Der ein oder andere Lacher geht sich trotzdem aus, denn die geringe Größe der Hauptfigur bietet umso mehr Fläche für allerhand Spaßigkeiten und ein wenig Slapstick. Ansonsten plätschert der Film so vor sich hin, wie ein süßer französischer Weißwein. Wirklich große Momente gibt es kaum, aber wie uns „Mein ziemlich kleiner Freund“ beigebracht hat, steckt die wahre Größe auch meistens ziemlich tief drinnen. Eine andere Sache gibt uns dieser Film aber tatsächlich mit auf den Weg raus aus dem Kino – er zeigt auf in welch sperrig festgefahrenen Koordinatensystem wir uns tagtäglich bewegen – nämlich eines in dem ältere Frauen mit deutlich jüngeren Männern und große Frauen mit kleinen Männern noch immer ziemlich schräg von der Seite angeschaut werden. Das Thema ist nicht wirklich neu, doch kann ruhig hin und wieder mal groß geschrieben werden. Fazit: Besser ein Stockerl vor dem Waschbecken im Bad, als ein Stock im Arsch.

Regie: Laurent Tirard / Drehbuch: Laurent Tirard, Grégoire Vigneron, nach dem Film ‚Corazón de Léon‘ von Marcos Carnevale / Kamera: Jérôme Almeras / Schnitt: Valérie Deseine / Musik: Éric Neveux / Ton: Eric Devulder, François Fayard, Thomas Gauder / Ausstattung: Françoise Dupertuis / Kostüm: Valérie Artigues-Corno / Produktion: VVZ Productions, Gaumont / Produzenten:Sidonie Dumas / Mit: Jean Dujardin, Virginie Efira, Cédric Kahn, Stéphanie Papanian, César Domboy, Edmonde Franchi,Manoëlle Gaillard, Bruno Gomila

Frankreich 2016 / 99 Minuten / DF, OmU (französisch) / Cinemascope