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Österreichs Frauen-Nationalelf: Schattenspiele

Mit dem Nationalteam sind sie länger ungeschlagen als die vielgerühmten Herren, in der EM-Qualifikation ganz oben und auch im Verein nicht zu knacken. Trotzdem stehen Österreichs Top-Fußballerinnen Nadine Prohaska und Jasmin Eder im Schatten der Männer. Der WIENER hat das Licht angedreht.

Text: Rainer Pototschnig / Fotos: Oliver Topf  / Styling: Mad Lions

Es ist der Oberschenkel von Lod, der das Spiel entscheidet. Österreich gewinnt das Qualifikationsmatch mit 1:0. Durch ein Tor von Prohaska. Moment. Prohaska? Oberschenkel? War das nicht der mit dem legendären „Spitz von Izmir“ im Jahr 1977, der uns zur WM in Argentinien geschossen hat? Nach Córdoba, zu diesem noch ­legendäreren Sieg gegen die Deutschen, der ganze Generationen von Fans ­narrisch gemacht hat? Ja, war er: Herbert „Schneckerl“ Prohaska. Aber das mit dem Oberschenkel, das war Nadine Prohaska. Beim 1:0 in Israel. Für die ÖFB-Frauen. Die sind jetzt Tabellenführer in der EM-Qualifikation. Wir schreiben das Jahr 2015. Und da haben Österreichs Frauen beim Fußball nichts verloren – sie gewinnen dauernd. Nur wird da niemand narrisch.

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Als Fußballerin steht man hierzulande eben nicht im Rampenlicht. Entsprechend ungewohnt ist es für die quirlige Nadine, wenn von ihr plötzlich Fotos statt Tore geschossen werden sollen. Kritisch betrachtet sie ihre stärkste ­Waffe, die jetzt in einem hautengen ­Designerkleid steckt. „Ich will den ­Umfang meiner Oberschenkel gar nicht kennen“, sagt sie. „Manchmal hätte ich gerne längere Beine. Oder zumindest normale Beine.“ Modelmaße sind halt was anderes. Aber sie will ja nicht nach Paris, sondern in die Niederlande, zur EM-Endrunde 2017 der Frauen. Dorthin können auch kurze Beine Riesenschritte machen. Und dass ihre Beine zum Fußballspielen gemacht sind, demonstriert sie auch im Designerkleid, sehr zum Leidwesen der Stylisten. Im Fotoassistenten findet sie die freie Anspielstation – nichts Neues für Nadine, die schon im Kindesalter mit Burschen gekickt hat. Er stammt übrigens aus Córdoba. Ja, dem Córdoba. Doch für die 25-jährige Prohaska ist das nur eine Stadt wie jede andere. Und den Spitz von Izmir kennt sie nicht einmal. Das war lange vor ihrer Geburt. Alte Hüte von alten Männern. Verwandt ist sie mit dem ehemaligen Spitzenkicker nicht. „Aber ich hab Schneckerl, wenn meine Haare nass sind.“ Und das mit dem Erreichen einer Endrunde will sie ihm auch nachmachen. „Wenn wir die EM-Quali schaffen, feiere ich drei Tage durch“. Na bitte, wenigstens eine wird narrisch. Baba, Córdoba. Izmir wurscht. Jetzt wollen fußballverrückte Frauen Geschichte schreiben.

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Das will auch ihre Teamkollegin Jasmin Eder. Die mag übrigens nasse Haare, denn sie sagt: „Im Regen spielen finde ich geil.“ Weniger geil findet Jasmin Eder, dass kaum jemand über ihre ­Erfolge Bescheid weiß: „Das geht total unter. Dabei müssen wir uns nicht ­verstecken.“ Seit April 2014 ist das ­Frauen-Nationalteam ungeschlagen, volle dreizehn Spiele lang – länger als die männlichen Kollegen. Auch in der Weltrangliste stehen Österreichs ­Kickerinnen hoch wie nie. Platz 26 ist es schon, die Top Ten sollen es noch werden. Und sie wollen sich erstmals für eine EM qualifizieren, so wie die Herren. Was die können, können ­Frauen doch auch, oder? Jasmin Eder ist fest davon überzeugt. Nur eines kann sie noch nicht so gut: „Ich gebe zu, ich tu mir mit dem neuen Text der Bundeshymne ein bisschen schwer.“ Manchmal vergisst sie also sogar selbst, die großen Töchter zu besingen. „Mir ist das nicht so wichtig. Eine ­Erwähnung in der Bundeshymne ist ja nicht gleich mit mehr Wertschätzung für Frauen verbunden.“ In der Bescheidenheit zeigt sich die wahre Größe.

Wer mit Reichtum protzen will, ist im Frauenfußball sowieso fehl am Platz. Jasmin Eder studiert nicht nur, sie ­arbeitet nebenbei auch als Kinder­betreuerin in einer Schule, um über die Runden zu kommen. „In anderen Sportarten ist das nicht so. Eigentlich ist es schon eine Frechheit“, so Jasmin. „Aber wir haben uns damit abgefunden. Wir werden es wohl nicht mehr er­leben, dass sich da was ändert.“

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Wenn sie nicht mit dem Nationalteam unterwegs sind, kicken Nadine und ­Jasmin für den regierenden Frauenmeister FSK St. Pölten-Spratzern. Dort prangen keine Autohersteller oder Fluglinien auf den Trikots, sondern das Logo einer Gebäudereinigung. Immerhin: Sie haben jeden Gegner gnadenlos weggeputzt. Neun Siege in neun Spielen waren in dieser Saison Lohn der Mühen. Der nächste Meistertitel ist nur noch Formsache. Auf die Frage, ob eine Fußballerin oder eine Putzfrau hierzulande mehr verdient, sehen sich Nadine und Jasmin allerdings nur ratlos an.

Dabei spielen sie ausgerechnet mit jenen Nummern, die auf einem anderen österreichischen Rücken Millionen bedeuten. Spielmacherin Nadine Prohaska trägt die 8 aufs Feld, Kapitänin Eder die 27. Die kennt man doch – von einem gewissen David Alaba. Und für dessen Club FC Bayern waren die beiden Damen auch schon aktiv, gelegentlich hat man sich dort getroffen. Jasmin und David verstehen sich gut, waren in derselben Volksschule. Doch es gibt auch Trennendes. Alabas Marktwert liegt derzeit bei 45 Millionen Euro. „Mein Marktwert: 45 Euro“, witzelt ­Nadine Prohaska. Könnte man David ­Alaba mit dem Gehalt einer Spielerin ­einen Drink spendieren? „Ja. Einen.“ Humor ist, wenn man trotzdem spielt.

Aber warum tun sich die Frauen das an? Für die Fans? Wohl kaum. Denn das ­Interesse des „zwölften Manns“ lässt meist eher zu wünschen übrig, wenn elf Frauen auf dem Platz stehen: „In Israel ­waren drei Leute“, analysiert Prohaska. Nach ihrer Auswechslung in der letzten Spielminute blieb demnach mehr als ­genug Zeit, noch einmal nachzuzählen. „Wir gehen nicht davon aus, dass wir viele Zuschauer haben. Das spielt für mich eigentlich nicht so eine wichtige Rolle.“ Hie und da gibt es aber doch stimmungsvollere Kulissen. Einmal hat Nadine gar vor 8.000 Zusehern gespielt, in Frankreich. Das Wiener Hanappi-­Stadion wäre da noch nicht mal halb voll gewesen. Aber für die Frauen sind vierstellige Besucherzahlen schon ein echtes Highlight. Meist muss es nur der Spaß am Spiel sein, der den Kick bringt. ­„Natürlich würden wir uns freuen, wenn mehr Leute kommen“, sagt Jasmin Eder. In Österreich geht da definitiv noch was. Denn auch beim letzten Ligaspiel von St. Pölten im November verirrten sich nur ein paar Dutzend ins Stadion – trotz sommerlicher Temperaturen.

Styling: Kleid von​ Victoria ​B​eckham by ​Amicis, Schuhe von​ ​G​uess by ​H​umanic, Jacke​ von​ SO LCH LD by Martina Rastinger, Jacke​ ​von B​almain by ​A​micis, Hose von​ ​S​portmax b​ei​ ​Peek ​&​ Cloppenburg, S​tiefel​etten by ​H​umanic, Schmuck: Cadenzza „Classic Statement“ Armspange, Armreif von Crystallized, Cadenzza „Kzo Mini Tiger“ Ohrstecker von Kenzo

Beim letzten Champions-­League-Match gegen Verona hat es dafür richtig geregnet. Trotzdem strömten an ­diesem nasskalten Oktoberabend auch einige hundert Zuseher ins Stadion. Schließlich ist es die einzige Chance, die Champions League in Österreich live zu erleben. Denn die Meisterkicker aus Salzburg und Wien durften ja ­wieder nicht mitspielen, die weiblichen Champions aus Niederösterreich hingegen schon. Für Jasmin Eder hätte das Klima an diesem Abend eigentlich ­perfekt gepasst, Misstöne gab es ­trotzdem wieder. „Hast du die Frauen- Champions-League-Hymne mal gehört? Da schläft man fast ein.“ Auch Nadine ­Prohaska war irritiert. „Du hast kurz das Gefühl, irgendwas stimmt da nicht, die spielen was komplett Falsches ein.“ Am Ende stimmt noch etwas nicht: Die Damen mit der gewinnenden Art verlieren hauchdünn. Und das ­Remis beim Rückspiel reicht nicht mehr zum Aufstieg. Doch wenn die Champions League im nächsten Jahr wieder ruft, sind sie bereit. „Da wollen wir eine Runde weiterkommen“, gibt sich ­Nadine Prohaska kämpferisch.

Auch ein Frauenteam ist eben eine echte Kampfmannschaft. Auf dem Platz schenken sich die Damen nichts. Und Geschenke werden auch nicht ange­nommen. „Wenn eine in den Strafraum geht und gefoult wird, läuft die einfach weiter“, erzählt Jasmin Eder. „Du denkst dir, lass dich doch fallen, da ist ein Elfer drin.“ Aber eine Frau spielt halt nicht wie ein Mädchen, im Gegensatz zu ­anderen. „Dann schaust du dir ein ­Männerspiel an, und bei der leichtesten Berührung fällt da einer zusammen und wälzt sich drei Minuten. Das nervt. Also, ich würde mich schämen, wenn ich das mache.“ Bei den Frauen geht es schließlich um die Ehre. „Na ja, es gibt schon auch ein paar Krätzn“, ätzt Eder.

Nur Krätzn oder stimmt das Klischee, dass die meisten Fußballerinnen rustikale Kampflesben sind? „Da hat sich viel geändert. Aber der Umgang mit sexueller Orientierung ist bei uns generell offener als im Männerfußball, weil wir ja nicht so im Fokus stehen“, stellt ­Jasmin Eder fest. Und nicht alle sind Lesben. Manche mögen eben Frauen, manche Männer, viele mögen beides. Tolerant sollte man halt sein. „Ich ­wurde schon oft angesprochen, ob ich Angst unter der Dusche habe. Ich finde das dumm. Es ist ja nicht so, dass man sich da unwohl fühlt, nur weil man mal angegraben wird.“ In anderen Ländern ist Fußball bei Frauen mittlerweile sehr populär, vor allem in den USA. Und dort gibt es immer mehr Fußballe­rinnen, die weniger wie Amazonen und mehr wie Models aussehen. Und ganz bewusst mit Männer­fantasien spielen.

Styling: Bluse von ​Matthew Williamson by ​Popp & ​K​retschmer, Kleid von Givenchy by Amicis, Schmuck: Ohrstecker von Cadenzza

„Der Frauenfußball hat sich auch ­optisch verbessert“, findet Eder. Über ihre eigene Optik sagt die attraktive Galions­figur von St. Pölten: „Mir ist ­bewusst, dass ich kein Unmensch bin. Ich definiere mich zwar nicht über mein Aussehen, aber es ist mir wichtig.“ Genau wie Nadine trägt sie beim Spiel Make-up. Als Frau Fußball zu spielen darf auch bei uns sexy sein. Heute sehen unsere Top-Kickerinnen jedenfalls aus wie echte Ballköniginnen. Und ­genießen es, endlich einmal im Rampenlicht zu stehen. Trotz einiger spielerischer Einlagen sind auch die teuren Designer­kleider unversehrt geblieben. Die Stylisten können aufatmen.

Auch Nadine und Jasmin dürfen sich jetzt eine Verschnaufpause gönnen. Bis März ist spielfrei. Es wird wohl noch stiller um sie werden. Jasmin Eder übt sich wieder in Bescheidenheit: „Mein größter Luxus ist Zeit.“ Davon haben sie jetzt wieder mehr. Trotzdem wird ihnen der Fußball fehlen: „Ein Leben ohne Fußball ist für mich unvorstellbar“, sagt Nadine Prohaska. Und sie will noch einige Jahre spielen, am ­liebsten in Spanien. Auf die Frage, wo sie sich in zehn Jahren sieht, ­antwortet sie: „Da bin ich Mama.“

Die Chancen stehen also gut, dass noch jemand namens Prohaska ein ganz ­besonderes Tor für Österreich schießen wird. Vielleicht zur Abwechslung ­einmal mit der Ferse. Hauptsache, es wird dann wieder wer narrisch.