KULTUR

Ikonen – die modernen Götter

An ihrer Langlebigkeit sollt ihr sie erkennen. Die Popkultur kann beim Versuch, sie am Fließband zu produzieren, nur scheitern. Denn wahre Ikonen werden zeitlos, indem sie ihre Zeit definieren.

Text: Manfred Sax

Er kam von oben, aus dem Äther, in tiefster Nacht. Ich war auf Puber­testosteron, also schlaflos, daher Radio auf Mittelwelle zweinullacht. Ich wusste jahrelang nicht, wie der hieß, der da sang und so ganz anders als die anderen klang. Aber ein paar Worte blieben kleben – „here am I, sitting in my tincan“ zum Beispiel. Sie kleben noch immer, „here am I“ zu flüstern genügt, schon spielt das Lied und im Kopf flimmern legendäre Bilder. Die Mondlandung, der große Schritt für die Menschheit, der hüpfende Astronaut mit der Flagge in der Hand. Und natürlich er, der Untermieter (Lodger) meines Herzens. Ikonische Momente.

LOS ANGELES. Musician David Bowie performs onstage during his „Ziggy Stardust“ era in 1973 in Los Angeles, California. (Photo by Richard Creamer/Michael Ochs Archives/Getty Images)

Es war der 20. Juli 1969, das Lied war neun Tage zuvor erschienen, handelte aber auch vom Unternehmen Mond, von einem Astronauten außer Kontrolle. Vier Jahre später tauchte der Sänger, der meinem Radar entschwunden war – die Pubertät, Sie wissen – wieder auf. Er war noch immer derselbe, wenn auch nicht der Gleiche, wie ich später herausfand. Er nannte sich jetzt Aladdin Sane. Aha, der gesunde Aladdin, dachte der angehende Anglophile in mir. Es dauerte ein wenig, bis ich seine Wortspiele verstand, dass er eigentlich „A Lad Insane“ andeutete, aber für einen geisteskranken Burschen kam er verdammt erfrischend rüber. Das Bild auf dem Cover des Albums zeigte einen jungen, nicht ganz irdisch wirkenden Mann mit hennarotem Haar, einem roten Blitz mit blauem Rand im Gesicht und etwas Goldstaub auf der Stirn. Eine Ikone, nämlich eine echte. Sehr wohl eine moderne Pop-Ikone, aber im Stil der Originale, die mit Aufkommen des Christentums entstanden: ein Heiligenbild mit entsprechenden Symbolismen. Das Blau – die Farbe menschlichen Lebens – nur als Randerscheinung; das dominante Rot, das für göttliches Dasein steht; schließlich das Gold, das in den Himmel weist. Dort ist er heute, und belgische Astronomen haben nach seinem Tod per linearer Verbindung von sieben Sternen – Sigma Librae, Spica, Alpha Virginis, Zeta Centauri, SAA 204 132 und Beta Sigma Octantis Trianguli Australis – diesen ikonischen Blitz ins Universum gestanzt; kraft seines Schaffens folgerichtig in der Nachbarschaft des Mars. So geht Unsterblichkeit.

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David Bowie auf einem Konzert in Earl's Court London während seiner World Tour 1978. Foto: (c) Evening Standard / Getty Images

Er ist meine Ikone, seinen Namen muss ich nicht nennen, den kennt jeder, die Erwähnung des Blitzes genügt. So ist das mit Ikonen, auch mit modernen. Bilder werden ikonisch, wenn sie ihr Charisma, ihre Power, über ihre Epoche hinweg bewahren, vielleicht sogar verstärken. Charlie Chaplin, der stumme Tramp mit Stock und Hut, der durch das 20. Jahrhundert der Zwischenkriegszeit wandert. Mahatma Gandhi in selbstgewobenem Leinen, das Wahrzeichen des befreiten Indien. Die Zunge von Albert Einstein, der das menschliche Wissen revolutionierte, mit der schönsten, weil einfachsten aller wissenschaftlichen Formeln, geboren aus seinem Verständnis, dass ein Phänomen nicht der Erklärung wert ist, wenn es nicht einfach erklärt werden kann.

Nach dem Weltkrieg mehrten sich die Bilder. Da war Marilyn Monroe im weißen Kleid über dem Gebläse, Sexsymbol der 50er- Jahre, die früh starb, auch das Bild wurde nie alt. Twiggy, die Galionsfigur der swingenden Sixties. Die Sängerin Madonna im konischen BH von Gaultier, Symbol aller Selfmade Material Girls. Jedes Jahrzehnt hat seine ikonischen, zu Bildern gewordenen Momente, welche die Epoche ins Zeitlose erstarren lassen. Im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts war es Lady Diana Spencer, Exgattin des britischen Thronfolgers, die 1997 einen Sommer lang tanzte, aber hey, immerhin im Weißen Haus zu Washington, am Arm von John Travolta, jenem Travolta, der eigentlich schon tot weil vergessen war, den aber Quentin Tarantino 1994 wiederauferstehen ließ, indem er ihn mit Uma Thurman auf den Tanzboden schickte. Das war ein ikonischer Tanz, auch Szenen oder Abläufe können ikonisch sein. Und mit den 90er-Jahren muss diese Aufzählung auch enden, das aktuelle Jahrtausend ist noch zu jung, um über die Ikonenhaftigkeit seiner schillernden Erscheinungen zu befinden. Hat Lady Gaga das Zeug zur Ikone? Das wissen wir vielleicht in den 2020er-Jahren.

Obige Unvergesslichkeiten haben einen Sammelnamen, sie sind Pop-Ikonen, Pop wie populär. Menschen, deren Dasein als zum Bild gefrorener Moment die entsprechende Ära bzw. Gesellschaft definierte. Sie konnten nichts dafür, dass es ausgerechnet ein bestimmtes Bild war, das sie unsterblich machte. Das lag an den Betrachtern, an deren Zahl, an der Qualität und Permanenz ihrer Hinwendung. Wenn eine Generation einer anderen wich, das Bild aber nie in Vergessenheit geriet: Das ist es, was eine Ikone zur Ikone macht; wenn eine Zeit zur Zeitlosigkeit wird.

Artwork: Paula Brandtner

Pop-Ikonen kommen aus einer bestimmten Kultur einer bestimmten historischen Epoche eines bestimmten Landes. Ihre ikonische Qualität wird offenbar, wenn sie diese Dimensionen überschreiten und global werden. Mozart wird ebenso als Pop-Ikone gehandelt wie der Freimaurer Benjamin Franklin, einer der Gründungsväter der USA und als „der erste Amerikaner“ unsterblich gemacht, ein auf Dollarnoten gedruckter ideeller Wert. Allerdings sind Pop-Ikonen zunehmend inflationär, also entwertend unterwegs. Befruchtet von zeitgenössischen Massenmedien und Infostreams wird das „Prädikat Pop-Ikone“ an Menschen von ABBA bis (Frank) Zappa geheftet, es läuft Gefahr, an sich selbst zu ersticken. Es gibt Teenager-Idole wie die eigens für den japanischen Nachwuchs etablierten Kawai-Ko-Chans, junge Künstler mit immer einem schiefen Zahn im Gebiss, die den Kindern zeigen, wie Pubertät geht. Es gibt animierte Ikonen von Mickey Mouse bis Homer ­Simpson, es gibt Filmfiguren von Sherlock Holmes bis Darth Vader, denen Ikonenhaftigkeit bescheinigt wird. Es gibt sogar „Ikonen des Bösen“ wie O. J. Simpson und den kürzlich verstorbenen Charles Manson, die als Pop-Ikonen gehandelt werden. Es gibt ein „too much of a muchness“, wie der Brite sagt. „Das Wort Ikone“, hieß es unlängst in der Liverpool Daily Post, „wird heute in den Dienst gezwungen, um praktisch alles zu beschreiben.“ Es macht also Sinn, ihm an die Wurzel zu gehen.

Die älteste Referenz ist im Alten Testament zu finden, und Rembrandt van Rijn hat daraus 1659 ein ikonisches Gemälde gemacht, das „Moses zerschmettert die Gesetzestafeln“ heißt. Das bibelhistorische Ereignis dazu ist an sich ein anti-ikonisches – eine Ikonophobie; eine Bildfeindlichkeit. Moses hatte sein Volk verlassen, um sich am Berg Sinai von Gott – Dornenbusch und so weiter – die zehn Gebote aufbrummen zu lassen. Als er wiederkehrte, war im Lager des Volkes die Hölle los, man hatte ein goldenes Kalb gebastelt und es angebetet, es wurde getanzt und getrunken und gesext, kurz: Das Volk hatte in Moses´ Abwesenheit eine grandiose Zeit, es war die Mutter aller Partys, und Moses war furios. Für ihn war es Idolatrie, ein Götzendienst, das Anbeten falscher Gottheiten – also das Letzte. Der jüdische Gott – wie später auch der Gott des Islam – war etwas, das ist, das höchste Sein und als solches omnipotent. Er war überall und durfte nicht auf ein Bild reduziert werden, das machten nur die Heiden. Dies war lange Zeit das verpflichtende Narrativ.

Artwork: Paula Brandtner

Mit Aufkommen des Christentums änderte sich das. Jesus selbst stand ganz im Lager von Moses. Und noch sein Apostel Johannes war sarkastisch unterwegs, als einer seiner Schüler ein Bild von ihm malte: „Du hast die tote Ähnlichkeit eines Toten gemalt“, wurde er zitiert. Mit dem künstlerisch talentierten Griechen Lukas, dem einen Evangelisten des Neuen Testaments, der Jesus nie erlebte, änderte sich der Zeitgeist. Er wird heute als erster Ikonenmaler gehandelt. Christenführer erkannten auch, dass Heiligenbilder im Volk enorm populär waren. Und populär war gut. Die frühen Christen erwiesen sich als praktisch. Verehrt doch nur, sagten sie, diesmal aber unseren Gott. Ab dem dritten Jahrhundert gerieten solche Bilder vermehrt in Umlauf und wurden Ikonen genannt. Sie stellten Jesus dar, alsbald geschmückt mit Symbolen heidnischer Götter (die Gloriole des ägyptischen Gottes Helios), auf dass deren göttlicher Glanz auf ihn falle. Maria mit Kind wurde Ikone, aber auch Engel, symbolisch mit Flügeln behaftet, um sie als Botschafter auszuweisen. (Meine Ikone, der Sänger, hat sich übrigens einmal als so ein Engel gemalt.)

Die Höhepunkte darauf: Mit Bekehrung des römischen Kaisers Konstantin zum Christentum im 4. Jahrhundert kam ein großer Aufschwung. Als sich die Christen endlich nicht mehr verfolgt sahen, begannen sie, Ikonen ihrer Heiligen zu schaffen. Anti-Phasen gab es. Mit den ersten militärischen Erfolgen der Islamisten, die Heiligenbilder habituell zerstörten, gab es auch unter Christenführern wiederholt Bedenken. Machen uns Bilder von Heiligen in Wahrheit schwach? Im Byzanz des 8. und 9. Jahrhunderts kam es denn auch wiederholt zu Wellen von Ikonoklasmus – dem Zerstören von Ikonen. Das Thema „Ikone oder nicht Ikone“ zog sich durch die Jahrhunderte. Aber am Ende triumphierte bei diesen Bildern, die ideelle Werte verbreiteten, der banale Geschäftsgeist: Diese Bilder waren lukrativ. Und ab dem 15. Jahrhundert konnten sich dank Aufschwung der Drucktechnik auch arme Leute Prints der von alten Meistern gefertigten Ikonen leisten. Es wurde Business.

Heute ist Jesus die berühmteste Ikone der westlichen Welt. Und ja, 2.000 Jahre mehr oder weniger unbeschadet zu überleben, ist imposant. Aber die ideellen Werte, die er transportiert, verblichen bei mir im Vergleich zu meiner Ikone, dem Sänger. Er war mein Prophet, er hatte die praktikableren Weisheiten für meine Zeit. Es lief was in meiner Gemeinde, die ihn zur Ikone hatte. Es brauchte nur ein Girl mit hennarotem Haar, das dich mit „here you are, sitting in your tincan“ anredete, um die richtige Antwort aus dem Evangelium meiner Ikone zu finden, etwa „our love comes from above, let´s make love“, und der Rest war „wam bam, thank you ma’m“. Das konnte passieren. Irgendwann gibt es einen Tag, der dich zum Helden macht. Dieser Satz ist selbstverständlich auch von ihm, und er hatte recht. Es zahlt sich aus, zu wissen, wen man zu seiner Ikone macht.