KULTUR

Lustvoll hassen

Sarah Wetzlmayr

Markus Lust, Chefredakteur von VICE Österreich beschreibt in seinem Buch „111 Gründe Wien zu hassen“, wieso Selbsthass und Selbstüberschätzung zu den wichtigsten Bestandteilen des Wiener Blutkreislaufes zählen.

Man sagt ja, Hass und Liebe lägen extrem nah beieinander – wie siehst du das?

Auf jeden Fall. Als ich zum Beispiel mit dem Rauchen aufgehört habe, war mir am wichtigsten, nicht zum militanten Nichtraucher zu werden, weil man so am schnellsten wieder reinkippt. Wenn man etwas hinter sich lassen will, muss es einem egal werden. Das gilt auch bei Beziehungen und Städten. Ich glaube, die Wiener wissen das eigentlich, tun sich aber mit der Umsetzung schwer.

Ist Wien eine Stadt, die man entweder hassen oder lieben muss?

Wien ist vor allem eine Stadt, die zuerst mal jemand öffentlich hassen muss, damit die anderen sie wieder lieben können. Ich habe nie so viel glühende Wien-Verehrung in den Comments gelesen, wie nach dem VICE-Artikel „Gründe, warum Wien die beschissenste Stadt der Welt ist“, der ja auch der Ausgangspunkt für das Buch war. Ich fand die Aufregung damals irgendwie lustig, weil Wiener sonst ja nie gut über Wien reden – bis ihnen so ein Zugereister ihr Wien madig redet. Wenn der Slogan der Stadt wirklich das Lebensgefühl der Wiener treffen soll, müsste es nicht „Wien ist anders“, sondern „Wien: Muss es auch geben“ heißen.

Hat dich ein akuter Anfall von Hass dazu bewogen das Buch zu schreiben?

Mit dem Bücher schreiben ist es wie mit ordnungsgemäß versperrten Waffen: Beides eignet sich nicht wirklich gut für akute Anfälle. Bis man seine Waffe aus dem Safe geholt und geladen hat, ist der Affekt meistens schon wieder vorbei oder der Einbrecher längst geflohen – was auch die Diskussion über Waffen zur Selbstverteidigung so absurd macht, aber egal. Mit dem Schreiben ist es ähnlich: Zwischen dem ersten in die Tasten hauen und dem fertigen Buch vergehen schon mal gern zehn Monate. Wenn man ein Ventil für akute Zustände braucht, bietet sich Facebook wahrscheinlich besser an.

Ist Tom Turbo einer der 111 Hass-Gründe?

Nichts gegen Tom Turbo! Tom Turbo ist das Nächstbeste zu Sherlock Holmes und Transformers, das wir in Österreich zustande bringen. Alleine, dass so etwas entgegen aller Logik produziert und ausgestrahlt und dann auch noch jahrelnag nicht abgesetzt werden kann, zeigt, wie konsequent wir in Wien der Wirklichkeit trotzen. Es hat außerdem etwas Verwegenes, ausgerechnet in Wien ein Fahrrad zum Helden einer Serie zu machen. Ich finde, Tom Turbo kann man gar nicht genug Statuen, Parks und Kinofilme widmen.

Welche ist für dich die herausstechendste und hassenswerteste Eigenschaft der Wiener und Wienerinnen?

Das Besondere an der Wiener Mentalität ist glaube ich dieser ganz spezielle Eigenschaftenmix aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn – dieser Cocktail aus Selbsthass und Selbstüberschätzung, der uns in die Wirtshäuser treibt und diese spezifische Art zu reden, die uns in der Öffentlichkeit immer wie Toni Polster klingen lässt. Aber auch die Knausrigkeit und der Alltagsrassismus und natürlich der Grant stehen hoch im Kurs.

Viele meinen, Wien wäre im Vergleich zu anderen österreichischen Städten noch das geringere Übel. Siehst du das auch so?

Definitiv. Graz hat nette Grätzl, die aber nach zwei Querstraßen enden; Linz ist eine Wildwestkulisse, die nur aus der Landstraße vom Theater Phoenix bis zum Ars Electronica besteht; und Salzburg ist so versnobbt, dass die Punks am Bahnhof sogar Bierdosen ablehnen, wenn es nicht ihre Marke ist. Wien hat zumindest alle diese Eigenschaften in einer Stadt vereint – und noch ein paar gute und schlechte mehr.

„111 Gründe Wien zu hassen“ ist im Schwarzkopf Verlag erschienen.