AKUT

Willkommen in der neuen horizontalen Welt

Von Teabagging über Scherensex bis hin zu Pegging: Die aktuellen Sextrends sind noch immer Sex, wenn auch nicht, wie wir ihn bisher kannten.

Text und Foto: Manfred Sax

Hey Jungs“, flötete sie netzwerkmäßig, „was gibt’s Neues im Sex? Sind neue Positionen im Umlauf, von denen ich wissen sollte? War vier Jahre in einer Beziehung, bin daher praktisch Jungfrau.“ Tja, da sieht man, wie schnell es gehen kann, selbst für eine Social Media Personality, wie sie eine ist, früher hätte man sie It-Girl genannt, immer bei den besten Partys dabei, immer en vogue. Aber kaum gibst du dir etwas zweisame Auszeit, bist du weg vom horizontalen Fenster und fühlst dich wie ein sexueller Analphabet. Andererseits: Was soll in diesen Zeiten der Sparsamkeit und Entbehrung schon viel Neues passieren, bekanntlich haben wir nur noch dreimal pro Monat Sex. (1) Nur ist das ein Trugschluss, wie ihr die Trolle aus dem Kreis ihrer 3.000 besten virtuellen Freunde versichern, es tut sich ungeheuer was, wie wär’s zum Beispiel mit etwas Pegging? Klingt interessant, und ein paar Recherchestunden zum Stichwort Sextrends bestätigen: Die horizontale Konjunktur vibriert sozusagen, wenn auch mit seltsamem Drift. Es kommt alles ein wenig wie Reaktionen zur Kontaktanzeige „Frau mit Ermächtigungstendenzen sucht naturdevoten Mann“ daher. Es ist noch immer Sex, nur nicht so, wie wir ihn kennen. Und immerhin: Es ist noch immer volles Programm – vom Vorspiel bis zu den Nachwehen. Let’s go.

Teebeuteln (engl.: Teabagging). Es hat mit Kultur zu tun, beteuerte unlängst ein junger Verwandter, als er mich anlässlich eines Italientrips zu einem Abstecher nach Florenz überredete. Das Subjekt seiner kulturellen Begierde stand am Hauptplatz: die Statue von Herkules, mit dem Kopf des besiegten Räubers Cacus unweit seines Gemächts. Der junge Mann knipste ein paar Bilder und twitterte sie seinen Freunden. Womit sein kultureller Hunger gestillt war. Der ultimative Teabagging Shot, erklärte er.

In seinem College sei Teabagging ein Party-Gag, du näherst dich einem irgendwo arglos sitzenden Freund von hinten, ziehst deine Hose runter und klopfst ihm auf die Schulter. Er dreht sich um und, hey!, schon ist sein Gesicht dort, wo deine Eier sind. Du hast den Freund teegebeutelt! Möglich, dass sich die Boys damit auf das vorbereiten, was da laut gewissenhaftem Pornostudium kommen soll. Teabagging, das Versenken der Hoden im Mund einer Gastgeberin, ist big in Pornoland, und das Dumme an Pornoclips ist, dass sie nie zeigen, was unter anderem möglich ist: Die Gastgeberin könnte zum Beispiel zubeißen. Sie könnte dich kastrieren. Teabagging ist Vorteil Frau, sie ist in einer Position der Macht. Aber gut, erklär das einmal einem College-Boy.

Scissor me timbers. Kenner von Stevensons „Schatzinsel“ wissen, dass der archetypische Pirat Long John Silver gern „shiver me timbers“ (= erzittere mein Gebälk) fluchte, wenn der Seegang für das Schiff etwas heikel wurde. Für Fans der TV-Serie „South Park“ wiederum ist der ekstatische Schrei „scissor me timbers“ Legende, weil der von Herbert zu Janet geschlechtsumgewandelte Mister Garrison damit sein erstes lesbisches Abenteuer würdigte. (2) Das ist auch schon wieder über eine Dekade her, aber „lesbian scissoring“, das Aneinanderreiben der Geschlechtsteile mit wie zwei Scheren ineinander verspießten Beinen, ist heute das von Frauen meistbesuchte Genre in Pornoland. Und als Technik für Männer absolut machbar. Man muss ihr nur weismachen, dass dieses winzige, aus dem Schamhaar hervorlugende Ding in Wahrheit eine riesige Klitoris ist.

Pegging. „An alle mutigen Männer und ermächtigten Frauen da draußen: Dieser Akt ist was für euch“, ermuntert ein Sexratgeber im Netzwerk. Ja, mit Pegging wird die Sache nun endlich penetrant, nur halt mit Rollentausch. Die Frau schnallt sich einen Strap-on um und greift in den Tiegel mit dem Gleitmittel, zumindest sollte der Mann darauf beharren, denn nun geht es ans eingemacht Anale. Erstaunlicherweise wird von Knigges immer nur die Wichtigkeit des Gleitmittels betont, nie aber die Gewöhnungsbedürftigkeit des jungfräulichen Schließmuskels, der etwas Zeit braucht, bis er entspannt. Auch äußern sich Frauen generell wesentlich enthusiastischer über Pegging als der entsprechend beglückte Mann. Aber wie schon Oscar Wilde sagte: Beim Sex geht es nie um Sex, es geht immer um Macht. „Pegging?“, lacht meine beste Freundin, die Dominatrix, ins Telefon. „Besser als jeder normale Sex. Es funzt, wenn du mal austeilst anstatt immer nur einzustecken.“ So gesehen ist Pegging der männliche Weg, ein Frauenversteher zu werden.

Marinieren. Nach all den Spielereien, könnte man meinen, wär’s nun mal Zeit, den Penis in der Vagina zu parken. Tatsächlich empfiehlt der Trend genau das, wenn auch nicht mehr. „Marinating“ ist angesagt, eine solide Penetration mit stolz geschwelltem Glied – und in der Folge bewegungslosem Verharren. Dieses Marinieren kam dank einer Szene der Amazon-Serie „Alpha House“ ins Gerede, als ein Mormonenpärchen solcherart Sex hatte, ohne Sex zu haben. Müßig jetzt, sich Gedanken zu machen, ob Sex ohne Sex nun tatsächlich noch Sex ist. Marinieren ist vielmehr als Vorstufe zum nächsten Schritt zu sehen.

Karezza. Tja, und somit landen wir also bei einem alten Bekannten – dem Koitus reservatus, einem Bumsen unter bewusstem Verzicht auf orgasmische Gratifikation. Weil nun mal der Weg das Ziel ist, wie es so nett heißt. Und zugegeben, tatsächlich ist es ja so, dass der Orgasmus heutzutage total überbewertet wird. Dennoch empfiehlt es sich, all die hier angegebenen Praktiken indiskret zu dokumentieren. Weil dir sonst niemand glaubt, wie schräg du dieser Tage drauf sein kannst. Zum Glück offeriert Webwelt heute das ideale einschlägige Tool.

I Just Made Love. Zu deutsch: Ich hatte gerade Sex (egal, ob mehr oder weniger). (3) Diese Webseite erlaubt dir nicht nur, all deine Eroberungen zu registrieren, sondern zeigt dir dank 60.000+ Einträgen anderer Kurzweiler, dass der Rest der Welt auch nicht anders tickt. Das beruhigt, wenn auch nicht mehr.

(1) Studie der Kondomfirma Durex, auf Basis der sinkenden Verkaufszahlen.

(2) South Park: youtu.be/ai1lmapwkgI

(3) ijustmadelove.com