Jazzlegende: Mike Stern im Gespräch

Er war Gitarrist bei Miles Davis, Blood Sweat & Tears, Jaco Pastorius und vielen mehr – und seine Solokarriere dauert schon seit 1983 an. Markus Brandstetter traf Gitarrenlegende Mike Stern zum Gespräch.

Er hat in der Band von Miles Davis gespielt, war bei Blood Sweat & Tears, tourte mit Billy Cobham, Jaco Pastorius und hat auch sonst mit Gott und der Welt musiziert. Selbst gilt er längst als Legende, und wenn man Mike Stern live sieht, dann muss man nur in sein Gesicht schauen, um den Motor seiner langlebigen Karriere zu erkennen: die ungebrochene Freude an der Musik, am Spielen, Experimentieren. Auch bei unserem Gespräch bestätigt sich dieser Eindruck: Stern liebt was er tut, erzählt, dass er täglich übt und sogar wieder Stunden nehmen will. Er ist das, was man im alten Jazzer-Lingus als „cool cat“ bezeichnen würde, einer, der alles gesehen hat und der nicht im Traum daran denken würde, nach der Pfeife irgendwelcher selbsternannten Jazzpolizisten zu tanzen. Wenn er nicht gerade nicht auf Tour ist, spielt er einmal die Woche in der New Yorker 55 Bar oder geht gemeinsam mit Freunden ins Studio, sei es mit Steve Vai, Eric Johnson oder Me’Shell Ndegeocello. Und weil Stern diesen Enthusiasmus nicht nur beim Spielen, sondern auch beim Erzählen hat, wird meine Übersetzung des Gesprächs nicht darum herum kommen, so manchen Slang-Anglizismus aus ästhetischen Zwecken stehen zu lassen. It was a ball, man.

Mike Stern im Gespräch mit Markus Brandstetter.

Tearin‘ that one up.

Mike, lass uns mit deinem aktuellen Album „All Over The Place“ beginnen. Es gibt bei deinen Veröffentlichungen seit gut anderthalb Dekaden eine Tendenz: jedesmal denkt man, du hast die Richtung, die du seit „Voices“ eingeschlagen hast, perfektionieren können – und mit jedem Album legst du noch ein Stück drauf.

Freut mich wirklich, dass es dir gefällt. Ich glaube, dass die Idee der letzten drei Alben generell war, einfach Songs zu machen, auf denen dann gewisse Leute, mit denen ich gerne spielen würde oder gerne spiele, dabei sind. Eben wer auch immer gut auf den jeweiligen Song passen würde – auf „Who Let The Cats Out“ war das zum Beispiel Me’Shell Ndegeocello, von der ich ein großer Fan bin. Ich hatte nie mir ihr gespielt, wir hatten aber gemeinsame Bekannte. Auf dem letzten Album waren das noch mehr Leute, ich hatte schon beim Schreiben gewisse Musiker im Kopf, ohne jetzt zu glauben, dass ich sie alle auf die Platte kriegen würde. Das war jetzt keine bewusste Entscheidung, ich habe mir einfach beim Schreiben gedacht „ok, das wäre großartig für Dave Holland, Al Foster oder Kenny Garrett. Und das hier wäre perfekt für Richard Bona, he would tear that one up“. Und dann dachte ich, ich schau mal ob ich alle zusammenbringe und wie das funktioniert, wie das überhaupt zusammenpasst – aber ich habe schon bei den letzten Alben gemerkt, dass es das einfach tut. Dann musst du auch an die Abfolge denken, damit dass nicht zu verrückt wird. Es war ein ambitioneirtes Projekt, all diese Leute zusammenzutrommeln. Dave Holland, Al Foster und ich haben schon zusammengearbeitet, bei einem Projekt mit Joe Henderson war das damals, und das war . Ich hab mal ein altes Tape gehört von uns, Joe spielte im „Blue Note“, ich war so nervös, aber wir haben’s gekillt, es war super. Und so hab ich einen Song für Dave und Al geschrieben.

2001 hast du „Voices“ veröffentlicht, das erste Album, für das du diese spezielle Art von Vocals dazugenommen hast – etwas, das sich dann durch deine Folgealben gezogen hat. War „Voices“ für dich ein ein Meilenstein?

Für mich war es das ganz sicher. Es war etwas, das ich vielleicht schon früher hätte machen sollen, weil immer wieder Sänger auf mich zukamen und meinten, sie hätten Gesangslinien geschrieben, die zu mir passen würden. Manche Songs, die ich gemacht habe, entstanden wie Singer/Songwriter-Musik: ich hatte die Chords, die Basslinie und schrieb dann die Melodie dazu, als wären es Gesangslinien. Vielleicht habe ich noch ein paar Extranoten gemacht, die nicht leicht zu singen gewesen wären, sonst waren es aber immer sehr singbare Stücke. Ich traf dann Richard Bona, der mich wirklich gepusht hat und meinte „Komm, du musst Vocals dazutun“. „Glaubst du echt, das funktioniert“, entgegnete ich, aber er meinte nur „Ganz, ganz sicher. Komm ich zeig dir’s“ und sang mir ein Stück A Capella. He just took it home, und er hat mir das ganz ohne Instrumente gezeigt, viele Stimmen übereinander und dann meinte er nur: „Siehst du?“ (lacht). Das war phänomenal, Richard ist unglaublich. Es klang einfach gut, eine Stimme, die der Melodie folgt, statt dem Saxophon oder zusätzlich zum Sax. Meistens hat das Sax dann die Gesangsmelodie noch gedoppelt, weil Horns für mich wie Stimmen klingen, und ich mochte das Zusammenspiel. Und manchmal schreibe ich dann auch Stücke, die einfach nicht für Gesang gemacht sind, wie „Chromosome“ – aber die meisten waren singbar, und das war die Idee für „Voices“. Es war viel Spaß, aber auch beängstigend.

Passiert es auch, dass du zuerst mit dem Gesang beginnst?

Meistens kommt die Gitarre zuerst, aber manchmal kommt auch das Singen zuerst. Manchmal spiele ich einfach einen Akkord und singe darüber. (Singt). Fast, wie das Singer/Songwriter machen. Als ich jünger war, hab ich viel Rock, Blues und Motown gespielt – ich bin in Washington DC aufgewachsen, da gab’s viel Motown – und da war viel Gesang. Ich wollte früher immer in Rockbands singen, war aber nie ein Sänger. Ich habe aber das immer in meinem Gitarrespiel drinnen, dieses Gesangshafte. Stücke wie „Moodswings“ sind aber unsingbar – obwohl letztens Lalah Hathaway, Donny Hathaways Tochter kam und meinte, sie könne das singen. Ich hab sie letztens gemeinsam mit Diane Reeves & Friends gehört und sie danach getroffen. Sie meinte „ich kann das singen“ und ich nur „Shit, meinst du?“ (lacht). Das würde ich gern mal hören.

These Times war dann ja quasi der direkte Nachfolger zu „Voices“ .

Ja, absolut. Das war ein direkter Nachfolger, ganz sicher. Auch, weil es fast die selbe Besetzung ist.

Und dann hast du das Fass erst so richtig aufgemacht.

Ja, da dachte ich mir dann, jetzt mach ich das ganze mit noch mehr Leuten. „Voices“ hat mich einfach offen gemacht für Neues, weil’s ein Einschnitt war. Es war ganz natürlich, und es fühlte sich nach einem großen Schritt an. Ab da wurde ich noch ambitionierter und rief viele Leute an, ob sie nicht itspielen wollen. Sie waren alle cool damit. Vorallem bei „Big Neighborhood“, da hatte ich Leute wie Eric Johnson dabei. Eric und ich spielen bald ein paar Gigs zusammen, im Blue Note – das wird interessant. Er ist ein großartiger Musiker.

Auf der nächsten Seite: Mike Stern erzählt über seine Zeit mit Miles Davis, Jaco Pastorius, Steve Vai u.v.m.