Daimler, BYD und Denza bringen Strom-B-Klasse nach China: Elektrischer Entwicklungshelfer

Von wegen Pampers-Bomber und Rentnerauto. Wer zum ersten Mal die B-Klasse von Frank Schweickhardt zu sehen bekommt, der wähnt sich im falschen Film. Denn mit der braven Familienkutsche hat sein futuristischer Raumkreuzer namens Denza nicht viel mehr gemein als ein Jumbo-Jet mit dem Space Shuttle.

Dabei stammen beide Autos nicht nur aus der gleichen Zeit, sondern auch aus der gleichen Firma – nur dass das eine in Raststatt gebaut wird und das andere in Pingshan zwei Stunden nordöstlich von Hongkong.

Vetter aus Stuttgart

Na gut, so eine ganz echte B-Klasse ist Schweickhardts Dienstwagen nicht. Und an der Zufahrt zu der riesigen Fabrik sucht man vergebens nach dem Mercedes-Stern. Doch zumindest der Gen-Pool ist identisch. Denn Schweickhardt ist Entwicklungschef bei Denza, einem 300 Millionen Euro schweren Joint-Venture von Daimler und BYD, und hat die aktuelle B-Klasse zu einem elektrischen Entwicklungshelfer umgerüstet. Mit futuristischem Design und zukunftsweisender Technik soll sie die Chinesen elektrisieren und dem Akku-Auto im Land des Lächelns zum so lange versprochenen Durchbruch verhelfen. Schließlich fordert Peking bis zum Jahr 2020 fünf Millionen EV-Zulassungen und ist von diesem Ziel ähnlich weit entfernt wie die Bundesregierung von ihrer ersten Million.

Joint Ventures gefragt

Natürlich hätte Mercedes dafür auch einfach die elektrische B-Klasse importieren können, die bei uns zum Jahreswechsel an den Start geht. Doch dann wäre das Auto ein exklusiver Exot geblieben, den sich keiner hätte leisten können. „Denn die staatliche Förderung gibt es nur für Fahrzeuge aus einem Joint Venture“, sagt Arno Röhringer, der das Joint Venture auf der Daimler-Seite leitet. Dann allerdings sprudeln die Gelder reichlich: „Nimmt man den Zuschuss von Zentral- und Provinzregierung sowie die gerade beschlossene Steuerermäßigung zusammen, sinkt der Preis des Denza von 369 000 auf 235 000 Euro“, sagt Röhringer. Umgerechnet kostet der China-Benz dann etwa 26 000 Euro und ist damit sogar deutlich billiger als eine konventionelle B-Klasse in Peking oder Shanghai – von den rund 35 000 Euro, die Mercedes bei uns für die mit Hilfe von Tesla umgerüstete B-Klasse mit Elektrik Drive verlangen will, ganz zu schweigen.

Komplett neues Auto

Dafür hat die 60 Mann starke Mercedes-Truppe in Pingshan mit den rund 200 Kollegen aus China nicht nur das Design komplett umgekrempelt, das Auto um fast 30 Zentimeter gestreckt und ihm für den separaten Kofferraum einen kleinen Bürzel ans Heck gezeichnet sowie einen moderneren Innenraum mit animiertem Cockpit hinter dem Lenkrad, großem Touchscreen in der Mittelkonsole und kleinem Joystick auf dem Tunnel zwischen den Sitzen eingebaut. Sondern vor allem hat Schweickhardt einen komplett neuen Antrieb installiert: Statt der Lithium-Ionen-Akkus von Tesla nutzt er Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen vom Partner BYD, die viel anspruchsloser und genügsamer seien: „Wir brauchen keine Klimatisierung und müssen keine Feuer fürchten“, erläutert der Ingenieur. Dafür allerdings sei die Energiedichte nicht so groß. „Aber wir haben ja Platz im Auto“, freut sich Schweickhardt und nutzt diesen Platz weidlich aus: Acht Akkublocks von zusammen 48,5 kWh hat er in einen massiven Aluminiumrahmen unter dem Wagenboden geschraubt. Jetzt wiegt das gesamte Paket zwar 650 Kilo und an der Haushaltssteckdose würde das Laden über 30 Stunden dauern, weshalb Denza gleich noch eine 22 kW-Wallbox anbietet und so Ladezeiten unter drei Stunden verspricht. Doch dafür wächst der Aktionsradius der B-Klasse auf Rekordverdächtige Werte: Im Prüfzyklus reicht der Saft für 335 Kilometer, und in der Praxis zeigt der Bordcomputer auch nach einem halben Tag zwischen Shenzhen und Pingshan noch satte dreistellige Werte. Und das, obwohl die Klimaanlage schon seit Stunden gegen die tropische Hitze kämpft und die Gegend viel zu platt ist, als dass man während der Fahrt viel rekuperieren könnte.

Zwei-Tonnen-Prototyp

Bei der Reichweite hat Schweickhardts Stromer seine glatte Nase deutlich vorn. Doch dafür hat er gegenüber der elektrischen B-Klasse bei der Leistung ein wenig gespart: Statt der 177 PS und 320 Nm aus dem Original müssen den Chinesen 117 PS und 290 Nm genügen. Angesichts der stolzen 2,1 Tonnen fehlt dem Denza deshalb ein wenig der Nachdruck, den man sonst von anderen Elektroautos kennt. Aber für Kavalierstarts sind die Straßen in China ohnehin zu voll und mehr als 130 Sachen sind auch auf der Autobahn nicht erlaubt. „Wir haben den Antrieb nicht auf maximale Performance getrimmt, sondern auf Effizienz, Reichweite und Alltagstauglichkeit“, erläutert Schweickhardt die Strategie und drängelt sich mit seinem Prototypen geschickt in den kleinen Freiraum, den ein alter VW Santana und ein Geely auf der andren Spur gelassen haben: Slalom im Stau, das Springen von Lücke zu Lücke und der kurze Spurt auf den bisweilen ziemlich abenteuerlichen Kreuzungen mitten auf der Autobahn – dort und nicht bei Vollgas auf der Überholspur ist der Denza zu Hause, sagt Schweickhardt und erzählt von den täglich 90 Minuten, die er mit dem Denza jetzt schon seit Wochen ins Büro pendelt und dabei oft in einem Stau steht, der selbst am Werkstor nicht endet. Denn die Fabrik, in der BYD neben dem Denza noch 500 000 andere Autos im Jahr baut, ist so riesig, dass selbst die sechsspurige Zufahrt oft überlastet ist. Dabei wohn das Gros der Belegschaft sogar in schier endlosen Mietskasernen direkt auf dem Werksgelände.

Nur vier Jahre

Wenn Schweickhardts Chef Arno Röhringer durch das BYD-Werk fährt, dann kann es der oberste Daimler-Mann bei Denza noch immer kaum glauben, was sie da in so kurzer Zeit alles gemeinsam aufgebaut haben. Schließlich ist er erst seit Mai 2010 im Land. „Und seitdem haben wir haben ja nicht nur ein neues Auto entwickelt, sondern nebenbei auch noch eine Marke geschaffen, einer Produktion aufgezogen und einen Vertrieb etabliert – und das alles in nur vier Jahren“, sagt Röhringer nicht ohne stolz.

Natürlich war das nicht immer ganz einfach. Wenn die Partner schon über Fahrerlaubnis für die Pressetestwagen wochenlang verhandeln und dabei fast ein mehrseitiger Vertrag heraus kommt, kann man ermessen, dass Röhringer mit der „Suche nach einer gemeinsamen Sprache“ mehr meint als den begrenzten Wortschatz der jeweils anderen Partei. Doch irgendwie haben sich die Schwaben und die Chinesen relativ schnell zusammen gefunden und mit dem Denza ein richtig gutes Auto auf die Straße gebracht.

Tief in die Karten geschaut

Obwohl sich Mercedes dafür tief in die Karten schauen lassen musste, fühlen sich die Deutschen nicht ausgenutzt und ausspioniert. „Auch wir haben hier schließlich viel gelernt“, sagt Entwicklungschef Schweickhardt mit Blick auf die pragmatische Denke, die kurzen Wege und die schnellen Entscheidungen in Pingshan. „Hier gibt es immer irgendwie eine Lösung“, wundert sich der Ingenieur noch heute und glaubt, dass die Erfahrungen mit Denza auch für andere Daimler-Projekte in China von unschätzbarem Wert seinen.

Dass man dabei natürlich Know-how offenlegen müsse, sei der Preis für den Zugang zu einem riesigen Markt, argumentiert sein Chef: Ohne Partner keine Geschäfte, bringt er es auf einen einfachen Nenner. Und die Geschäfte könnten gewaltig werden. Zwar haben die Elektroautos in China genau wie bei uns noch eine gewisse Ladehemmung. Doch anders als Berlin oder Brüssel macht Peking mächtig Druck, hat gerade die Förderung noch einmal erhöht, ein 16 Milliarden-Programm für die Ladeinfrastruktur angestoßen und will die Immobilienbranche dazu verdonnern, mindestens 30 Prozent aller Parkplätze in neuen Wohnsiedlungen für Elektroautos auszurüsten. „Die meinen es wirklich ernst“, sagt Röhringer und ist froh, dass es auf dem BYD-Gelände für Denza reichlich Platz gibt. „Denn es ist gut möglich, dass China tatsächlich bald der größte EV-Markt de Welt ist.“