KULTUR

Feine Klinge

FEINE KLINGE

Sie meinen, Fantasy wäre infantiler Hirnmatsch aus dem Schwemmland des Mainstreams? Dann lesen Sie mal bei Joe Abercrombie rein.

REDAKTION: JAKOB HÜBNER

Es zeichnete sich bereits Anfang der Nullerjahre deutlich ab: Joanne K. Rowlings Zauberlehrling vollführte gerade den Sprung vom Hype zur Hysterie und Peter Jacksons bombastische „Herr der Ringe“-Verfilmung sorgte für ein erkleckliches Tolkien-Revival. Die Zeiten, in denen Fantasy- Literatur als Spartenprogramm für männliche Leptosome mit schüchternem Bartwuchs und einer intimen Beziehung zu Excel-Dateien galt, waren Geschichte. Das boomende Genre lockte – übrigens in bemerkenswerter Analogie zum litera- rischen Durchbruch des Krimis in den 1940er-Jahren (damals hießen die Türöffner Georges Simenon oder Raymond Chandler) – eine neue Generation von Autoren an die Futtertröge. Darunter auch einige, die mit dem ganzen archetypischen Zinnober – grindige Orks, androgyne Elfen, knorrige Zwerge, Zauberer mit komischen Hüten – rigoros aufräumten, lediglich die Essenz des Genres, die grenzenlose erzählerische Freiheit, in ihr ganz eigenes Süppchen rührten und damit ein tatsächlich neues Kapitel der Unterhaltungsliteratur aufschlugen. Das bekannteste Beispiel dafür ist der „Game of Thrones“-Zyklus von George R. R. Martin. Ein anderes Beispiel ist Joe Abercrombie.

In den zuständigen Foren wurde der 1974 in Lancaster/UK geborene Autor zwar vom Stand weg als Ausnahmetalent durchgereicht, für das ganz große nächste Ding reichte diese Rampe dann aber nicht. Was ein echter Jammer ist und vermutlich mit ein Grund, warum Abercrombies aktuelle „Shattered Sea“-Trilogie, deren Finale „Königskrone“ am 11. April erscheinen wird, doch etwas näher am Mainstream angesiedelt ist als seine kompromisslose „Klingen“-Serie. Dort zeigt Abercrombie nämlich mit einem geradezu beängstigenden Gespür für den feinen Unterschied, wie sich die nebulosen Versatzstücke der phantastischen Literatur in atmosphärische Dichte verwandeln lassen. Brutal, räudig und herzerfrischend zynisch. Seine „The First Law“-Trilogie („Kriegsklingen“, „Feuerklingen“, „Königsklingen“) und die drei Add-ons („Racheklingen“, „Heldenklingen“, „Blutklingen“) markieren das martialische Hochamt dieser neuen literarischen Fusionsküche – herrlich blutige Abenteuerschwarten, die in einem würzigen Fantasy-Fond schmoren. Allerdings verlässt sich der diplomierte Psychologe dabei keineswegs nur auf die brachiale Gewalt seiner Geschichten. Es sind vor allem die im Vollrelief ziselierten, großartigen Charaktere, die Abercrombies mitunter recht komplexe Erzählstruktur ganz locker schultern und nebenbei jegliche Unterscheidung zwischen Gut und Böse im Keim ersticken.

Lassen Sie sich also nicht durch diese unsäglichen Covers abschrecken: Denn dahinter wartet ein Autor, der die Streitaxt mit der stilistischen Eleganz eines Floretts führt.

Joe Abercrombies Romane sind im Heyne Verlag erschienen (Deutsch von Kirsten Borchardt).