ACTION
KLAR IST ER GUT.
Vom Nobody zum globalen Superstar:
Wer heuer als Österreicher im Mutterland des Fußballs dem runden Leder nachjagte, ist jetzt der Stoff, aus dem die Bubenträume sind.
Text: Manfred Sax
Seit alle Schlachten geschlagen sind, und der größte Preis errungen, ist das Leben von Christian Fuchs etwas hektisch geworden. Man ist plötzlich so verdammt gefragt, und nun gibt es auch Dinge zu erledigen, mit denen nie zu rechnen war, zum Beispiel: Wo zum Teufel steckt Ryan Reynolds? Es ist anzunehmen, dass der kanadische Hollywoodstar („Deadpool“) und Exgatte von Scarlett Johansson gerade irgendwo filmt, aber eigentlich müsste er es mittlerweile gehört haben: Der 30-jährige Christian Fuchs aus Neunkirchen möchte, dass Ryan Reynolds, vom US-Magazin People soeben zum „Sexiest Dad Alive“ ausgerufen, Christian Fuchs spielt.
Hm, also nein, so geht das nicht mehr – Rephrase: Christian Fuchs, Starverteidiger von Leicester City, frischgebackener englischer Meister und derzeit populärstes Fußballteam der Welt, lädt den Schauspieler Ryan Reynolds ein, für einen programmierten Blockbuster in das blaue Leicester-Trikot mit der legendären Nummer 28 zu schlüpfen. Für „Jamie Vardy, the Movie“ eine idealtypische Vom-Nobody-zum-Superstar-Story. Ehemaliger Sonntagskicker eines Pubteams mausert sich zum Fußballer des Jahres. Das ist Jamie Vardy. Und wer Vardy sagt, der muss auch Fuchs sagen, so wie die Inselreporter jeden Samstag: „Unglaublicher Traumpass von Fuchs zu Vardy, der (ManUnited-Goalie) de Gea keine Chance lässt.“ Nur eine Szene von vielen, die in Summe „die größte Story in der Geschichte des Fußballs“ ergaben, sagt man nicht nur auf der Insel.
Was diese Story für den Österreicher bewirkte, lässt sich schon von der Transformation seines Namens filtern. Anfangs lachten die Briten, wenn sie „Fuchs“ sagten, so wie österreichische Schüler mal lachten, wenn sie das englische Wort für „Fuß“ fanden. Aber heute spricht niemand mehr den Namen Fuchs falsch aus. Außer Fuchs selbst. Sein Standard-Satz „I don’t give a Fuchs“ ist Legende, sein Hashtag #NoFuchsGiven seit Anfang Mai auch ein Mode-Label dessen Launch in Leicester zum Spektakel wurde. Wie es eben ist, wenn Fans für ein Fuchs-Autogramm diverse Körperteile entblößen, um dann gleich in den Tattoo-Laden zu laufen. Ein ganz normaler Tag im Leben eines österreichischen Superstars.
Heute spricht niemand mehr den Namen Fuchs falsch aus. Außer Fuchs selbst. Sein Standard-Satz „I don’t give a Fuchs“ ist Legende.
Angenehm für Österreichs Nationalmannschaft, dass Fuchs nicht der einzige heimische Inselkicker ist. Noch besser, dass sich das Image eines Österreichers binnen Jahresfrist radikal runderneuerte. Anno Arsenal-Manninger war dieses Image bestenfalls das eines Edelreservisten. Und die Anfänge stets mühsam. Als Fuchs im Sommer 2015 bei Leicester unterschrieb, hieß der Manager noch Nigel Pearson. Der hatte sich wohl was dabei gedacht, wenn auch seinem Nachfolger Claudio Ranieri nicht weitergesagt. Und so begann die Inselkarriere von Fuchs auf der Ersatzbank eines Teams, das von Wettbüros als 5.000:1-Außenseiter für den Titel – und als Favorit für den Abstieg eingestuft wurde. Zu behaupten, dass sich Fuchs anfangs etwas unwohl in seiner Leicester-Haut fühlte, wäre Beschönigung. Eine 2:5-Heimschlappe gegen Arsenal brachte die Wende. Fuchs geriet vergangenen Oktober in die Stammelf und der Rest ist ein Fußballmärchen.
Der Marktwert von Fuchs hat sich in diesem Jahr verdoppelt. Auf 10 Millionen Pfund (12,5 Mio Euro). Ganz nett, aber bei Weitem nicht auf dem Level von Marko Arnautovic – dessen Aufstieg zum „most wanted“-Ösi nicht weniger märchenhaft erfolgte. Noch vor fünf Jahren war der nun 27-jährige Floridsdorfer am Transfermarkt als „most unwanted“ ausgeschildert. Als ihn Stoke-Manager Mark Hughes vor drei Jahren dennoch engagierte, gab es ausreichend Häme Vorschuss. Ex-Teamkollege Mario Balotelli etwa, seines Zeichens zwei Jahre lang das ultimative Enfant terrible des Inselfußballs, twitterte sinngemäß: „Wenn ihr glaubt, dass ich verrückt bin, dann seht euch mal Marko an. Dagegen bin ich eine Null.“ Und Starmanager José Mourinho meinte: „Marko? Ein netter Junge, aber leider ein Kind.“ Doch Hughes, seinerzeit mal Sturmspitze bei ManUnited, ließ sich nicht beirren. Und freute sich diese Saison über den -Wandel seiner Truppe vom -unbeliebten -Eisenfuß-Team zu -einem viel beachteten Techniker-Ensemble, an dessen Speerspitze Marko -Arnautovic für die größten Momente sorgte. Den Effekt, den derlei „Man-of-the-Match“-Leistungen global haben, gibt es nur auf der Insel. Die Premier League ist die meistbeachtete Liga des Planeten, die Spiele werden in alle Erdteile gepumpt, der TV-Kanal Sky Sports hat 24 Stunden täglich und sieben Tage pro Woche nichts anderes zu tun als Fußball zu diskutieren. Und spätestens seit seinen zwei Toren, mit denen Arnautovic die Startruppe von Manchester City zerlegte, wird er auf der Insel als jener große Entertainer gefeiert, den sein Talent jahrelang nur in Aussicht stellte. Die Stoke-Fans haben den österreichischen Torjäger soeben zum Spieler des Jahres gewählt. Er selbst dankt Mark Hughes dafür, seiner Karriere neues Leben eingehaucht zu haben, er genieße das Fußballspielen nun wieder, nachdem er bei Werder Bremen nur auf der „Straße des Ruins“ gewesen sei.
Der Teufel ist bei Arnautovic heute nicht mehr im Raum zwischen seinen Ohren heimisch, sondern in den Details seines Vertrags vergraben. Der hat noch ein Jahr Laufzeit, allerdings auch die eingeschriebene Klausel, dass er die „Potters“ (Spitzname von Stoke) auf Wunsch verlassen kann, wenn jemand umgerechnet 15 Millionen Euro bietet. Und das ist nach englischem Rechenmodus für einen Mann mit Arnautovic‘ Qualitäten eine lächerliche Summe. Er ist gut das Doppelte wert. Dem Vernehmen nach machen die Milliardär-Besitzer von Paris Saint-Germain die Summe gerne locker, um neben „Ibra“ Ibrahimovic nicht nur einen weiteren Kicker mit Ibrahimovic- Frisur zu haben, sondern auch einen mit ähnlichen Talenten. Das Problem ist hier wohl, dass die Franzosentruppe nicht in der Premier League kickt. Wer sich mal in den Kultstatus der Premier League eingebettet hat, der will nicht wirklich davon weg. Außer er wohnt in Stoke, einer Stadt, in der du geboren sein musst, um dort wohnen zu wollen. Es gibt dort nichts. Außer Fußball gibt es dort nichts.
London ist da anders. Eine Weltstadt, die dir alles gibt, was du dir leisten kannst. Kevin -Wimmer ist seit einem Jahr in London heimisch und bei Tottenham Hotspur unter Vertrag. Der zweiten Klub-Sensation des Jahres. Sein Pech, dass dort die belgischen Nationalkicker Toby Alderweireld und Jan Vertonghen als Innenverteidiger gesetzt sind. Deswegen brauchte es auch ein halbes Jahr Wärmen der Ersatzbank plus eine Verletzung Vertonghens, bis der 23-jährige Welser Ende Jänner sein volles Liga-Debüt feiern konnte. Allerdings profitierte Wimmer da bereits von einem vorgeschossenen Bonus, den Fuchs und Arnautovic geschaffen hatten. Als die Sky-Sport-Reporter bei den „Spurs“ nachfragten, ob „this Wimmer“ denn überhaupt gut sei, kam als Antwort: „Klar ist er gut. Er ist ja ein Österreicher.“ Ein Satz für die Ewigkeit. So was hat es in England noch nie gegeben, oder jedenfalls nicht seit dem 20. Oktober 1965, als der 2005 verblichene Toni Fritsch mit zwei Toren den 3:2-Sieg Österreichs über England besiegelte und zum „Wembley-Toni“ wurde.
Ähnlich wie sein Nationalteam-Kollege und Co-Londoner Sebastian Prödl, der bei Watford kickt, hat sich Wimmer noch nicht als automatisch Gesetzter in der Stammelf etabliert, aber sein knappes Dutzend Einsätze in der Spurs-Verteidigung reichten, um der Inselkickerei vollends zu verfallen. Die Premier League? „Die attraktivste Liga der Welt“, meint er, „die Intensität und Schnelligkeit, mit der hier gespielt wird, gibt es sonst nirgendwo. Genau mein Fall.“ Und immerhin: Beim Online-Fantasy–Football-Portal futhead.com hat er bereits ein hervorragendes Rating in der „Beast“-Kategorie.
Marko Arnautovic wird heute als jener große Entertainer gefeiert, den sein Talent jahrelang nur in Aussicht stellte.
Der Grazer Prödl (28), der diesen Frühling sein erstes Hammertor für Watford erzielte, das im TV rauf und runter gespielt wurde, sieht es ähnlich: „Am Anfang wars brutal“, sagte er, womit er unter anderem auch die Umstellung auf den Linksverkehr meinte. Aber bald legte er 10 Kilo auf seine früheren 85 Kilo drauf, hielt seither hervorragend mit und sieht im Übrigen der Euro gelassen entgegen: „Österreich ist aktuell die beste Aktie in Europa mit den meisten Zugewinnen.“
Zugewinne, die zu einem guten Teil auf die Kappe der Premier League gehen. Einer im Trainingsalltag hermetisch von der Öffentlichkeit abgeriegelten Welt, die ihre Kicker dazu zwingt, sich mit Fußball und sonst nichts zu beschäftigen. Oder besser: fast nichts. Denn -natürlich gibt es auch eine ganze Menge Freizeit zu bewältigen. Ein Glück daher auch diesbezüglich, dass es Männer wie Christian Fuchs gibt, der seine Co-Ösis einschlägig inspiriert. Mit #-NoFuchsGiven gebar er nicht nur ein Mode-Label, sondern auch eine neue Methode, die Zeit tot-zuschlagen. Per Videoclips, in -denen er Kollegen zu Schere-Stein-Papier-Challenges herausfordert. Ja, Fußballerhumor. -Verlierer müssen sich beispielsweise vom Sieger aus einem Meter Entfernung einen Freistoß an den Arsch knallen lassen. Bei Wimmer wiederum musste der verlierende Spurs-Kollege in Barcelona ein Messi-Shirt tragen. Wenn das nicht erniedrigend ist …
Aber gut, so war das, als die Liga noch lief. Jetzt ist sie gelaufen und die Underdogs von gestern sind die Stars von heute, und bald ist die Euro. Aber bis dahin gibt es noch einiges zu erledigen, insbesondere für Mister Fuchs. Von wegen Wembley-Toni. Bekanntlich zog derselbe mal aus, um den American Football zu erobern, und Fuchs hat Ähnliches geplant, wie er mal sagte. Seinem neuen Superstar-Status ist zuzuschreiben, dass diese Nachricht auch über den Newsticker des Times Square, New York, lief. Worauf das dortige Magazin Observer recherchierte und Bilder von dem Haus in Manhattan veröffentlichte, das Fuchs für seine Familie gekauft hatte. Worauf der englische Anwalt von Fuchs aktiv wurde, um zu erzwingen, dass die Story offline geht. Was nicht wirklich funktionierte. „Die britische Kontrolle über New York endete 1783“, verlautete das Magazin, „und seither lassen wir uns von euch nichts mehr befehlen.“* Sieht so aus, als ob New York dem Österreicher noch nicht aus der Hand frisst. Die werden staunen, wenn #NoFuchsGiven dort mal landet.
Fotos: Getty Images