Meinung

Entplant

Sarah Wetzlmayr

Endlich Sommer! Jedoch: Wenn alles zusammengegrillt, gechillt, gecampt, gebadet und außerdem die je eine Woche in den Bergen und am Meer absolviert wurde, dann ist echt noch viel davon über. Um nicht, wie immer, im September draufzukommen, dass man jetzt zwei Monate lang wieder nur Eis essend in der Wohnzimmerhitze gedünstet wurde, habe ich beschlossen, in diesem Jahr einen gewissen Ehrgeiz punkto Erlebniswilligkeit zu entwickeln und mir vorausschauend einige kleine Ausflüge vorzunehmen, um das Land besser kennenzulernen. Es braucht Abenteuer! Und weil ich nicht öde in Schönbrunn, Schloss Mirabell und in den Kristallwelten oder so wo herumhängen will, habe ich in der Bekanntschaft herumgefragt, was denn so unabdingbar geheimtippmäßig anzusehen wäre.

Von diesen nun Ex-Bekannten in spe kamen Tipps daher, die einigermaßen beleidigend waren. Immerhin habe ich mich stets bemüht, einen trendy Eindruck auf die Leute zu machen. Das ging in die Hose, wie ich feststellen durfte. Vorschlag Nummer eins war der, eine Ausfahrt zum Affenberg Landskron nach Villach zu machen. Darauf folgte die Empfehlung des Besuchs eines eigenartigen „Alpenpanoramas“ in einem Gasthaus in Maria Taferl, ein so genanntes mechanisches Kunstwerk, wo mich schon der Gedanke daran in die REM-Phase drückt. Des Weiteren bekam ich die Empfehlung der Besichtigung der Bauernkegelbahn in Dellach im Gailtal. Und zwar ausschließlich deshalb, um einmal im Gailtal gewesen zu sein, damit ich in der Zukunft nicht mehr unreif kichern muss, wenn jemand Gailtal sagt. Quatsch. Ich kichere da nie. Gailtal. Gailtal. Gailtal. Hier kichert niemand.

Passend dazu soll ich in Kössen den Klobenstein besuchen, wer durch den durchwandert, darf sich Fruchtbarkeit erwarten. Als hätte ich davon nicht schon genug und höchst ertragreich gehabt. Als Bonus übrigens wachsen bei dieser Sehenswürdigkeit angeblich den von ihren Frauen betrogenen Ehemännern beim Hindurchwandern Hörner. Ich halte das für eine Lüge, darauf falle ich nicht rein. Auch riet man mir, das Lechtal zu besuchen, die Heimat der Anna Stainer Knittel oder auch Geierwally – die immerhin als Frau in den 1850er-Jahren an der Münchner Universität Kunst studierte. Der Bezug zu mir: aber nicht fertig, so wie ich. Berühmt wurde sie, weil sie sich mit 17 in einen Adlerhorst abseilen ließ, was man in mehreren Heimatfilmen überprüfen kann. Das solle ich nachstellen, das sei was für Facebook. Zwingender Grund hinzufahren, eigentlich. Um meine Höhenangst zu bedienen, soll ich über die höchste Fußgängerbrücke Europas in Arzl im Pitztal latschen. Die ist 94 Meter hoch und 137,7 Meter lang und heißt jetzt Benny-Raich-Brücke. Von der lasse es sich prima speiben.

Weiters soll ich ins Fälschermuseum Wien-Erdberg gehen (warum??) oder mich in Realismus üben und das Bestattungsmuseum in Wien-Wieden besuchen. Und zur Nachspeise dann zum Friedhof der Namenlosen in Wien-Simmering fahren, wo man die ganzen angespülten Donauwasserleichen beherbergt. Ich lehne Sterben aber ab. Architektonisch empfiehlt man mir das Atomkraftwerk Zwentendorf oder die von Architekten entworfenen Busstationen von Krumbach in Vorarlberg. Ich soll mir Busstationen ansehen und dafür neun Stunden im Auto sitzen. Ich bin jetzt sehr allein. Ich fühle mich unverstanden. Menschen in meinem Umfeld denken, ich will Affen und Atomkraftwerke sehen und in Adlerhorsten herumhängen. So nicht. Abenteuer hat’s geheißen. Ich bleibe also schön auf meinem Balkon sitzen und schaue über den Sommer auf Netflix am Tablet alles nach, was ich in den letzten Jahren versäumt habe. „Breaking Bad“. „Orange is the New Black“. „Game of Thrones“, alle Staffeln. Keine Sekunde Langeweile. Und danach kann ich dann vermutlich gleich den Skiurlaub antreten. Danke, dafür brauche ich keine Tipps, ich fahre nach Zell am See und lerne ganz nebenbei Arabisch, weil dort nichts anderes mehr gesprochen wird. DAS ist nämlich fancy.Wenn sie nicht liest oder Musik hört, arbeitet die zweifache Mutter selbstständig als Kommunikationsmanagerin und freie Autorin.